Gefüllte Weinblätter, Börek und Bulgur-Salat stehen auf der Speisekarte. Aber nicht im türkischen Restaurant – oder um genau zu sein: im kurdischen – sondern in der Küche der Grasberger Kirchengemeinde. Und natürlich nicht fix und fertig, sondern zum Selbermachen. Güli Ertem entführt in einem Kochkursus des Familienbündnisses in die Küche ihrer Heimat.
Ein bisschen geht es zu wie bei einer Konfirmandenfreizeit mit Selbstverpflegung. Ob es daher kommt, weil im Grasberger Gemeindehaus gekocht wird? Am Alter der knapp 20 Teilnehmer kann es jedenfalls nicht liegen, denn die meisten von ihnen sind gestandene Hausfrauen. Oder Hausmänner, denn neben dem Journalisten hat sich auch Thomas für den kurdischen Kochkursus des Grasberger Familienbündnisses angemeldet. Nachnamen spielen in der Küche keine Rolle, bei Kursleiterin Güli Ertem sind sowieso alle per Du: Ob sie sich wie die meisten Teilnehmerinnen schon zuvor kannten oder sich beim Weinblätter-Drehen das erste Mal begegnen, ist egal.
Auch mit der Teilnehmerzahl hat man es nicht so ganz genau genommen, so ist es in der Küche ein wenig eng und das Arbeitsgerät mitunter knapp. Neben den mit Reis gefüllten Weinblättern soll es einen Salat aus Bulgur und Gemüse sowie Böreks mit zweierlei Füllung geben. Nachdem bereits das Klischee von den bestimmt ausschließlich weiblichen Teilnehmern nicht stimmt, steht am Beginn gleich eine zweite Überraschung: Wer pünktlich kommt, ist schon zu spät. Güli, ihre Schwester Necla und die ersten Teilnehmerinnen sind bereits fleißig am Schnibbeln – den großen Schüsseln voll Paprika, Tomaten und Zwiebeln nach zu urteilen nicht erst seit wenigen Minuten.
Der Einstieg ist denkbar unkompliziert. Es gibt ein Stück Kreppband, auf dem nur „Lars“ steht. Der wird ans Hemd geklebt, und eine resolute Dame, deren improvisiertes Namensschild sie als „Jutta“ ausweist, schiebt ein paar Lachzwiebeln rüber. „Schneid mal schön klein“, lautet die klare Ansage. Gar nicht so einfach, wenn es statt Arbeitsbrett und scharfem Messer wie zu Hause nur einen Teller und eine reichlich stumpfe Brotsäge dafür gibt. Irgendwie gelingt es trotzdem, das Ergebnis findet Gülis Zustimmung. Feuertaufe bestanden. Das Eis, das eigentlich gar nicht da war, ist spätestens jetzt gebrochen.
Langsam wird auch der Plan der Küchenchefin deutlich, die ihr Können von der Mutter gelernt hat und auch ohne entsprechende Ausbildung eine kompetente Köchin ist. Nach den Vorarbeiten für den späteren Salat geht es an die Böreks. Die Teigtaschen bestehen aus einem ganz traditionellen Hefeteig, dem lediglich ein wenig Öl zugefügt wird. „Wie viel?“, möchte eine Teilnehmerin wissen. „Nach Gefühl“, lautet die Antwort. Die Frage, ob es einfaches Sonnenblumen- oder doch lieber Olivenöl sein soll, wird so undogmatisch gehandhabt wie alles andere auch. Auf jeden Fall wird der Teig recht dünn angesetzt, es muss ordentlich matschen beim Kneten. „Wenn man gerade auf seinen Mann sauer ist, geht‘s besonders gut“, sagt Güli und meint: Etwas Kraft durch Aggression verhilft zum besseren Ergebnis.
Während der Teig geht, kommen die Weinblätter dran. Für die Füllung wird der spezielle Rundkornreis mit den anderen Zutaten kurz angeschwitzt, aber nicht gekocht. Er zieht erst später zusammen mit den Blättern gar. Die kann man selber, wenn man denn einen Rebstock hat, frisch zupfen oder in Salzlake konservieren. Varianten mit anderen Blättern, beispielsweise Haselnuss, gibt es wohl auch. Necla aber meint: „Davon wird einem nur übel!“ Im türkischen Lebensmittelhandel sind Weinblätter übrigens schon fertig eingelegt in einem großen Glas zu bekommen.
Türkisch oder kurdisch? Für Güli spielt das keine Rolle, die Küche unterscheide sich sowieso nur minimal. Die Kurden kochten vielleicht etwas rustikaler und bäuerlicher, meint sie.
