Ein Hauch von „Septembre“, so wie ihn die französische Chansonnière Barbara besungen hat, liegt in dieser lauen Herbstnacht an der Avenue Montaigne in der Luft. Vielleicht haben in diesem Jahr noch nie so schön die Farben geleuchtet wie im September, singt Barbara in ihrem melancholischen Chanson. Noch ist es warm genug, um draußen vor der Bar des Theaters bei einem Glas Crémant die gelungene Aufführung der Gluck-Oper „Orphée et Eurydice“ im Theatre des Champs-Elysées Revue passieren zu lassen. Und der Eiffelturm, der zum Greifen nah scheint, glitzert dazu. In dem wunderschönen Jugendstilbau wurde einst Theatergeschichte geschrieben. Unmittelbar nach der Eröffnung 1913 mündete die Uraufführung von Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, die in Publikumstumulten unterging, in einem handfesten Skandal. 2009 sorgte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit der erstmaligen Aufführung ihres Zyklus der kompletten Beethoven-Sinfonien im Theatre des Champs-Elysées für Furore.
Doch die Avenue Montaigne ist nicht nur ein Dorado für Musikbegeisterte, sondern auch für Fashionistas: Ein berühmtes Couture-Haus reiht sich dort an das nächste: Givenchy, Chanel und natürlich Dior. In der nach zweijährigen Renovierungsarbeiten des Maison Dior neu eröffneten La Galerie Dior kann das geneigte Publikum das Modeleben, frei nach dem Credo der berühmten Berliner Salon-Dame Rahel Varnhagen, in luxuriösen Show-Räumen auf sich niederregnen lassen. Und das gilt besonders für die atemberaubende Installation, in der die kostbaren Entwürfe im Wechsel der vier Jahreszeiten im Raum zu schweben scheinen. Eine wahrhafte „chambre des merveilles“, eine Wunderkammer, in der es sich der Welt abhandenkommen lässt: Umgeben von verschwenderischen Tableaus wie einem Barockgarten und Sternenstaub, der wie flüssiges Gold herabrieselt. In traumhaften Tableaus wie den „jardins enchantés“, den zauberhaften Gärten, sind die Roben von Christian Dior selbst und seiner Nachfolger wie Yves Saint Laurent oder John Galliano sowie der aktuellen Dior-Chefdesignerin Maria Grazia Chiuri ebenso raffiniert wie prachtvoll in Szene gesetzt. Schließlich in der Lichterkulisse von Paris selbst.

Ein Himmel aus weißen Blüten schwebt über den Haute-Couture-Kreationen in der Galerie Dior.
Am Abend dann ein Treffen mit dem in Bremen geborenen Couturier Jürgen
Michaelsen alias Yorn, der seit mehr als 60 Jahren in Paris lebt, zum gemeinsamen Abendessen in dem so edlen wie gemütlichen Bistro Le Relais Du Bois, in dem es sich vorzüglich dinieren lässt. Das Bistro liegt nicht weit entfernt von der Place Trocadéro, in dem wohlsituierten Quartier, in dem einst in der Avenue Georges-Mandel die legendäre Operndiva Maria Callas bis zu ihrem frühen Tod wohnte. Yorn, dieser Name wurde Jürgen Michaelsen von Christian Dior höchstpersönlich gegeben, als er als junger Mann für den berühmten Couturier an der Avenue Montaigne 30 als Assistent tätig war. Der deutsche Name sei Dior zu kompliziert gewesen, erinnert sich Yorn. Versehen mit diesem Namen avancierte er in der so kapriziösen wie mondänen und turbulenten Welt der Pariser Haute Couture zu einem „Gast im Glück“. So der Titel seiner 2020 im Diogenes-Verlag erschienenen Memoiren, in denen er auch seine Zeit im Maison Dior schildert.
Illustriert wurde das Buch mit viel Liebe von einem seiner engen Freunde, einem der bekanntesten Zeichenkünstler Frankreichs, Jean Jacques Sempé, dem Chronisten von Paris. Noch immer ist die Trauer um seinen langjährigen Freund, der vor Kurzem gestorben ist, groß. Yorn ist dem Haus Dior nach wie vor eng verbunden. „Ich schreibe gerade an einem weiteren Buch über Dior. Titel: Die sieben Kinder des Christian Dior“, erzählt er. Denn der geniale Modeschöpfer hatte sieben Assistenten, von denen einige selbst berühmt wurden. Da ist zunächst Diors unmittelbarer Nachfolger Yves Saint Laurent. Aber auch Jean-Louis Scherrer oder Pierre Cardin. Und natürlich Yorn selbst, der als erster Deutscher ein Couture-Haus an den Champs-Elysées eröffnete. Einen ganz anderen Weg schlug hingegen Jean Claude Pascal ein. Der Dior-Assistent wurde Schauspieler und Chansonnier.
