Herr Nicolaus, Sie werden im April einen Vortrag mit dem Titel "Klima und Meereisforschung in der Arktis – Beobachtete Veränderungen und Eindrücke der MOSAiC Expedition" halten und von Ihrer Arbeit als Meereisphysiker berichten. Was genau haben sie erforscht?
Marcel Nicolaus: Den Klimawandel sehen wir in der Arktis besonders stark. Dort ist die Erwärmung stärker und das hat Auswirkungen auf uns. Das zu erforschen, ist ein wesentlicher Teil unserer Arbeit. Wir hatten im Jahr 2019/2020 eine große internationale MOSAiC-Kampagne und haben uns ein ganzes Jahr lang der Untersuchung der Wechselwirkungen gewidmet, um nachzuvollziehen, wie sich die Arktis verändert und warum sie sich so verändert, wie sie es tut.
Inwieweit hat sich das Klima über die Jahre verändert?
Wenn man den Klimawandel in der Arktis betrachtet und vor allem auf das Meereis schaut, sehen wir eine starke Abnahme des Meereises. Seit Ende der 70er-Jahre können wir das Meereis per Satellit beobachten und da sehen wir die Ausdehnung, also die Fläche, welche das Eis bedeckt vom Ozean. Wir sehen, dass das abnimmt und dass nicht nur die Fläche weniger wird, sondern auch die Dicke. Es ist nicht nur so, dass das Meereis sich zusammenschiebt, sondern es wird im gesamten Volumen weniger. Was wir nun erwarten ist, dass sich dieser Trend fortsetzt und dass es zur Mitte dieses Jahrhunderts ein Jahr geben wird, wo im Sommer kein Meereis in der Arktis vorhanden ist.
Wie wirkt sich das auf unsere Erde aus?
Eine ganz klassische Verbindung von der Arktis in unsere Breiten liegt am polaren Jetstream, die großen Windsysteme, die in großer Höhe Luftmassen um die Erde bewegen. Der klassische Fall ist, wir haben eine sehr kalte Arktis und eine warme mittlere Breite und darum dreht sich der Jetstream relativ gleichmäßig stark. Was jetzt passiert ist, dass, wenn der Temperaturunterschied abnimmt, dass immer mehr Luftmassen sich von Nord nach Süd und von Süd nach Nord verteilen. Dadurch fängt dieser Jetstream an, nicht mehr in einem Kreis zu laufen, sondern in Wellen. Das führt wiederum dazu, dass die Luftmassen deutlich langsamer sind und das führt wiederum dazu, dass wir Extremsituationen bekommen. An einem Ort ist dann das Wetter wesentlich länger kälter, wärmer, trockener und das sind Ereignisse, die wir in den letzten Jahren immer mehr beobachten.
Warum gilt die Arktis als Hotspot des Klimawandels?
Ein wesentlicher Aspekt dafür ist die arktische Verstärkung. Dadurch, dass das Meereis schmilzt und weniger wird, gibt es mehr dunkle Oberfläche des Ozeans, die wiederum mehr Energie aufnimmt als das weiße Eis. Dadurch verstärkt sich das Schmelzen des Eises und dann kommt es zu einer positiven Rückkopplung. Dieser Effekt ist in Polarregionen besonders ausgeprägt. Deswegen ist die Erwärmung dort viel stärker als bei uns.
Wie wirkt sich das auf die Mensch- und Tierwelt aus?
Wir müssen schauen, wie wir mit diesen Veränderungen umgehen. Das gilt zum einen für die Menschen, die in unseren mittleren Breiten leben, aber auch für die Leute, die in der Arktis leben. Es gibt über 4 Millionen Menschen, die dort leben. Arktis hört sich immer so weit weg an, aber der Weg von Delmenhorst bis zum Polarkreis ist nicht viel weiter als bis nach Teneriffa.
Wodurch ist die Problematik entstanden und was können wir tun, um diese dramatische Entwicklung einzudämmen?
Die Erwärmung ist vom Menschen durch den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid hervorgerufen worden. Wenn wir uns bereits vor 25 Jahren überlegt hätten, etwas zu ändern, dann wäre es heute viel leichter und besser. Man muss sich ganz klar vor Augen halten, dass der Klimawandel weiter voranschreitet. Es liegt an uns, wie stark er sich ausdehnt. Was ich in den letzten 20 Jahren gelernt habe ist, dass wissenschaftliche Fakten nicht ausreichen. Die Leute merken erst dann etwas, wenn sie es selbst spüren. Dann sind sie bereit, etwas zu ändern. Wir haben jeden Tag die Wahl, welchen Weg wir gehen wollen.
Sie haben die Veränderungen mit eigenen Augen auf Ihrer Expedition gesehen. Wie war das für Sie?
Das wird den Hauptteil meines Vortrages darstellen. Es wird um die Frage gehen, wie wir die Arktis und das Meereis erforschen und was wir auf der MOSAiC Expedition gemacht haben. Die Arktis ist absolut faszinierend. Diese Landschaft aus Schnee und Eis hat schon fast etwas Mystisches. Es ist beeindruckend zu sehen, welche Kräfte in dieser Natur stecken und gleichzeitig, wie stark sich dieses Eis im Laufe eines Jahres verwandelt. Und man sieht auch, wie groß der Unterschied ist, ob es ein halbes Grad plus oder ein halbes Grad minus ist. Diese Dinge vor Ort zu erleben und zu merken, wie kleine Veränderungen riesige Auswirkungen haben können, ist wirklich sehr beeindruckend. Wenn man verstehen möchte, wieso sich die Arktis so verändert hat, dann muss man ein ganzes Jahr lang mit einer Eisscholle leben oder reisen. Dafür haben wir uns an dem orientiert, was Fridtjof Nansen vor 125 Jahren gemacht hat. Der hat sich mit seinem Schiff einfrieren lassen und ist dann mit der Bewegung des Eises über den Pol gedriftet. Und genau das haben wir auch gemacht. Wir sind in Tromsø losgefahren, sind dann zu einer Scholle nördlich von Russland gefahren, haben an der Scholle alle Maschinen ausgeschaltet und haben uns ab dann mit dem Eis treiben lassen. Es ist aber so gewesen, dass niemand ein ganzes Jahr lang vor Ort war. Wir haben das Jahr in fünf Abschnitte geteilt. Ich selbst war in zwei Abschnitten dabei und somit insgesamt sieben Monate vor Ort. In meinem Vortrag werde ich darauf noch genauer eingehen. Mir ist es mit meinem Vortrag vor allem wichtig zu zeigen, dass wir unsere Zukunft in der Hand haben. Nichts tun ist die schlechteste Lösung.
Das Interview führte Laura Cecere