Farge-Rekum. Vor 35 Jahren ist das durch den Bremer Künstler Friedrich Stein geschaffene Mahnmal am Bunker Valentin in Farge-Rekum eingeweiht worden. "Dieses Mahnmal soll den Zeitgenossen und den nachfolgenden Generationen helfen, aus dem Vergangenen zu lernen. Es soll uns für die Zukunft nachdenklich machen, damit wir für ein anderes Mal klug werden.“ Das sagte jetzt Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) in seiner Rede bei der Feier anlässlich des 35. Jahrestages der Einweihung.
Diese Sätze klingen aktuell, sie sind jedoch mehr als drei Jahrzehnte alt. Carsten Sieling zitierte in seiner Rede, was der damalige Bremer Bürgermeister Hans Koschnik (SPD) vor 35 Jahren, am 17. September 1983, im Rahmen der feierlichen Einweihung auf dem Platz vor dem Bunker Valentin gesagt hatte.
Der SPD-Ortsverein Farge-Rekum hatte die Veranstaltung jetzt zusammen mit der Landeszentrale für politische Bildung initiiert. „Natürlich ist dies nur der 35. Geburtstag, kein richtiges Jubiläum“, sagte die SPD-Ortsvereinsvorsitzende Ute Reimers-Bruns. Der Ortsverein habe mit dieser Feier jedoch ein Zeichen setzen wollen. Ein Zeichen gegen die, die den Denkort mit ihren Schmierereien verunziert hatten und ein Zeichen gegen den aktuellen Rechtsruck im Lande. Der Ortsverein wolle zudem anlässlich der Geschehnisse in Chemnitz und Köthen warnen.
Ute Reimers-Bruns freute sich, dass der Feier neben Petra Mglej, der Stieftochter des im Jahr 2003 verstorbenen Bildhauers Friedrich Stein, Bürgermeister Carsten Sieling und Christian Weber, Präsident der Bremischen Bürgerschaft, beiwohnten und mit ihren Redebeiträgen ein Statement gegen Hass, Unfrieden und Gewalt setzten. Carsten Sieling betonte, es sei jetzt wichtig allen Formen von Rassismus und Menschenverachtung, von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Homophobie mutig und entschieden entgegenzutreten. „Das ist eine der Lehren dieses Ortes und eine der Botschaften dieses Mahnmals. Es mag 35 Jahre alt sein, aber es ist aktueller denn je“, sagte der Bürgermeister.
Sieling erinnerte in seiner Rede auch daran, wofür sich die Errichter dieses Mahnmals damals eingesetzt hatten: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, jede Anstrengung für den Frieden in der Welt.“ Dieser Satz, verewigt auf der Texttafel am Sockel des Denkmals, sei wichtiger denn je. Dieses Mahnmal sei deshalb nicht nur Ausdruck der Erinnerung an die Zwangsarbeiter und Anerkennung der Schuld, die diese Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger damals auf sich geladen hätten, es sei auch Ausdruck einer bremischen Stärke: nämlich der Fähigkeit und Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sich kritisch mit der Geschichte ihrer Stadt auseinanderzusetzen. „Das hat lange gedauert“, bekannte Sieling, „aber spätestens mit der Einweihung des Mahnmals wurde dieser Ort dem Vergessen entrissen“.
Bürgerschaftspräsident Christian Weber erinnerte in seiner Ansprache noch einmal an den 17. September 1983. Damals habe eine beeindruckend große Menschenmenge der Einweihung des Mahnmals beigewohnt. Viele 100 Frauen und Männer aus Bremen nahmen damals teil und eine rund 80 Personen umfassende Delegation aus Frankreich, darunter viele ehemalige KZ-Gefangene mit ihren Familienangehörigen, war nach Bremen gekommen. Weber betonte, Bremen sei sich seiner Verantwortung bewusst. „Es kann gar nicht genug Mahnmale geben“, so der Bürgerschaftspräsident. Für viele Angehörige der Opfer seien diese Mahnmale oft der einzige Ort, an dem sie trauern könnten sowie die einzige Verbindung, der einzig würdevolle Bezugspunkt, zu ihren Vätern und Großvätern.
Einer, der durch deutsche Gräueltaten seinen Großvater nie kennenlernen konnte, ist Marc Hivernat. Sein Großvater Marius gehörte zu den 120 Männern, die im Sommer 1944 aus dem kleinen französischen Städtchen Murat in der Auvergne deportiert wurden und beim Bau des Bunkers Valentin Zwangsarbeit leisten mussten. Nur ganz wenige von ihnen kehrten in die Heimat zurück. Marc Hivernat war jetzt wieder nach Bremen gekommen, an den Ort, wo sein Großvater so großes Leid erdulden musste und im Dezember 1944 starb.
Marc Hivernat berichtete in einer ebenso berührenden wie bedrückenden Ansprache von seinen Gefühlen, den Erzählungen seines Vaters, den Veränderungen seiner Heimatstadt und den 120 Männern, die verschleppt worden sind. „Das hat unsere Stadt verändert“, sagte Marc Hivernat. „Ich kenne die Geschichte meines Großvaters nur durch Erzählungen meines Vaters“, berichtete er. Der sei damals gerade 16 Jahre alt gewesen. Je mehr die Zeit vergeht, desto mehr Geschichten gingen verloren, sagte der Gast aus Frankreich. „Wir dürfen die kleinen Geschichten nicht vergessen“, mahnte er, „denn die kleinen Erzählungen speisen die große Geschichte“. Auch bei ihm sei das Erinnerungsbewusstsein erst langsam gewachsen. Erst im Jahr 2012 sei er erstmals in Bremen gewesen. Damals habe er registriert, dass er im selben Alter war, wie damals sein Großvater, als er verschleppt wurde und dass seine Tochter so alt war, wie damals sein Vater.
Marc Hivernat bedankte sich bei allen, die am Aufbau des Denkorts Bunker Valentin beteiligt waren und weiterhin beteiligt sind. 80 000 Besucher seit dem Jahr 2015 seien eine gute Sache, doch erst der Anfang. Farge sei ein Ort von internationaler Bedeutung. Wie wichtig die Erinnerungskultur sei, zeige auch ein Beispiel aus seiner Heimatstadt. Eine Straße in Murat sei nach den Ereignissen im Jahr 1944 benannt worden, doch vier von fünf Schülern aus Murat wüssten gar nichts über die Bedeutung, beklagte Marc Hivernat. Die Welt erlebe gerade einen tief greifenden Wandel. „Wir müssen wachsamer sein denn je“, betonte Hivernat, denn die Barbarei lauere wieder vor der Tür.