Worpswede/Osterholz-Scharmbeck. Bis zuletzt bestritt der Bremen-Gröpelinger die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Er habe nur ein Bild von dem tödlichen Unfall verschickt, so der 80-Jährige. Er sei dabei geschlagen worden und habe dann mit einer „Abwehrbewegung“ reagiert. „Ich habe niemanden behindert. Ich weiß nicht, wie die auf den Bolzen kommen. Hier sind völlig falsche Angaben gemacht worden“, grantelte er.
Wegen Behinderung von Rettungskräften, unterlassener Hilfeleistung und Körperverletzung hatte er sich vor dem Osterholzer Amtsgericht zu verantworten. Ausgangspunkt war ein schwerer Verkehrsunfall am 17. Mai 2020 auf der Nordsoder Straße bei Worpswede. Ein Autofahrer hatte den Gröpelinger und dann zwei Motorradfahrer überholt. Er geriet auf den linken Seitenstreifen, zog den Wagen nach rechts und landete an einem Baum in der Böschung. Später stellte sich heraus, dass der Autofahrer den Unfall aufgrund einer psychischen Erkrankung möglicherweise absichtlich herbeigeführt hat.
Eine 21-jährige Nordsoderin hatte von ihrer Terrasse den Unfall verfolgt. Sie war als Zeugin vor Gericht geladen. „Das Auto kam von der Straße ab. Da waren eine Staubwolke und ein Knall“, hatte sie beobachtet. Sie habe sofort einen Notruf abgesetzt und sich als Ersthelferin um die Insassen gekümmert. „Ein Junge und sein Vater kamen aus dem Auto. Eine Frau war im Auto geblieben und verletzt.“ Als sie sah, dass der Senior von der Straße aus fotografierte, habe sie zu ihm gesagt: „Sie sollten lieber Hilfestellung leisten.“ Doch der ließ der Zeugin zufolge nicht von seinem Vorhaben ab. Sie habe dann versucht, das Handy wegzudrücken. „Da hat er zu mir gesagt: ,Fass mich nicht an.'“
Eine weitere Zeugin, eine 53-jährige Lilienthalerin, bestätigte weitgehend die Aussagen der 21-Jährigen. Sie war an dem Nachmittag gemeinsam mit ihrem Mann mit dem Motorrad unterwegs. Er fuhr vor ihr. Gegenseitig verständigten sie sich per Helmkommunikation. Ein Auto sei mit starker Geschwindigkeit von hinten angerast gekommen, erinnerte sie sich. Dabei habe sie Angst um ihren vor ihr fahrenden Mann bekommen und ihn gewarnt. „Das Auto schnellte dann von links nach rechts über die Straße. Das war eine beängstigende Situation.“
Schläge statt Hilfe
Das Fahrzeug habe zerschmettert auf dem Dach gelegen, so die 53-Jährige, eine ehemalige Krankenschwester. Sie sei die Böschung heruntergegangen, ihr Mann sicherte die Unfallstelle ab. „Ein Mann und ein Kind kamen aus dem Auto. Für beide war medizinische Hilfe erforderlich, aber nicht akut.“ Sie seien über die Straße begleitet worden. „Im Wagen lag eine Frau, blutend." Sie sollte den Unfall nicht überleben.
Dazu sei die Nordsoderin gekommen. Man habe sich einen Eindruck verschaffen wollen. „Aber wir hätten nicht ins Auto reinkommen können.“ Zum Zustand der Verletzten im Auto gab die 21-Jährige an: „Ich habe ihr gesagt, dass ihr Sohn noch am Leben sei.“ Doch ob die Verletzte da selber überhaupt noch am Leben gewesen sei, „da war ich mir nicht ganz so sicher“. Auch in dieser Situation machte laut der Nordsoderin der Gröpelinger noch Fotos. Sie habe zu ihm gesagt: "Hören Sie bitte auf, Fotos zu machen. Es wäre besser zu helfen.“ Dann sei der Mann, so die Lilienthalerin, die Böschung heruntergekommen. Sie habe zu ihm gesagt, er solle die Unfallstelle absichern. Doch dem entsprach er nicht. „Ich mach, was ich will“, sei die Reaktion gewesen.
„Lassen Sie das Filmen“, sagte auch die Motorradfahrerin zu dem Senior und versuchte, ihm das Handy aus der Hand zu nehmen. „Dann bin ich geschlagen worden, dabei ist meine Brille heruntergefallen.“ Ohne die sei sie völlig aufgeschmissen. Die Nordsoderin habe ihr aber geholfen, sie wiederzufinden. Der Mann mit dem Handy habe sich anschließend laut schimpfend davon gemacht.
Schon im Rahmen der Beweisaufnahme widersprach der Angeklagte immer wieder Strafrichterin Johanna Kopischke und der Staatsanwältin. Auf die Frage, ob er einer Helferin eine Ohrfeige versetzt habe, entgegnete der 80-Jährige: „Das stimmt nicht.“ Die Staatsanwältin beantragte eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung. Dazu regte sie eine Geldauflage von 800 Euro an. Sie beurteilte die Zeugenaussagen als übereinstimmend, detailreich und schlüssig. Sie hielt dem bislang unbescholtenen Angeklagten „egoistische Beweggründe“ vor. Das Gericht verurteilte ihn schließlich wegen Behinderung von Rettungskräften, unterlassener Hilfeleistung und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dazu kommt eine Geldauflage von 1000 Euro zugunsten der Johanniter-Unfallhilfe.
Sicherungsverfahren gegen psychisch kranken Unfallfahrer
Der Strafprozess wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gegen den Unfallfahrer war kurz vor Weihnachten nach nur zwei Tagen eingestellt worden, weil der Angeklagte sich als verhandlungsunfähig erwiesen hatte. Gegen den 53-Jährigen, der den Unfall am 17. Mai 2020 bei Worpswede vorsätzlich herbeigeführt haben soll, wird nun ein sogenanntes Sicherungsverfahren geführt. Es beginnt am Dienstag, 9. Februar, vor dem Landgericht Verden. Die 3. große Strafkammer hat zu prüfen, ob die unbefristete Unterbringung des Mannes in einer psychiatrischen Klinik anzuordnen ist. Die Voraussetzungen dafür liegen nach Auffassung der Staatsanwaltschaft vor. In ihrer Antragsschrift legt sie dem Beschuldigten zur Last, sein Auto mit hoher Geschwindigkeit vorsätzlich in den Straßengraben gelenkt zu haben. Seine Ehefrau (50) war ums Leben gekommen, der achtjährige Sohn erlitt einen Armbruch und ist seither traumatisiert. Bei dem 53-Jährigen besteht laut Sachverständigengutachten schon länger eine chronifizierte Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Die Staatsanwaltschaft geht von „sicher verminderter“ Schuldfähigkeit zur Tatzeit aus. Für die Hauptverhandlung sind vorerst sechs Fortsetzungstermine geplant.