Nun ist aber doch Genauigkeit gefragt, denn es gibt klare Vorstellungen, wie das fertige Erzeugnis auszusehen hat. Die Strunkstruktur der Blätter gehört auf jeden Fall nach innen, der Reis in die Mitte. Stiel entfernen, Seiten einklappen und zusammenrollen, sodass von der Füllung nichts mehr herausguckt. Nicht zu stramm, denn der Reis quillt noch auf, und die Röllchen würden sonst platzen. Eigentlich ganz einfach, zumindest wenn man schöne große Blätter hat. Aber zu sicher sollte man sich seiner Sache nicht sein. Einmal nicht aufgepasst, schon sind die unschönen „Krampfadern“ außen, wie bei dem Exemplar meiner Tischnachbarin. Es hilft nichts, Pamela muss ihr Blatt wieder auspacken und noch einmal richtig herum rollen. Bei ihren Weinblättern versteht Güli keinen Spaß. Sonst schon.
Meistens geht es nach Gefühl
Es geht locker zu in der Küche. Tomaten häuten? „Kann man machen, muss man nicht, wenn man sie klein schneidet“, findet die Köchin, die beim Füllen auf den Löffel verzichtet. Sie habe ja Hände, so die einleuchtende Begründung. Die Blätter werden in einen großen Kochtopf geschichtet und mit Wasser bedeckt, zuvor kommen ein paar Stängel oder ähnliches hinein, damit beim Kochen nichts am Boden ansetzt. Obendrauf ein alter Teller zum Beschweren, und weiter geht es mit den Böreks. Die Wickeltechnik ist ähnlich. Der Teig wird zuvor mit Öl statt mit Mehl dünn ausgerollt und in Dreiecke geschnitten. Für die Käsefüllung kann er etwas dicker sein, für die Hackvariante nicht. Dafür ist besonders bei ersterer Präzisionsarbeit angesagt. Der alles entscheidende Merksatz lautet: Käse findet immer einen Weg! Soll heißen: Undichte Stellen werden später beim Backen gnadenlos aufgedeckt.
Wer zu wenig Öl nimmt, den bestraft der Hefeteig. Gingen die ersten Böreks noch locker von der Tischplatte, so klebt es bei den filigran dünnhäutigen der zweiten Produktionsserie enorm. Da hilft auch kein sanftes Schaben mit dem Messer, vorzeigbarer werden diese Exemplare nicht. Schmecken tun sie später trotzdem. Nach dem Backen sind auch die Weinblätter durchgegart. Für den Bulgur-Salat, den man stattdessen auch mit Couscous herstellen könnte, werden die vorbereiteten Zutaten nur noch gemischt, und mit ein wenig Improvisation entsteht noch ein schnelles Zaziki zum Dippen dazu.
Rundum zufrieden sind Küchenchefin und Teilnehmer mit dem Ergebnis, und beim gemeinsamen Essen im Gemeindehaus kommt wieder diese Konfirmandenfreizeit-Stimmung auf. Nur damals hat es selten so gut geschmeckt, glaubt man sich zu erinnern. Die Portionen sind mehr als reichlich, auch das wird nicht so genau abgemessen. „Es hat immer für alle gereicht, so bin ich aufgewachsen“, sagt Güli Ertem zum Abschluss. Für das, was übrig bleibt, hat die kluge Hausfrau vorgesorgt und den einen oder anderen Tuppertopf wie selbstverständlich dabei. Daran hat der Journalist nicht gedacht. Er bekommt einen gut gefüllten Pappteller mit..
Gefüllte Weinblätter
Zutaten:
500 g in Lake eingelegte Weinblätter
1 kg Rundkornreis
1 große Zwiebel
1 - 2 Knoblauchzehen
250 g Tomatenmark oder 3 bis 4 große, fein gewürfelte Tomaten
150 g Naturjoghurt
1/2 Bund Petersilie
6 Minzblätter
30 ml Sonnenblumen-Öl
30 ml Olivenöl
1 Tasse Wasser
Pfeffer oder türkisches Chili-Pulver
Zubereitung:
Weinblätter waschen und zirka fünf Minuten in Heißwasser einlegen, dann mit kaltem Wasser abspülen. Die Zwiebel und die Knoblauchzehen schälen, fein hacken und im Sonnenblumenöl glasig werden lassen. Salz, Pfeffer und Tomaten(mark) dazugeben und mit etwas Wasser abschrecken. Reis waschen und dazugeben. Petersilie und Minze klein schneiden, Joghurt und Olivenöl dazugeben und richtig mischen. Weinblätter auf die glatte Vorderseite legen, sodass die Füllung auf die Stilseite (Rückseite) des Blattes kommt. Die Längsseiten der Blätter werden nun über die Füllung geklappt. Die Blätter dann bis zur Spitze aufrollen. Die eingerollten Weinblätter in einen Topf eng aneinander schichten und mit einem umgedrehten Teller beschweren. Den Topf mit so viel Wasser füllen, dass die Blätter gut bedeckt sind. Etwa 30 Minuten garen.