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Neuseeland Vom Kannibalismus zu Kiwis

Wellington . Seit rund 10 Jahren boomt der Kiwi-Anbau in Neuseeland, die Exporte ins Ausland sind drastisch gestiegen. Davon profitieren auch die Ureinwohner des Landes. In Te Kaha, am östlichen Ende der Bay of Plenty auf der Nordinsel produzieren mehrere Maori-Stämme die Frucht.
18.10.2010, 16:11 Uhr
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Von Konstanze Richter

Wellington . Seit rund 10 Jahren boomt der Kiwi-Anbau in Neuseeland. Spätestens seit der Entwicklung der Sorte Kiwi Gold sind die Exporte ins Ausland drastisch gestiegen. Davon profitieren auch die Ureinwohner des Landes. In Te Kaha, am östlichen Ende der Bay of Plenty auf der Nordinsel produzieren mehrere Maori-Stämme auf ihrem Land die Frucht, die neben dem Apfel das wichtigste landwirtschaftliche Export-Produkt des Landes ist.

Dass ich singen muss, hat mir keiner gesagt. Eigentlich bin ich nach Neuseeland gekommen, um mich über den Anbau und den Export von Kiwi-Früchten zu informieren. Und jetzt stehe ich hier und muss ein Ständchen bringen. Denn das ist bei einer traditionellen Willkommenfeier der Maori so üblich.

Glücklicherweise bin ich nicht alleine, meine beiden Kollegen – einer aus England, einer aus Australien angereist – haben genauso ratlos geguckt, als unser Begleiter Peter Anderson uns kurz vor der Zeremonie informierte: „Ach, übrigens müssen wir uns ein Lied ausdenken, das wir anlässlich des Willkommens gemeinsam singen.“ Mein englischer Kollege Mike Knowles, eingefleischter Beatles-Fan, hat schließlich die zündende Idee: „Wie wäre es mit ,Yellow Submarine’? Mindestens den Refrain kennt doch wohl jeder.“

Das geht mir nun durch den Kopf, während ich gemessenen Schrittes auf die Gruppe Maori zugehe, im Rhythmus des monotonen Gesangs, den eine hochgewachsene Frau aus ihrer Mitte in der Stammessprache intoniert. Sie schaut ernst, ja fast ein wenig grimmig – ein Eindruck, der von dem Moko, der traditionellen Tätowierung rund um ihr Kinn die ihren Rang darstellt, noch verstärkt wird.

Dabei ist das, was sie singt ein Willkommen an die Gäste, mit dem sie uns im Marae begrüßt, dem offiziellen Versammlungsplatz der Maori. „Mit ihrem Gesang gedenkt sie unserer Ahnen und drückt ihr Mitgefühl für Eure toten Vorfahren aus“, raunt einen Schritt hinter mir Peter. Unser Begleiter bei dieser Kiwi-Reise ist selbst Nachkomme einer Maori-Familie und daher mit ihren Bräuchen vertraut, die vielerorts immer noch sehr ernst genommen und gepflegt werden. So wie hier in Te Kaha, am östlichen Rand der Bay of Plenty auf der neuseeländischen Nordinsel.

Nun wird unsere gesungene Antwort erwartet. „Damit teilen wir den bösen Geistern mit, dass dies hier eine Feier ist und sie daher nicht willkommen sind“, hatte Peter erläutert. Wie abgesprochen schmettert Kollege Mike die erste Strophe von „Yellow Submarine“, wir anderen fallen beim Refrain mit ein. Auf den bis dahin eher feierlichen Gesichtern unserer Gastgeber zuckt ein Lächeln. „Mit einem Song der Beatles wurden hier noch keine Geister vertrieben“, schmunzelt Hoani Kerei, als wir nun von den Maori mit dem Hongi, dem traditionellen Gruß, bei dem man sich die rechten Hände gibt und gleichzeitig die Nasen aneinander presst, begrüßt werden. Er erzählt uns die Geschichte des Stammes. Von blutigen Fehden ist die Rede, in denen immer wieder gefangene Feinde feierlich verspeist wurden. Um deren Kraft aufzunehmen, wie Hoani sagt. „Aber seit den letzten Stammeskriegen in den 1830ern ist keiner mehr gegessen worden. Na, ja, soweit ich weiß jedenfalls...“, lacht er augenzwinkernd. Das vergnügte Grinsen nimmt dem über und über mit Tätowierungen gezeichneten Gesicht den grimmigen Ausdruck und passt so gar nicht zu den gruseligen Geschichten über Kannibalismus.