Revolutionäre Roben
Das Couture-Haus von Elsa Schiaparelli befindet sich nicht in der Avenue Montaigne, sondern an der Place Vendôme. Coco Chanel pflegte ihre Konkurrentin abfällig als „l’Italienne“, die Italienerin, zu titulieren. Wie es im Paris der Roaring Twenties dazu kam, das ist zurzeit in einem Seitenarm des Pariser Louvre zu besichtigen. Nach einer kurzen Erholungspause bei einem Croque Monsieur im Café Marly unter den Louvre-Arkaden, in der „La vie en rose“, Edith Piafs Hymne auf Paris, in den Tuilerien als Geigenmelodie herüberweht, geht’s ins Musée des Arts décoratifs. Dort wird bis Januar 2023 die Ausstellung „Shocking“ gezeigt. Der Name ist Programm. Die Römerin revolutionierte die Pariser Haute Couture mit ihren außergewöhnlichen Kunstwerken mit surrealem Touch, die noch heute modern wirken. Elsa Schiaparelli, Erfinderin des shocking pink, arbeitete mit Künstlern wie Salvador Dalí und Jean Cocteau zusammen, von denen sie sich inspirieren ließ. In „Shocking“ werden Schiaparellis Originale in einer raffinierten Inszenierung den Kunstwerken des texanischen Chef-Designers Daniel Roseberry gegenübergestellt, der dem Label, das lange im Dornröschenschlaf lag, seit 2019 wieder neues Leben einhaucht.

Eine Kreation von Daniel Roseberry, Chefdesigner des Hauses Schiaparelli, zu sehen in der Ausstellung „Shocking“.
Und das auf höchst spektakuläre Weise. Roseberrys revolutionäre Roben mit dem Wow-Effekt, die oft kostbaren Skulpturen gleichen, werden mit Vorliebe von Stars wie Beyoncé oder Lady Gaga getragen. In der Schau ist auch das Ensemble zu sehen, das Letztere bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Joe Biden trug. Aber auch in dieser Schau sind Entwürfe von John Galliano zu sehen: Angelehnt an Schiaparellis Originalentwürfe von Anzug und Mantel aus Stoff, der komplett mit Zeitungsartikeln bedruckt ist.
Au revoir, Paris, mon amour!
Wer möchte, kann eines der Quartiere, in denen sich einige der berühmtesten Museen von Paris entlang der Seine wie an einer Perlenkette aufreihen, ganz bequem mit dem Batobus erreichen. Stopps werden unter anderem am Louvre und am Musée d’Orsay auf der gegenüberliegenden Seite eingelegt. Der ehemalige Belle-Époque-Bahnhof ist wohl eines der schönsten Museen in Paris, das vor allem die Herzen von Impressionisten-Fans höherschlagen lässt. Dementsprechend umlagert sind die Werke von Monet, Manet und Renoir und natürlich die Balletttänzerinnen, die Edgar Dégas porträtierte.
Ein bisschen Ruhe lässt sich dagegen auf der Galerie des Sculpteurs unter dem filigranen Glasdach des ehemaligen Gare d’Orsay finden. Dort gibt es unter anderem das Höllentor von Auguste Rodin, aber auch Skulpturen der Bildhauerin Camille Claudel zu entdecken, die in ihrem Schaffen ihrem Geliebten durchaus ebenbürtig war.
Zurück im Montmartre weht von einer Akkordeonistin vor der Métro das melancholische Chanson „Sous le ciel de Paris“ herüber. Eine letzte Nacht unter dem Himmel der französischen Kapitale. Und Paris, das uns belebt und verführt, wie es Klaus Hoffmann in seiner Version von Jacques Brels „Walzer der 1000 Takte“ formuliert hat, liegt uns noch einmal unterhalb der Kathedrale Sacré-Coeur glitzernd zu Füßen. Der Champagner moussiert in den mitgebrachten Kristallkelchen. Santé und au revoir Paris, mon amour!