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Nach dem WM-Aus Der deutsche Fußball braucht einen echten Neuanfang

Der Schock sitzt tief über das deutsche WM-Aus. Auch bei den Verantwortlichen des DFB-Teams. Dabei ist das Debakel kein Pech und kein Zufall. Jetzt sind grundlegende Veränderungen nötig, meint Jean-Julien Beer.
02.12.2022, 15:33 Uhr
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Der deutsche Fußball braucht einen echten Neuanfang
Von Jean-Julien Beer

Fehler werden im Spitzenfußball gnadenlos bestraft. Deshalb musste der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mit seiner Nationalmannschaft nun eine schmerzhafte, aber auch dringend notwendige Lektion einstecken: Das erneute Scheitern in der Vorrunde einer Weltmeisterschaft war kein Pech, sondern nur die logische Fortsetzung einer Fehlentwicklung, die schon beim peinlichen WM-Aus 2018 in Russland deutlich wurde. Bei der Europameisterschaft 2021 spielte das deutsche Team ebenfalls nur die Statistenrolle. In der Summe bedeutet das: Statt die Fehlentwicklungen zu korrigieren, wurde in Katar das dritte Turnier in Folge in den Sand gesetzt. Und das nur 18 Monate vor der Heim-EM 2024 in Deutschland.

In den kommenden Tagen will der DFB mal wieder jeden Stein umdrehen, diese „schonungslose Analyse“ hat Präsident Bernd Neuendorf angekündigt. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob der DFB sich diesmal traut, die überfälligen Konsequenzen zu ziehen. Nur den Trainer zu wechseln und Jogi Löw durch Hansi Flick auszutauschen, war offensichtlich kein wirksamer Schachzug.

Die Nationalelf hat ein Image- und ein Qualitätsproblem

Diese Nationalmannschaft hat andere Probleme, nämlich eklatante Defizite im Auftreten und in der Klasse ihrer Spieler und deshalb auch mit ihrem Image. Es ist kein Zufall, dass die Frauen-Nationalmannschaft in diesem Jahr eine höhere Einschaltquote im Fernsehen erreichte als die Männer. Die Fans wenden sich schon lange ab.

Die Mentalitätsdebatte, die Weltmeister Bastian Schweinsteiger als ARD-Experte angestoßen hat, ist genau richtig: Viele dieser Nationalspieler geben im DFB-Trikot nicht alles, um Erfolg zu haben und Misserfolg zu verhindern. Es fehlt das Herzblut, das andere Nationen zeigen. Deshalb eroberte der Bremer Niclas Füllkrug so schnell die Herzen, weil er mit einer ganz anderen Einstellung antrat. Das genügte, um positiv aufzufallen. Die Pomadigkeit der Generation Kimmich, Sané & Co. zeigte sich auch bei dieser WM wieder. So ein Auftreten in großen Spielen ist von Weltklasse weit entfernt.

Dass Bundestrainer Hansi Flick die Mentalitätsdebatte als „absoluten Quatsch“ abtut, hilft nicht. Auch Flicks Ansehen hat längst gelitten. Schon die Kader-Nominierung sorgte für ein irritiertes Echo: Wie kann man bei dieser Abwehrschwäche auf Mats Hummels verzichten? Beim ersten Spiel gegen Japan führten dann Aufstellung und Auswechslungen ins Verderben. Als es gegen Spanien besser wurde, fehlte Flick der Mut, das Gute im dritten Spiel beizubehalten. Drei Außenverteidiger zu verschleißen und Füllkrug nicht in der Startelf zu bringen – das war keine starke Trainerleistung.

Das DFB-Quartier war besser bewacht als das eigene Tor

Wie sehr sie beim Nationalteam immer noch in einer eigenen Welt leben, zeigte erneut das Quartier: Als einzige Mannschaft der Welt sonderte sich Deutschland ab, das Hotel lag 100 Kilometer vom WM-Geschehen entfernt in der Wüste und war besser bewacht als das eigene Tor. Viele im deutschen Fußball, und zwar Fans wie Funktionäre, finden das nur noch lächerlich. Zumal derlei Brimborium gar nicht zur Qualität dieses überbewerteten Kaders passt.

Der unbeliebte Slogan „Die Mannschaft“ wurde nach internen Machtkämpfen im DFB bereits abgeschafft. Nun wird es auch um die Zukunft von Oliver Bierhoff gehen, der als Manager des Nationalteams für den Schlamassel mitverantwortlich ist. Beim Thema „One-Love-Binde“ hatte sich der DFB schon blamiert, bevor das erste Spiel verloren war. Wer sich ernsthaft in einen Machtkampf mit dem Weltverband Fifa begibt, sollte vorher wenigstens die Turnierregeln lesen und dann nicht sofort einknicken, wenn die Fifa droht. Sonst braucht man sich gar nicht erst aufzuplustern.

Ein Umdenken muss her. Persönlichkeit und Mentalität sollten bei der Nominierung und bei der Ausbildung wichtiger sein als Talent. Ballbesitz, über das Tor schießen oder mehr Eckbälle sind keine Erfolgskriterien. Man kann auch nicht „fast weiterkommen“. Dass der Trainerstab größer ist als die Zahl der Torschützen, ist längst auch fragwürdig.

Es wäre falsch, so weiterzumachen, nur weil in 18 Monaten die Heim-EM ist: Mit diesem „sportlichen Konzept“ droht nur das nächste Debakel. Die Probleme sind so groß, dass es einen echten Neuanfang braucht. Wenn die Handelnden das anders sehen, sollten sie nicht Teil der Lösung sein.

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