Verden. Es ist ein bisschen wie Eiskunstlaufen ohne Eis. Aber nicht annähernd so bekannt. Rollkunstlauf ist in Deutschland eine Randsportart. Gerade das ist ein Grund, warum Talissa Barbato und Paula Römer diesen Sport betreiben. Sie rollen deutschlandweit vorne mit.
Der Axel ist der Sprung aller Sprünge. Wer den beherrscht, gehört zu den Könnern. Theoretisch funktioniert das ganz einfach: Die Läuferin rollt rückwärts-auf dem rechten Bein, dann springt sie vorwärts auf dem linken Fuß ab, dreht sich in der Luft fast eineinhalb Mal um die eigene Achse und landet rückwärts auf dem rechten Fuß. Bevor Paula Römer und Talissa Barbato das auf ihren Rollschuhen hinbekommen haben, sind sie Tausende Male auf dem Hintern gelandet.
Mittlerweile springen sie den Axel fast im Schlaf. Die beiden Juniorinnen vom Verdener Rollsportverein gehören zu den besten Läuferinnen bundesweit. Aktuell sind sie Deutsche Vizemeisterinnen mit der Formation "Temptation". Das Video des Silberlaufs ist jedoch nicht im Internet zu sehen – schließlich soll niemand Ideen klauen.
Beim Formationslauf bewegen sich bis zu 24 Rollschuhläufer gleichzeitig auf dem Parkett. Mühlen, Kreise, Kreuze. In den glitzernden Trikots gleichen sie einem Sardinenschwarm, der sich synchron im Wasser bewegt. Viele Trainingsstunden vergehen, ehe solch eine etwa sechsminütige Choreografie sitzt. "Wenn da einer aus dem Takt kommt, fallen alle um wie die Fliegen", sagt Ilka Barbato. Sie begleitet ihre 15-jährige Tochter Talissa und deren zwölfjährige Schwester zu allen Prüfungen und Wettkämpfen und übernimmt auch schon mal die Aufsicht beim Training, wenn die Leiterin Johanna Röhren keine Zeit hat.
Mittwochs und freitags schlüpfen um die 20 Kinder und Jugendliche in die Rollschuhe. Die Jüngste bei den Minis ist gerade mal vier Jahre alt. Talissa und die 17-jährige Paula trainieren seit zehn Jahren. Sie hatten eine Rollschuh-Show gesehen und wollten das mal ausprobieren. "Es hat viel mit Musik, Tanz und auch Akrobatik zu tun, das hat mir gefallen", sagt Talissa. Ihre Sportart gehört zu den Exoten in Deutschland, das ist auch ein Grund, weshalb sie sich dafür entschieden haben. "Es ist cool, weil es so wenig Leute machen", meint Paula.
Genau der Exotenbonus wird den Rollkunstläufern zum Verhängnis. Der Sport lässt sich schlecht vermarkten, Sponsoren finden sich kaum. Im vergangenen Jahr qualifizierten sich Talissa und Paula mit ihrer Formation für die Weltmeisterschaft in Neuseeland. Das Team konnte nicht teilnehmen, weil die Reisekosten ohne Sponsoren nicht zu stemmen waren.
Allein die Profi-Rollschuhe, die mit den parallelen Rollen und Stoppern an der Vorderseite wie ein Relikt aus den 80ern wirken, kosten mindestens 500 Euro pro Paar. Im Jugendalter, wenn die Füße noch wachsen, ist das ein teurer Spaß. Um die kostspieligen Rollschuhe zu schonen, ziehen die Mädels im Training Strumpfhosen darüber. Um Geld zu sparen, nähen die Mütter die Kostüme. Auf dem schwarzen Body mit kurzem Röckchen glitzern mehrere Dutzend Blütenblätter. "Ich habe insgesamt 38 Stunden Pailletten aufgenäht und 24 Stunden lang Strasssteinchen geklebt", erzählt Ilka Barbato.
Perfekte Körperspannung
In der Ecke der Halle ist eine Musikanlage aufgebaut. Aus den Boxen rappen Fettes Brot. Auf dem Hallenboden sind neben Volleyball- und Badmintonlinien schwarze Kreise, Wellen, kleine Schlingen aufgezeichnet. Diese Linien müssen die Rollkunstläufer in den Pflichtprüfungen auf einem Bein in einer bestimmten Kombination abfahren. Talissa rollt auf einem Bein in gleichmäßigem Tempo auf den Linien entlang, sie wechselt die Richtung, verlagert das Gewicht auf die Kanten des Schuhs. "Man muss sich total konzentrieren und die ganze Zeit eine perfekte Körperspannung behalten. Das ist anstrengend", sagt sie.
In den Kürprüfungen muss je nach Leistungsklasse eine Choreografie mit bestimmten Elementen gezeigt werden. Neben dem schwierigsten Sprung, dem Axel, gibt es den Rittberger, den Salchow oder den Lutz. Alles Sprünge, die man aus dem Eiskunstlauf kennt. Auch die Todesspirale ist ein Element der Rollkunstläufer. Dabei dreht der Läufer seine Partnerin an nur einer Hand um seine Achse, sie berührt dabei fast den Boden. Doch die Todesspirale fällt bei den Verdener Rollkunstläufern aus Mangel an männlichen Partnern aus.
Talissa und Paula helfen im Training den anderen Mädels, beantworten Fragen, geben Tipps. Zuletzt trainierten sie mit der Formation für die Niedersächsischen Landesmeisterschaften in Einbeck an diesem Wochenende und die Deutschen Meisterschaften in August in Weil am Rhein – mindestens drei Mal in der Woche, am Wochenende folgt Leistungstraining mit der ganzen Mannschaft. Im Einzel werden die beiden aus Zeitgründen nur an wenigen Wettkämpfen teilnehmen. Aber auch da peilen sie hohe Platzierungen an. Den Axel üben sie dafür wieder, bis er perfekt ist.