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Die letzte Fähre der Mittelweser verkehrt zwischen Schweringen und Gandesbergen Christian, hol über

"He lücht" rufen Hamburger Jungs Touristen zu, wenn die Barkassenführer bei der Hafenrundfahrt mal wieder zu viel Seemannsgarn spinnen. Jede Menge Döntjes hat auch Fährmann Christian Müller parat. Der pensionierte Sonderschullehrer lotst die letzte Fähre der Mittelweser sicher ans andere Ufer, hat beim Überqueren des großen Stroms stets eine Handbreit Wasser unterm Kiel.
11.09.2012, 05:00 Uhr
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"He lücht" rufen Hamburger Jungs Touristen zu, wenn die Barkassenführer bei der Hafenrundfahrt mal wieder zu viel Seemannsgarn spinnen. Jede Menge Döntjes hat auch Fährmann Christian Müller parat. Der pensionierte Sonderschullehrer lotst die letzte Fähre der Mittelweser sicher ans andere Ufer, hat beim Überqueren des großen Stroms stets eine Handbreit Wasser unterm Kiel.

VON JÖRN DIRK ZWEIBROCK

Schweringen. "Andi, ist der Poller drin?", ruft Fährmann Christian Müller dem Fahrer des grünen Lasters zu. "Jo, isser", ertönt es aus dem Fahrerhaus. Untrügliches Zeichen dafür war das typische Klacken beim Einrasten. Und schon geht die Schranke hoch. "Ach, da kommt Eckart Noltemeier", hat Müller den Treckerfahrer sofort erkannt und befördert ihn mit seiner Hochseilfähre in Windeseile ans andere Ufer. Keine Minute vergeht und das Gandesberger Ufer ist erreicht. "Die Schweringer Bauern bewirtschaften auf der anderen Seite noch rund 300 Hektar Land. Der fruchtbare Marschboden bringt gute Erträge", erzählt der 75-Jährige.

Als pensionierter Sonderschullehrer ist er der Exot unter den Fährleuten. Sind sonst überwiegend Landwirte im Besitz des Schifferpatents, schippert Müller bereits seit Jahrzehnten ehrenamtlich mit der letzten Fähre der Mittelweser über das Wasser. Die Bauern möchten die Hochseilfähre zwischen Schweringen und Gandesbergen nicht missen, müssten sie doch sonst über Hoya oder Drakenburg einen Umweg von mindestens 17 Kilometern zurücklegen, wollen sie ihre Ländereien erreichen. Während der Erntezeit ist die Schweringer Weserfähre manchmal bis tief in die Nacht in Betrieb. Um ihre Männer zu entlasten, schieben die Bauersfrauen sogar Zusatzschichten. "Seit wir drei Fährfrauen an Bord haben, hängen draußen Blumenkästen und drinnen steht eine Kaffeemaschine. Kekse gibt es auch", freut sich Müller über die heimelige Atmosphäre.

Betrieben wird die Schweringer Fähre, die einzige zwischen Bremen und Minden, vom Realverband der Strohfelder in Schweringen. Sechs aktive Fährleute sorgen in der Saison von März bis Oktober dafür, dass jeder trockenen Fußes das andere Ufer erreicht. Der 40-Tonnen-Koloss misst insgesamt 25 Meter Länge, hat einen elektrischen Antrieb und zur Sicherung eine Grundkette. An einem Hochseil wird er über die Mittelweser geführt. Alle fünf Jahre müsse die Fähre zum TÜV, erklärt Müller. Dank Schifffunk, Kanal 10, weiß der Fährmann sofort, ob ein Binnenschiff aus Richtung Nienburg oder Hoya naht. "Früher mussten wir noch in den Spiegel gucken", erinnert sich Christian Müller. Übrigens: Die kürzlich verstorbene Schauspielerin Rosel Zech war Tochter eines Binnenschiffers und wuchs in Hoya, unweit von Schweringen entfernt, auf.

Doch wer steht denn jetzt am Gandesberger Ufer? Katharina Regenbrecht, eine Fahrradtouristin aus dem Rheinland. "Ich radele auf dem Weserradweg von Hannoversch Münden nach Bremen", erzählt sie. Die Überfahrt mit der letzten Fähre der Mittelweser wolle sie sich nicht entgehen lassen, kramt die sportliche Kölnerin in ihrem Portemonnaie, drückt dem Fährmann etwas Kleingeld in die Hand. Der Obolus beträgt einen Euro. Schon in der griechischen Mythologie ist vom Obolus die Rede. Den Toten wurde eine Münze unter die Zunge gelegt, die als Fährgeld für den Fährmann Cheiron diente. Dieser beförderte die Toten dann über den Unterweltfluss ins Reich des Hades.

Mit seinem verwegenen Bart erinnert Schweringens Fährmann Christian Müller ein wenig an Käpt’n Iglo, seine gutmütige Art an Käpt’n Blaubär. Der kleine Christopher Kopp hat mit dem sympathischen Fährmann sofort Freundschaft geschlossen, besucht ihn fast jeden Tag an Bord der Weserfähre. In den Luftkurort Bruchhausen-Vilsen unterhält Christian Müller enge Beziehungen. Er ist nicht nur mit Margarete, einer Bruchhausen-Vilserin, verheiratet, sondern gehört dort schon lange zum Team des Weltladens. Wer einen der letzten Fährmänner der Mittelweser kennenlernen möchte, hat dazu am Wochenende, 15. und 16. September, die Gelegenheit. Dann feiert das idyllische Weserdorf Schweringen nämlich seinen 875. Geburtstag. "Wir stellen unsere alte Fährbude auf dem Sportplatz aus", lassen Christian Müller und die anderen Fährmänner und -frauen dort die Geschichte der letzten Hochseilfähre der Mittelweser Revue passieren. Natürlich jede Menge Döntjes und Seemannsgarn inbegriffen.

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