Erst wurde die Präsenzpflicht an den Schulen aufgehoben, dann eine Ausgangssperre verhängt: Weil die Zahl der Corona-Fälle in der Wesermarsch sprunghaft angestiegen und der Inzidenzwert einer der höchsten in Deutschland ist, wurde der Landreis in den Ausnahmezustand versetzt. Seit Dienstag dürfen nur noch Menschen mit einer Sondergenehmigung zwischen 21 und 5 Uhr auf den Straßen unterwegs sein. Acht Fragen und Antworten zu einer Anordnung, die es noch nie im Kreisgebiet gegeben hat.
Wie kam es zur Ausgangssperre?
Während in den umliegenden Landkreisen die Zahl der Corona-Fälle sinkt, steigt sie in der Wesermarsch seit Wochen. Zuletzt erreichte die Sieben-Tage-Inzidenz einen Wert von 254 – nur im bayerischen Tirschenreuth lag er höher (316). Die Kreisverwaltung hat darum eine Ausgangssperre verhängt. Sie soll zunächst eine Woche dauern. Dass die Fallzahlen höher sind als andernorts, begründet Landrat Thomas Brückmann (parteilos) mit mehreren Virusausbrüchen in Pflege- und Behindertenrichtungen sowie einem sogenannten Spreader-Event in einem Verbrauchermarkt. Aber auch mit dem Fehlverhalten vieler Menschen bei Privatfeiern.
Wer ist von der Verfügung betroffen?
Die Anordnung gilt ausschließlich für die 90.000 Bewohner der Wesermarsch. Sie bedeutet nicht, dass Menschen aus anderen Kommunen den Landkreis in der Zeit der Ausgangssperre meiden müssen. Das zu unterbinden, ist nach Angaben der Kreisverwaltung aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Von der Ausgangssperre sind allerdings auch manche Landkreisbewohner ausgenommen. Zum Beispiel, wenn sie einen Arzt brauchen oder ein Medikament. Wenn sie Hilfsbedürftige in anderen Haushalten unterstützen. Wenn sie zur Arbeit müssen oder von der Arbeit wieder nach Hause. Und wenn sie mit dem Hund Gassigehen.
Wie reagiert der Handel?
Es gibt mehrere Geschäfte in der Wesermarsch, die bis zum späten Abend geöffnet haben. Zum Beispiel der Supermarkt von Torben Maaß. Seine Edeka-Filiale in Lemwerder schließt um 20 Uhr. Maaß geht davon aus, dass das auch während der Ausgangssperre so bleiben wird. Er meint, dass die Zeit sowohl für die späten Kunden reichen wird, noch rechtzeitig nach Hause zu kommen, als auch für seine Mitarbeiter. Ihm zufolge wohnen alle 15 Minuten entfernt. Die Lidl-Geschäftsstelle im Ort hat länger auf – bis 21 Uhr. Unternehmenssprecherin Isabel Lehmann sagt, dass die Filialen jeweils an die geltenden Verordnungen angepasst werden.
Was ist mit dem Fährbetrieb?
Auch wenn Andreas Bettray fest davon ausgeht, dass die Zahl der Pendler in dieser Woche wegen der Ausgangssperre noch einmal deutlich sinken wird, soll der Fahrplan so bleiben, wie er ist. Der Fährchef sagt, dass allein wegen der Lastwagen, die Lieferungen mal für niedersächsische, mal für Bremer Unternehmen haben, einen verringerten Takt unmöglich machen. Und weil der Schiffsbetrieb ein Schichtbetrieb ist, der auch einen Crewwechsel am frühen Morgen bedeutet, hat er den Beschäftigten jetzt Passierscheine ausgestellt. Bettray rechnet gerade an den Anlegern auf niedersächsischer Seite mit vielen Polizeikontrollen.
Wer überwacht die Ausgangssperre?
Nach Angaben von Lorena Lemke und Patrick Hublitz werden in der Wesermarsch deutlich mehr Einsatzkräfte unterwegs sein als sonst, vor allem nachts. Die Sprecherin der Polizeiinspektion in Delmenhorst und der Chef der Polizeiinspektion in Nordenham kündigen so viele Beamte an, dass die Kontrollen in städtischen Gebieten genauso umfangreich ausfallen werden wie in ländlichen. Zahlen nennt weder die eine noch der andere. Stattdessen sprechen beide von personeller Verstärkung für die Inspektionen, Reviere und Wachen. Und davon, dass die Beamten den Kräften des Ordnungsamtes quasi zuarbeiten.
Welche Strafen drohen?
Verstöße gegen die Anordnung sollen mit einem Bußgeld geahndet werden. Hans Kemmeries sagt, dass sich die Kreisverwaltung dabei an den Summen anderer Kommunen orientiert hat, die ebenfalls wegen steigender Corona-Zahlen vorübergehend eine Ausgangssperre verhängen mussten. Der Erste Kreisrat geht von 200 Euro aus, die es kosten soll, wenn jemand ohne triftigen Grund in der Zeit von 21 und 5 Uhr außerhalb seiner Wohnung oder Hauses von Beamten angetroffen wird. Und von einem mehr als doppelt so hohen Betrag, wenn einer ein zweites Mal gegen die verhängte Ausgangssperre verstößt.
