Seit 1964 gibt es den bundesweiten Wettbewerb „Jugend musiziert“. In der Einladung zur 56. Auflage des Wettbewerbs heißt es: „Der große musikalische Jugendwettbewerb motiviert Jahr für Jahr Tausende von jungen Musikerinnen und Musikern zu besonderen künstlerischen Leistungen. Der Wettbewerb ist eine Bühne für alle, die als Solisten oder im Ensemble ihr musikalisches Können in der Öffentlichkeit zeigen und sich einer fachkundigen Jury präsentieren wollen.“ Jugend musiziert habe seit seiner Gründung dem Musikleben in Deutschland wesentliche Impulse gegeben.
Doch damit scheint jetzt Schluss zu sein – zumindest in Bremen-Nord. Denn erstmals in der Geschichte des Wettbewerbs musste die Regionalausscheidung für diesen Bezirk der Musikschule Bremen ausfallen. „Wir haben nur vier junge Musiker, die leistungsmäßig an diesem Wettbewerb teilnehmen können“, sagt Elke Gerkan-Rieke, die Leiterin der in Grohn beheimateten Zweigstelle. Lediglich drei zehn- und elfjährige Musiker und ein 16-jähriger Geigenschüler wollten sich demnach der Jury stellen. „Mit dieser geringen Schülerzahl kann man keinen Wettbewerb durchführen“, bedauert Elke Gerkan-Rieke.
Die vier Nordbremer Musikschüler konnten alternativ nach Bremerhaven fahren, um gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern der Bremerhavener Musikschule ihre Fähigkeiten zu messen. In Bremerhaven sei der Trend aber grundsätzlich ähnlich, schildert Elke Gerkan-Rieke. Auch in der Seestadt gäbe es kaum noch Schülerinnen und Schüler, die zum einen den Leistungsnachweis erbracht haben, an „Jugend musiziert“ teilnehmen zu können, zum anderen auch die Lust haben, sich für einen derartigen Wettbewerb zu quälen. Deshalb entschied man sich für einen gemeinsamen Wettbewerb. „Wer etwas erreichen will, der muss lernen und immer wieder üben“, sagt Elke Gerkan-Rieke. Das sei im Sport so, aber genauso in der Musik. Doch die Bereitschaft dazu nimmt immer weiter ab. Die Leiterin der Nordbremer Musikschule beobachtet diese Entwicklung schon seit Längerem und findet sie „erschreckend“. Früher habe sie zehn bis 20 Kinder und Jugendliche für diesen Wettbewerb anmelden können. Dass jetzt sogar der Regionalentscheid ausfallen musste, ist für Elke Gerkan-Rieke „sehr, sehr traurig“.
Die Gründe für diesen Abwärtstrend sind für Elke Gerkan-Rieke vielschichtig. Sie benennt sie auch ganz offen. „Viele Kinder wollen nicht mehr üben, wollen das Instrument sofort beherrschen, haben keine Lust und keine Ausdauer, sich durchzubeißen.“ Für Smartphone und Playstation hätten sie Zeit, nicht aber für ein Musikinstrument. Kritik übt die Schulleiterin aber auch an den Eltern. Viele Eltern gäben ihr Kind einfach nur ab. Oft fehle das Interesse am Hobby des Kindes. Wenn beide Elternteile auch noch arbeiten gingen, fehle ihnen aber auch einfach die Zeit, sich intensiv um die Belange des Kindes zu kümmern.
Hinzu kämen die verlängerten Schulzeiten, die der Musikschule Probleme bereiten, ähnlich wie den Sportvereinen. Kooperationen mit Sportvereinen greifen da offenbar noch besser als die Zusammenarbeit mit den Musikschulen. Für viele Politiker zähle der Sport mehr als die Kultur.
Nach Meinung einiger sei die musikalische Ausbildung immer noch ein Stück weit elitär. Doch dies, so Elke Gerkan-Rieke, stimme nicht. Musikalisch gut ausgebildet zu werden, sei keine Kostenfrage. Kinder aus finanziell schlechtergestellten Familien würden unterstützt. „Es liegt vor allem am Willen“, sagt Elke Gerkan-Rieke, und als Beleg nennt sie den einzigen Nordbremer Jugendlichen, der in Bremerhaven seine Geigenkünste unter Beweis gestellt hat. Der 16-Jährige ist ein Flüchtlingskind. „Er will unbedingt Musiker werden und dafür übt er jeden Tag“, weiß die Grohner Schulleiterin. Doch unter den aktuell rund 500 Musikschülern in Bremen-Nord gäbe es eben kaum noch so leistungsbereite.
Eines hat Elke Gerkan-Rieke in all den Jahren als Musiklehrerin auch festgestellt: „Es gibt ein Nord-Süd-Gefälle.“ Im Süden liege die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die an dem Wettbewerb teilnehmen, noch deutlich höher als im Norden. Doch selbst in den nördlichen Gefilden der Republik gebe es gravierende Unterschiede. So fiele Bremen im Vergleich zu Hamburg und Hannover deutlich ab. Hamburg stecke viel mehr Geld in die Kultur, behauptet Elke Gerkan-Rieke. Und auch Hannover biete den Kindern und Jugendlichen ihrer Ansicht nach mehr Fördermöglichkeiten.
Ansätze, den Kindern die Musik und Instrumente wieder näherzubringen, gibt es aber durchaus auch in Bremen-Nord. „Wir arbeiten eng mit einigen Grundschulen zusammen“, erklärt Elke Gerkan-Rieke. Doch die Arbeit an der Basis zeigt die Probleme auf, mit denen die Musikpädagogen zu kämpfen haben. „Viele Kinder sind nicht in der Lage, sich zu konzentrieren, zuzuhören oder kleine Übungen auch zwei-, dreimal zu wiederholen. Sie können oder wollen nichts mehr selbst erarbeiten, nur noch konsumieren“, fällt sie ein hartes Urteil.
Dennoch hat Elke Gerkan-Rieke die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich dieser Negativtrend stoppen lässt. „Wir wollen 2020 wieder einen Regionalentscheid austragen“, sagt sie. Und auf alle Fälle im Jahr 2021. Denn dann soll das Bundesfinale in Bremen stattfinden.