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Die Rigi-Bahnen in der Schweiz Nummer Sieben lebt

Die Rigi ist ein Bergmassiv in der Zentralschweiz. Dort ist eine Fahrt mit der Dampflok längst nicht nur Nostalgie.
08.10.2022, 05:00 Uhr
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Von Robin Daniel Frommer

Lässt man Mark Twains Werk kurz Revue passieren, werden unsere Vorstellungen sofort von den Flusslandschaften des Mississippi geflutet, von Huckleberry Finn und Tom Sawyer – wohingegen sich die Schweizer Bergwelt nicht gerade aufdrängt. Doch Twain reiste gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehrfach nach Mitteleuropa und – seit der Fertigstellung der heutzutage ältesten Zahnradbahn im Jahr 1873 – auch zur Rigi, dem Bergmassiv in der Zentralschweiz. Unweit des Vierwaldstättersees, an Bord der Rigi-Bergbahn erlebte er eine optische Täuschung, die Passagiere der fauchend bergauf stampfenden Dampfzüge noch heute genauso wahrnehmen können. Twain war 1880 vermutlich der erste, der dieses Phänomen (in seinem Reisebericht „A Tramp Abroad“) zu Papier brachte: „Alle Gebüsche, Föhren, Tannen, Häuser scheinen schief zu stehen, wie durch einen ungeheuren Luftdruck umgelegt. Alles neigt sich, und zwar so sehr, dass die Chalets und Bauernhäuser umzufallen drohen“. Und er analysierte: „Wer im Wagen sitzt, bemerkt nicht, dass er eine Neigung von 20 bis 25 Prozent hinauf- oder hinabgleitet; daher empfindet er den Bahnwagen und seine horizontalen Linien als normale Ebene, wodurch alle vom Wagen aus gesehene Objekte, die in Wirklichkeit waagrecht liegen, ein Missverhältnis von 20 bis 25 Prozent Neigung aufweisen.“

Der Bau der Bahn vervierfachte die Zahl der jährlichen Besucher

Die Vitznau-Rigi-Bahn nahm am 21. Mai 1871 die Personenbeförderung auf, und schon zwei Jahre später reichte die normalspurige Zahnradstrecke bis zum Gipfel der Rigi auf 1797 Meter. Unmittelbar nach dem Bau der Bahn vervierfachte sich die Zahl der jährlichen Besucher auf dem Berg; außerdem entstanden mehrere neue Hotels entlang der steilen Trasse, da auf der Rigi, in Kaltbad und auf der Staffelhöhe nun wesentlich günstiger gebaut werden konnte. Nicht nur von Technik begeisterte Engländer, auch Deutsche und Franzosen fanden in der Folge mit der Schweizer Bergwelt eine neue und verlockend bequeme Alternative zur klassischen Italienreise.

Seit 1937 werden die Rigi-Bahnen elektrisch betrieben. Dessen ungeachtet halten die wertkonservativen Schweizer an den Dampflokomotiven aus Twains Zeit fest. Insgesamt sind heute wieder 17 historische Zahnradbahnfahrzeuge betriebsfähig. Selbst die ungewöhnliche Lok Nummer Sieben aus dem Jahr 1873 kommt bei besonderen Gelegenheiten zum Einsatz.

Der stehende Kessel heißt im Volksmund "Schnapsbrenni"

Da auf Steilstrecken mit wechselnder Neigung schwankende Wasserstände für Dampfloks mit liegenden Kesseln problematisch waren, wurde Nummer Sieben von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik mit einem stehenden Kessel ausgestattet, den der Volksmund postwendend mit dem Spitznamen „Schnapsbrenni“ versah. Es gibt weltweit übrigens nur noch eine einzige ähnlich konstruierte, allerdings längst nicht mehr fahrtüchtige Dampflok namens „Old Peppersass“ in den USA.

Gute Gründe für einen Besuch der Rigi sind, neben dem sehenswerten „rollenden Material“, die von Mark Twain und anderen Literaten wie Hermann Hesse (im Rigi-Tagebuch) beschriebene sommerliche Panorama-Aussicht vom Rigi-Kulm auf sage und schreibe 125 Alpengipfel und 13 Seen. Dort auf dem Gipfel wird traditionell ein Kult um den außerordentlich frühen Sonnenaufgang gepflegt. Mark Twain berichtet, dass er ihn gleich zweimal verpasste.