Heute bauen die Maori in Te Kaha Kiwis an. „Dadurch hat die junge Generation endlich eine Perspektive“, sagt Paul O’Brian von Te Awanui A Apanui Fruitgrowers, einer Kooperative verschiedener Kiwi-Erzeuger. Waren noch vor wenigen Jahren viele Maori arbeitslos, so bietet der Kiwi-Anbau ihnen jetzt zahlreiche Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, nicht nur in den Plantagen und Packhäusern. „Unsere Kinder haben die Chance zu studieren oder können in dieser stark vom Export geprägten Branche reisen.“ Insgesamt 13 Maori-Familien bauen in Te Kaha Kiwis auf ihrem Land an. „Nach unserem Verständnis gehört uns das Land nicht. Wir sind lediglich dessen Hüter und müssen es für unsere Nachfahren bewahren“, erläutert Paul. Deshalb wird Maori-Land nur äußerst selten verkauft.

„Diese Denkweise beinhaltet das Konzept der des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit, das auch in westlich geprägten Industrienationen im Trend liegt“, so Peter Anderson. Wirtschaftlich ist dies für die Maori aber ein Nachteil. Da das Land von seinen aktuellen „Hütern“ in der Regel nicht verkauft werden darf, gewähren viele Banken keine Kredite. Der Grund und Boden, befindet sich, aufgeteilt in kleine Parzellen, in der Hand vieler Familien. Früher wurde dort meistens Futtermais angepflanzt. „Das brachte aber nicht viel Geld“, so Paul.

Bis vor etwa 20 Jahren mit der Kiwi-Produktion begonnen wurde. Zahlreiche Maori investierten Geld, gaben zum Teil Kleinstkredite für den Aufbau des Joint Venture, das heute auf rund 70 Hektar Kiwis produziert. Insgesamt beläuft sich die Fläche für den Anbau der Früchte in der Region um Te Kaha auf 119 Hektar. „Potenzial bleibt noch für 130 bis 140 Hektar. Doch es fehlen Kredite, um in die Bewässerung zu investieren“, sagt Paul bedauernd. Dabei gelten die Kiwis aus der Bay of Plenty als qualitativ sehr hochwertig. „Das liegt am hohen Anteil an Trockenmasse in den Früchten, der einen besonders intensiven Geschmack zur Folge hat.“

Auf dem fruchtbaren Boden der Region, der vulkanischen Ursprungs ist, werden rund 80% der aus Neuseeland exportierten Kiwis angebaut. Verschifft werden sie über den zirka 150 Kilometer entfernten Hafen Tauranga in alle Welt, wo sie durch Zespri vermarktet werden. Das neuseeländische Unternehmen verfügt über die alleinigen Vermarktungsrechte für Kiwis aus Neuseeland in Europa und den USA und liegt zu 100% in den Händen der Erzeuger. „Firmeneigne Trainingsprogramme sorgen dafür, dass mittlerweile weniger junge Menschen aus der Region abwandern, da sie hier Arbeit und Aufstiegmöglichkeiten finden“, freut sich Paul O’Brian.

Der Abend naht, es ist Zeit zu gehen. Ein letztes Mal lasse ich meinen Blick an der Küste entlang schweifen, wo die Kiwi-Plantagen zum Teil bis ans Wasser reichen. In der Abendsonne tanzt das Licht auf dem Meer, das schwarze Vulkangestein des Küstenabschnitts glänzt ölig – es ist ein schöner Ort, den die Maori als Hüter für ihre Nachkommen bewahren. Bevor ich ins Auto steige, drehe ich mich noch mal um zu Hoani Kerei und verabschiede mich mit einem Augenzwinkern: „Übrigens, vielen Dank, dass Du mich nicht gegessen hast.“

 

 

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