Was folgt, wenn die Zahlen nicht sinken?
Die Kreisverwaltung will am Freitag entscheiden, ob die einwöchige Ausgangssperre den Effekt hatte, den sie sich von ihr erhofft – oder ob weitere Einschränkungen notwendig werden, um die Fallzahlen in der Wesermarsch zum Sinken zu bringen. Landrat Brückmann will erst dann die Verordnung zurücknehmen, wenn der Inzidenzwert deutlich unter der 200er-Marke ist. Bleibt sie darüber, ist es für ihn keineswegs ausgeschlossen, dass die Ausgangssperre verlängert und unter Umständen auch ausgeweitet wird. Und dass eventuell weitere Einschränkungen dazukommen. Welche das sein könnten, lässt er momentan noch offen.
Wie ist die momentane Lage?
Der Inzidenzwert ist inzwischen geringfügig gesunken. Er liegt derzeit bei 239,3. Dagegen ist die Zahl der an Corona erkrankten Menschen im Vergleich zu Freitag um fünf Personen auf mittlerweile 1789 gestiegen. Die neuen Covid-19-Fälle verteilen sich auf Jade (plus eins), Nordenham (plus 3) und Brake (plus eins). Zuletzt hatte das Niedersächsische Landesgesundheitsamt allein für die Kreisstadt einen Anstieg um 30 Neuinfizierte an einem Tag gemeldet. Die Zahl der Todesfälle ist nach Angaben der Behörde noch mal um sechs gestiegen. Bei ihnen handelt es sich um drei Menschen aus Elsfleth und jeweils eine Person aus Brake, Stadland und Butjadingen.
Bürger akzeptieren Ausgangssperre
Auf der Internetseite der Gemeinde Berne begrüßt Bürgermeister Hartmut Schierenstedt die Besucher „in der beschaulichen Gemeinde zwischen Oldenburg und Bremen“. Derzeit stehen Berne, Lemwerder und die anderen Gemeinden des Landkreises Wesermarsch jedoch aufgrund hoher Corona-Fallzahlen und der nächtlichen Ausgangssperre bundesweit im Fokus der Öffentlichkeit.
„Ich habe diese Einschränkung angesichts der hohen Inzidenz im Landkreis Wesermarsch erwartet“, sagt Hartmut Schierenstedt. Auch Berne habe am Montag 16 Corona-Fälle registriert. „Ich empfinde die Maßnahmen nicht als zu massiv. Und wir ordnen uns unter. Schließlich sind wir als Kommune ja nur ein Neuntel des Landkreises.“ Und damit könnten auch die Bürger umgehen, schließlich gelte es, die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems aufrechtzuerhalten.
Ähnlich sieht das Jutta Zander: „Das kam für uns nicht überraschend. Der hohe Inzidenzwert war ja ein Signal für die mögliche Ausgangssperre“, sagt die 52-jährige Vertreterin der Bürgermeisterin Regina Neuke. In den vergangenen Tagen habe sich die Maßnahme in den Sitzungen von Bürgermeistern, Landrat und Krisenstab zudem bereits abgezeichnet.
„Aktuell rufen aber viele Bürger im Rathaus an und erkundigen sich, wie die Auflagen auszulegen sind“, sagt Jutta Zander. „Die Sorgen der Bürger sind gewachsen, und sie wollen nichts falsch machen.“ Die Anfragen kämen aus allen Teilen der Bevölkerung. „Leider ist bei uns im Rathaus der Krankenstand sehr hoch. Etwa die Hälfte der 25 Mitarbeiter ist nicht im Dienst, erklärt Jutta Zander und bittet um Verständnis, dass nicht immer alles reibungslos laufe. „Wir tun, was wir können.“
Landkreis richtet Hotline ein
Kurz nach der Ankündigung der nächtlichen Ausgangssperre für die Wesermarsch klingelten die Telefone auf den Polizeirevieren und Wachen ohne Unterlass. Bei den Einsatzkräften gingen am Montag so viele Anrufe ein, dass die Leitungen lange Zeit für Notfälle blockiert waren. Alle hatten Fragen zur Anordnung, aber die Beamten nicht alle Antworten. Die Polizeiinspektionen Delmenhorst und Nordenham verweisen darauf, dass nicht sie die Ausgangssperre verhängt haben, sondern der Landkreis – und deshalb er Auskunft geben muss. Die Verwaltung in Brake hat jetzt eine Hotline eingerichtet: Fragen zur vorübergehenden Ausgangssperre werden ab sofort vom Bürgerservice des Gesundheitsamtes beantwortet. Die Telefonnummern lauten: 0 44 01 / 92 75 25 und 92 76 85.