Ohne nostalgische Passion wäre jede Dampfeisenbahn längst Geschichte – auch in der Zentralschweiz. Lok Nummer Sieben wurde nach der Elektrifizierung der Rigi-Bahnen bereits 1937 ausrangiert und acht Jahre später ans Luzerner Verkehrshaus abgegeben. Erst in der Vorbereitung zu mehreren Jubiläen wurde sie 1995, 2009 und 2020 wieder aus dem Museum hervorgekramt, von Bahnenthusiasten unentgeltlich aufgearbeitet und wieder in Betrieb genommen. „Die Lok hat aktuell Frist bis 2024“, sagt Martin Horath, Depotleiter der Rigi-Bahnen in Vitznau, „was danach kommt, müssen wir dann sehen.“ Die kleine Lok mit dem archaischen Stehkessel und dem außen liegenden Flachriemen kennt der 57-Jährige wie kein zweiter. Sie habe, sagt Horath, „für eine Schweizer Dampflok einen relativ hohen Pfeifton. Aber der passt zu ihr“. Er verrät noch: „Bergab ruckelt das Getriebe der Lok etwas“, was bei einem Treibrad mit acht Zähnen nicht zu vermeiden sei. Martin Horath bezeichnet sich selbst gelegentlich als Edelschrott-Messie. Wenn er nicht gerade im Führerhaus einer Dampflok steht oder Triebstangen und Kurbelachslager einer Rigi-Lok mit Öl versorgt, widmet er sich seiner – schon vom Vater begonnenen – Privatsammlung prächtig restaurierter Fiat-Oldtimer des Typs Topolino.

Rückholaktion von Schweizer Dammpfloks aus Vietnam

Als einen Höhepunkt seines Lebens bezeichnet Dampflokspezialist Horath eine kühne Aktivität, die ihn zusammen mit elf Landsleuten unter Federführung von Ralph Schorno 1990 während der Monsunzeit ins Hochland von Vietnam führte – und die im Zusammenhang mit einer anderen Schweizer Nostalgiebahn steht: Die spektakuläre Rückholaktion Back to Switzerland, bei der vier Dampfloks aus der Produktion der Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik bei Dà Lat geborgen wurden. An Bord des DDR-Frachters „Friedrich Engels“ holte das Team sie zurück in die Schweiz und letztlich zur Furka-Bergstrecke. Rückblickend sagt er zu dem abenteuerlichen Vietnam-Einsatz heute: „So etwas kann man eigentlich gar nicht organisieren. Da bist du dabei – und hast Schwein gehabt.“ Und: „Es ist schon verrückt, dass das heute noch so viele Menschen wissen und wissen wollen. Wir hatten seinerzeit noch zehn Beamte von der vietnamesischen Staatsbahn dabei, die uns wirklich sehr geholfen haben. Wegzoll an Brücken konnten wir vermeiden.“

Die Reise wurde unterstützt von Swiss Travel System und Schweiz Tourismus.

Zur Sache

Das Bergmassiv Rigi und Luzern

Anreise: Die Schweiz ist das am besten mit der Bahn erschlossene Land der Erde. Daher bietet sich die Anreise nach Luzern auf der Schiene an.

Rigi-Bahnen: Der Verbund der Rigi-Bahnen entstand durch die Fusion der Vitznau-Rigi-Bahn und der Arth-Rigi-Bahn. Neben den normalspurigen Zahnradbahnen gehört auch die Luftseilbahn Weggis-Rigi zum Unternehmen. Die Bahnen werden ganzjährig betrieben. Infos:www.rigi.ch.

Unterkunft: Das familiengeführte Hotel Rigi-Kulm (freitags bis sonntags geöffnet) und seine Gastronomie (mittwochs bis sonntags geöffnet) befinden sich unweit der Bergstation beider Zahnradbahnen. Ein Doppelzimmer kostet ab 228 Schweizer Franken, Frühstück inbegriffen; Infos: www.rigi-kulm.ch. Das historische Fachwerkhotel „Zum Rebstock“ mit 29 Gästezimmern liegt in der Fußgängerzone Luzerns. Ein Doppelzimmer kostet ab 219 Schweizer Franken. Infos: www.rebstock-luzern.ch. Der Waldstätterhof ist zentral gelegen: nur 100 Meter vom Bahnhof entfernt und nur 200 Meter von der Schiffsanlegestelle und dem Vierwaldstättersee. Ein Doppelzimmer kostet ab 284 Euro. Infos: www.hotel-waldstaetterhof.ch/de.

Literatur: ADAC Reiseführer plus Schweiz, von Robin Daniel Frommer und Rolf Goetz, 192 Seiten mit Maxi-Faltkarte, 14,99 Euro.

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