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Musiker aus Delmenhorst Die letzten Akkorde

Ein Jahr nach seinem Tod ist mit „Erntezeit“ das letzte Album von Wolfgang Michels erschienen. Darüber spricht Lutz Havemann, der ihn schon als jungen Mann kannte und in den letzten Jahren ein enger Freund war.
01.11.2018, 17:30 Uhr
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Von Björn Struß

Es begann in einem Partykeller in Delmenhorst, wahrscheinlich im Jahr 1970. Lutz Havemann trifft zum ersten Mal auf den jungen Wolfgang Michels. „Zuerst war ich ziemlich sauer, weil er mir mit seiner Gitarre die ganzen Mädels weggeschnappt hat“, erinnert sich Havemann. Damals war er Anfang Zwanzig, Michels 19 Jahre jung. Der Frauenschwarm und gebürtige Delmenhorster steht gerade am Anfang seiner Musikerkarriere. Die Männer verlieren sich irgendwann aus den Augen, vor zehn Jahren entwickelt sich dann aber noch einmal eine enge Freundschaft. Michels ist krank, 2017 stirbt er. Am 14. September, exakt ein Jahr nach seinem Tod, erschien sein letztes Album „Erntezeit“.

„Wenn ich die Musik höre, kann ich es gar nicht glauben, dass er ein Nischenmusiker geblieben ist“, sagt Havemann. Der große Durchbruch blieb Michels verwehrt, trotz vieler Glanzmomente in seiner Musikerkarriere. Den Beginn seiner Laufbahn hat er auch einem Schulfreund zu verdanken. 1968 schickt dieser ohne Wissen des jungen Musikers den selbst produzierten Song „Desert Walker“ an die BBC nach London. Der Titel entwickelt sich zu einem Hit, unter dem Pseudonym „One Plus None“ findet sich Michels plötzlich auf dem zweiten Platz der BBC-Charts wieder – hinter den Stones. So wird Alexis Korner, eine Koryphäe des britischen Blues-Rocks und Förderer der Rolling Stones, auf ihn aufmerksam und lädt den Delmenhorster in die englische Hauptstadt ein. Michels gründet die Akustik-Folkrock-Band „Percewoods Onagram“, mit der er bis 1974 vier Alben veröffentlicht. Michels beschrieb diese selbst als erste deutsche Independent-Band.

Nach der Auflösung der Band macht Michels alleine weiter. Das Solo-Debüt-Album „Full Moon California Sunset“ nimmt er in den USA auf, manche Musikjournalisten adeln es mit Vergleichen zu Bob Dylan und Neil Young. Als „Bester deutscher Nachwuchskünstler“ erhält Michels den Deutschen Schallplattenpreis – dem Vorläufer des „Echos“. Angebote, für US-Labels in die Vereinigten Staaten auszuwandern, schlägt er aus – der Liebe wegen. „Ich bin kein Musikexperte, aber viele sagen, dass ihm in den USA vielleicht eine internationale Karriere gelungen wäre“, sagt Lutz Havemann.

Stattdessen zieht es Michels nach Hamburg. Dort arbeitet er auch als Musikproduzent, knüpft beruflich wie privat Kontakte zu Rio Reiser, dem Sänger der Band „Ton Steine Scherben“. Gemeinsam produzieren sie den Song „Ich bin müde“, der später von der Band „Fettes Brot“ gecovert werden sollte. In den 1980er Jahren entdeckt Michels die deutsche Sprache zunehmend für sich. Der Wechsel in die Muttersprache ist mutig, schließlich ist die Sprache der Eltern für viele rebellische 1968er nur etwas für Schlagermusik. „Michels hat sich nie von einem Musiklabel verbiegen lassen, sondern die eigenen Ideen umgesetzt“, sagt Havemann. Michels erarbeitet sich Ansehen als poetischer Liedermacher, großer kommerzieller Erfolg bleibt aber aus.

Mitte der 1990er Jahre zwingen ihn Herzprobleme zu einer langen Schaffenspause. Neue Aufnahmen und Auftritte müssen ausbleiben, doch das Schreiben neuer Lieder setzt er fort. „Manchmal träumte er von neuen Texten. Dann wachte er auf und schrieb sie sofort auf. Er war nicht religiös, aber das war schon eine besondere Gabe“, berichtet Havemann. 2007 kehrt er dann zurück auf die Bühne, tritt in den folgenden Jahren als „Special Guest“ des weltberühmten Neil Young auf.

Es ist ein Konzert in Hamburg im Jahr 2007, auf dem sich Havemann und Michels nach langer Zeit wieder begegnen. „Ich saß in der ersten Reihe und bin nach dem Auftritt etwas schüchtern in Richtung Backstage gegangen“, berichtet Havemann. Doch Michels erkennt ihn sofort, empfängt ihn mit offenen Armen. Die beiden gebürtigen Delmenhorster führen in den folgenden Jahren immer wieder stundenlange Telefonate, besuchen sich regelmäßig. Havemann lebt in Bielefeld. Der Lehrer ist heute in Rente, einen beruflichen Bezug zur Musik hat er nicht.

Umso überraschter ist er, als Michels ihn Anfang 2017 um Rat fragt. Die beiden Männer treffen sich mit einem Freund, der ein kleines Musiklabel leitet. Michels hat eine Kassette mit neuen Aufnahmen dabei. Es ist eine Rohfassung des Albums „Erntezeit“. „Dann fragte er mich, welches das erste Lied des Albums sein soll. Dabei bin ich doch gar kein Experte“, erzählt Havemann. Ein halbes Jahr nach diesem besonderen Moment bekommt er die Nachricht, dass es seinem Freund sehr schlecht gehe. Ein letztes Treffen bleibt ihnen verwehrt. Im Alter von 66 Jahren stirbt Michels.

Es sind drei Worte, die Michels im Refrain des ersten Liedes einige Male wiederholt: „längst im Paradies“. Für Havemann ist es schwer, das Album zu hören. „Ich habe zu ihm immer gesagt, dass ich sein Edel-Fan, Groupie und Freund bin“, berichtet Havemann. Für ihn ist Erntezeit das eindrucksvolle letzte Vermächtnis eines Ausnahmemusikers. Er hat die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass sich doch noch ein größeres Publikum für die Musik von Michels begeistert. Herausragende Lieder und Alben gäbe es dafür genug. Sein letztes Werk dürfte aber zunächst vornehmlich Kenner und alte Weggefährten erreichen.

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