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Opioidhaltiges Schmerzmittel Schmerzmittel als Partydroge: Delmenhorster Expertin warnt vor Sucht

Es fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz, obwohl es ein opioidhaltiges Schmerzmittel ist. Über die Gefahren von Tramadol spricht die stellvertretende Leiterin der Drogenberatung in Delmenhorst.
09.05.2025, 08:35 Uhr
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Schmerzmittel als Partydroge: Delmenhorster Expertin warnt vor Sucht
Von Kerstin Bendix-Karsten

In vielen Ländern wie den USA oder Frankreich wird es streng kontrolliert: das Schmerzmittel Tramadol. Denn es kann süchtig machen. Anders ist dies bisher in Deutschland. Auf der Liste der Betäubungsmittel, die die Bundesopiumstelle auf ihrer Internetseite veröffentlicht, findet sich Tramadol nicht. Jeder Hausarzt kann es verschreiben. Der Wirkstoff fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz, obwohl er zur Gruppe der Opioide gehört. "Das suggeriert eine Harmlosigkeit", sagt Cornelia Horn, stellvertretende Leiterin der Anonyme Drogenberatung (Drob) in Delmenhorst. Und das könne fatale Folgen haben.

Die stellvertretende Leiterin der Drob sieht Tramadol "kritisch", denn es sei potent, wenngleich nicht in dem Maße wie etwa Fentanyl. Das Problem ist ihres Erachtens nicht unbedingt, dass Menschen zur Bekämpfung starker Schmerzen Tramadol einnehmen: "Das ist okay. Wenn der Schmerz vorbei ist, hört man auf." Zumindest sollte das so sein. Sie sieht den verschreibenden Arzt in der Pflicht, "kritisch hinzugucken, ob ein längerer Gebrauch von Schmerzmitteln angebracht ist". Ein viel größeres Problem sieht Horn im Missbrauch von Tramadol, sprich, wenn hinter der Einnahme keine Schmerzgeschichte steckt, sondern unangenehme und unerträgliche Gefühle oder Ängste bekämpft werden sollen. "Es entsteht ein Level der Erträglichkeit", so Horn. Doch wenn man das Schmerzmittel weglässt, seien die alten Gefühle wieder da – und zusätzlich Entzugserscheinungen.

Beschaffung über den Schwarzmarkt

Wie die stellvertretende Leiterin der Drob weiter berichtet, seien Schmerzmittel früher ein Thema der älteren Generation gewesen. Das habe sich inzwischen gewandelt. "Tramadol wird in den letzten Jahren auch von jungen Leuten genommen", so Horn. Es sei eine Art Partydroge. "Das ist völlig unabhängig von Schmerzen", ergänzt sie. Die Beschaffung erfolgt ihrer Ansicht nach über den Schwarzmarkt. Dort sei Tramadol sehr präsent, weil es nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. "Dadurch ist die Verfügbarkeit eine andere", sagt Horn. Aus ihrer Sicht wäre es deshalb sinnvoll, Tramadol auf die Liste der Betäubungsmittel zu setzen.

Die stellvertretende Leiterin der Drob weiß, dass gerade Jugendliche empfänglich dafür sind, Schmerzmittel und andere Drogen auszuprobieren. Das liege an der besonderen Lebensphase. "Ein gewisses riskantes Verhalten gehört dazu", sagt Horn. Das Problem bei der Einnahme von Tramadol sei, dass die sozial-physiologische Entwicklung geschädigt wird. "Negative Gefühle werden unterdrückt. Man muss sie nicht aushalten", erläutert Horn. Doch genau das zu lernen, sei wichtig: "Misserfolge gehören zum Leben dazu", sagt sie.

Der Druck von außen

Eine Krankheitseinsicht ist laut der stellvertretenden Drob-Leiterin bei Jugendlichen in der Regel nicht da. So betreue die Einrichtung zwar auch junge Menschen, aber nur wenige. Zur Drob gefunden haben sie durch "Druck von außen", sagt Horn. Manchmal seien es Lehrer, die sich bei der Drob melden, weil sie sich Sorgen um einen Schüler machen. Manchmal seien es die Eltern. Obwohl die jungen Menschen nicht von sich aus zur Drogenberatung gefunden haben, sei die Chance auf eine Verhaltenskorrektur dennoch gut. "Oft geht es um einen Anstoß, dass die eingenommene Substanz nicht harmlos ist, nur weil sie verbreitet ist", erklärt Horn. Es gehe darum, Bewusstsein zu schaffen.

Genaue Zahlen, wie viele Menschen in Delmenhorst von dem opioidhaltigen Schmerzmittel Tramadol abhängig sind, kann Horn nicht nennen. Sie geht davon aus, dass die Dunkelziffer hoch ist, und zwar sehr viel höher als bei Alkohol. Das hat ihres Erachtens mehrere Gründe. "Die Klientel, die betroffen ist, sucht nicht schnell eine Beratungsstelle auf. Sie wartet lange", sagt Horn. Die Abhängigkeit von Tramadol sei eine "relativ cleane Sucht", die legitimiert ist, weil man es auf Rezept bekommt. Auch verändere die Sucht nicht sofort die Persönlichkeit. "Der Druck von außen ist nicht da, weil der Abhängige nicht auffällig ist", so Horn. Darüber hinaus geht die Fachfrau von einer "beträchtlichen Quote an Fehlzuweisungen" aus. Da das Schmerzmittel auch Ängste bekämpft, lande der Betroffene eher bei der Psychosomatik. Doch das gehe nicht das Grundproblem an. "Die Sucht muss vordergründig behandelt werden", betont Horn. Sie ist überzeugt: "Wenn die Sucht erfolgreich behandelt wurde, gehen auch die anderen Symptome weg."

Es ist nie zu spät

Wie die stellvertretende Drob-Leiterin weiter berichtet, werde die Diagnose – Abhängigkeit von einem Schmerzmittel – oft spät gestellt, doch es sei nie zu spät: "Es lohnt sich. Sucht ist gut zu behandeln." Vielen sei dies nicht bewusst. Das führt Horn vor allem darauf zurück, dass Menschen, die erfolgreich ihre Sucht bekämpft haben, nicht "in der Wahrnehmung" sind. Wahrgenommen würden vor allem Fälle, in denen es einen Rückfall gab. "Doch der Kampf gegen die Sucht ist nicht aussichtslos", betont die Fachfrau.

Süchtig zu werden, könne grundsätzlich jedem passieren. "Davor ist niemand gefeit", sagt die stellvertretende Drob-Leiterin. Das Risiko sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich hoch. Als entscheidenden Schutzmechanismus nennt die Fachfrau vor allem eines: Zutrauen in den eigenen Körper. "Der Körper schafft es, Dinge selbst zu regulieren und in den Griff zu bekommen", so Horn. Er brauche dazu in vielen Fällen keine Medikamente.

Info

Wer einen Weg aus einer Abhängigkeit sucht, findet bei der anonymen Drogenberatung (Drob) der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Delmenhorst an der Scheunebergstraße 41 eine Anlaufstelle (Telefon: 0 42 21 / 1 40 55, E-Mail: info@drob-delmenhorst.de, www.drob-delmenhorst.de).
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