Farge. „Im Mittelalter galt jemand erst als gestorben, wenn sich niemand mehr an den Menschen erinnerte“, sagt Carla Johanna Frese, die als freie Kunstwissenschaftlerin am Denkort des U-Boot-Bunkers tätig ist, und ergänzt: „Spuren aktivieren unsere Erinnerungen, ob sie bewusst hinterlassen wurden oder unabsichtlich.“
Spuren von Menschen sind Gegenstand einer Installation des Schweizer Klangkünstlers und Musikers Robert Aeberhard, die im Denkort Bunker Valentin zu sehen und zu hören ist. Auch wenn die Ton- und Videoproduktion von Robert Aeberhard „spurlos“ heißt, macht sie Spuren sichtbar: Verewigungen, die nach dem Tod von Menschen zurückblieben. Zwei Arten von Spuren hat Robert Aeberhard aufgezeichnet: Zum einen sind es Grabstatuen von Fabrikanten, Generälen oder Politikern auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise, zum anderen Spuren, die Zwangsarbeiter im Bunker Valentin während der NS-Zeit hinterlassen haben.
In der riesigen Halle des U-Boot-Bunkers Valentin projiziert Robert Aeberhard auf zwei große Betonwände Fotografien, untermalt mit Tönen, Geräuschen und Musik. „Die Statuen auf dem Friedhof dienten dazu, nicht vergessen zu werden, am Bunker waren es im Wesentlichen Fußabdrücke – sie sind oft das Einzige, was wir von einem Zwangsarbeiter noch kennen“, sagt Robert Aeberhard.
Zur Eröffnung seiner Installation führte Robert Aeberhard jetzt eine Performance auf, bei der er am Mischpult spontan Töne gemischt und ihre Lautstärken verändert hat. Zu einem durchlaufenden Ton gesellten sich bald klackende und plätschernde Geräusche, ein Schnalzen, Sirren oder Blubbern ließen die Zuhörer ungewohnte, nie gehörte Klangsphären vernehmen, in denen nur ab und zu Töne auftauchten, die sich eindeutig identifizieren ließen: Gebell und Jaulen von Hunden, harte Schläge gegen Metall - Bedrohliches, das im gespenstischen Inneren des Bunkers um so unheimlicher wirkte. Gegen Ende der Performance drängten sich immer stärker Geräusche strandender Wellen in den Vordergrund – das Meer wurde lauter, eine Metapher für die Unendlichkeit.
Der Künstler befasst sich intensiv mit der akustischen Umwelt. „Ich bin eigentlich Musiker und komme von den Instrumenten her“, sagte er, „doch dann hat sich mein Interesse auf den gesamten Bereich der Natur erweitert.“ So hat er zum Beispiel Töne aufgezeichnet und in Installationen eingebaut, die beim Schmelzen von Schnee entstehen, denn beim langsamen Auflösen der Kristalle entstehen knisternde Geräusche, die vom menschlichen Ohr normalerweise nicht hörbar sind. Bereits vor der Bunker-Performance hat Robert Aeberhard Toninstallationen mit Geräuschen erstellt, die man normalerweise nicht hört, zum Beispiel mit Brummtönen, unter denen Menschen leiden, die unter starkem Stress stehen und die vom Gehirn erzeugt werden.
„Robert Aeberhard hat im Sommer den U-Boot-Bunker akribisch nach Spuren durchsucht und Töne aufgezeichnet“, erklärte Christel Trouvé, wissenschaftliche Leiterin am Denkort. Und Aeberhard ergänzte, dass er durch eine Fernsehdokumentation über den U-Boot-Bunker auf die Idee gekommen sei, nach Bremen-Nord zu reisen und aufs Dach des Bauwerks aus der Zeit des deutschen Faschismus zu klettern. Dabei musste er teilweise in der Höhe angewehten Sand und Kies beseitigen, um auf die Spuren zu stoßen. Was er fand, waren Stiefelabdrücke, aber auch Spuren von Zementsäcken, die sich Zwangsarbeiter um ihre geschundenen Füße gewickelt hatten, weil sie keine Schuhe mehr besaßen. An manchen Stellen sind die Fußspuren tief in den Beton eingedrückt, ein mögliches Indiz dafür, dass die Gefangenen schwere Lasten schleppen mussten.
Diese kläglichen Spuren von Menschen, die im Bunker gearbeitet haben, bilden in der Installation von Robert Aeberhard gleichsam den minimalistischen Gegenpol zu den höchst naturalistischen Porträts vom Friedhof Père Lachaise. Die dort Bestatteten ließen mit Gipsmasken einen Abdruck ihres Gesichts anfertigen, so dass die Plastiken den damals Lebenden aufs Haar gleichen – so steht die Anonymität der Opfer gegen die Individualität gut situierter Großbürger, und in der großen Halle des Bunkers mit der zerbombten Decke entfaltet dieser Kontrast unweigerlich ein Nachdenken über vermeintliche Größe und Nichtigkeit des kurzen menschlichen Lebens.
Am Ende der Installation folgen die Fußspuren im Beton in blitzschnellem Wechsel dem Rhythmus der Musik, und ähnlich wie in seiner akustischen Performance endet auch die Installation von Robert Aeberhard versöhnlich: Harmonische Klaviermusik, dezent mit Schlagzeug untermalt, schwillt immer stärker an und wird breit und mächtig wie die hohen Wellen des Ozeans.
Die Ton- und Videoinstallation „spurlos“ von Robert Aeberhard ist noch bis Freitag, 16. November, im Denkort Bunker Valentin, Rekumer Siel, zu sehen und zu hören. Die Öffnungszeiten sind dienstags bis freitags sowie sonntags von 10 bis 16 Uhr. Der Eintritt ist frei.