Das rosafarbene Papier-Rezept ist zum Start ins neue Jahr durch das elektronische Rezept abgelöst worden. Seit 1. Januar sind Arztpraxen und Krankenhäuser verpflichtet, verschreibungspflichtige Arzneimittel über elektronische Rezepte auszustellen. Laut Gesundheitsministerium soll diese digitale Einführung den Praxisalltag und Medikamentenmanagement verbessern – bei Delmenhorster Ärzten und Apothekern stößt diese Neuerung jedoch nur bedingt auf Zuspruch.
Warum wurde das E-Rezept eingeführt?
Für Patienten soll die Umstellung mehr Komfort und weniger Wege in die Arztpraxis ermöglichen. Für die Einlösung des Rezeptes in einer Apotheke gibt es drei Möglichkeiten: Einlösung per elektronischer Gesundheitskarte, App oder mit dem Papierausdruck. "Händische Unterschriften und Wege entfallen, Folgerezepte können ohne erneuten Patientenbesuch ausgestellt werden", heißt es seitens des Bundesministeriums für Gesundheit. Auch den Apotheken erleichtere das Einlösen mit der elektronischen Gesundheitskarte den Arbeitsalltag. Versicherte können selbst entscheiden, ob sie das E-Rezept vor Ort in einer Apotheke ihrer Wahl oder in einer Online-Apotheke einlösen. Zudem soll die Sicherheit gesteigert werden, heißt es weiter: "Wechselwirkungen werden schneller erkannt."
Welche Vorteile sehen Ärzte?
"Ich finde das E-Rezept insgesamt eine gute Maßnahme, da es die Wege der Patientinnen und Patienten verkürzt", sagt Jörn Ketelhodt, Arzt in der Familienpraxis Delmenhorst. Denn diese würden Dauerrezepte bestellen und in der Apotheke um die Ecke abholen können. "Die technische Umstellung hat relativ gut geklappt", so Ketelhodt
Welche Nachteile gibt es im Praxisalltag?
Es ist noch viel Aufklärungsarbeit bei Patienten notwendig, erklärt Ketelhodt: "Dies strapaziert etwas die personellen Ressourcen." Zudem sei es bürokratisch und technisch noch ein weiter Arbeitsschritt für die Mitarbeiter, der in die ohnehin komplexen Abläufe integriert werden muss. "Auf lange Sicht wird es sicher noch hilfreicher sein, wenn es flächendeckend etabliert ist", sagt er. Auch der Delmenhorster Hals-Nasen-Ohren-Arzt und Sprecher der niedergelassenen Ärzteschaft, Jan Christiansen, betont den Zeitaufwand: "Für uns Ärzte ist das E-Rezept keine Erleichterung." Er spricht von einem maßlosen Ausufern bürokratischer Prozesse. Laut Christiansen ist durch die Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht zwangsläufig alles besser als vorher: "Für mich ist es wesentlich leichter, im Sprechzimmer ein Rezept auszufüllen und dieses dem Patienten mitzugeben." Er kritisiert zudem, dass jeder Arbeitsplatz mit einem Heilberufsausweis ausgestattet werden muss, um die E-Rezepte ausstellen zu können. "Für die Krankenkassen ist es sicher eine Vereinfachung, aber Patienten müssen ohnehin in die Apotheke", sagt Christiansen. Derzeit gelte die Pflicht nur für Mitglieder einer der gesetzlichen Krankenversicherungen, nicht für Privatversicherte. Somit gibt es das blaue Rezept zunächst weiter in Papierform.
Wird die Arbeit von Ärzten eingeschränkt?
"Diese bürokratische und drangsalierende Entscheidung der Politik ist für Ärzte ein Eingriff in den Status des freien Berufes", betont Christiansen. Die Einführung der E-Rezept-Pflicht sei ein Eingriff in die Therapiefreiheit. Denn dadurch werde Medizinern vorgeschrieben, wie sie Patienten ihre Arzneimittel verschreiben. Würden sich Ärzte nicht an die Neuerung halten und weiterhin Papier-Rezepte ausstellen, müssen sie laut Christiansen mit Strafandrohungen rechnen: "Ich hätte mir gewünscht, dass wir diesen Prozess so beibehalten würden, wie er war." Vonseiten der Patienten habe er mitbekommen, dass die Umstellung gerade für ältere Menschen kompliziert ist.
Welche Befürchtungen haben Apotheker?
"Die Technik ist nicht ausgereift und die Prozesse sind nicht transparent genug", sagt Regine Wagner, Apothekerin und Inhaberin der Bahnhof-Apotheke. Im Arbeitsalltag in der Apotheke mache sich bemerkbar, dass es "unglaublich viel Arbeit ist, die Daten auszulesen". Über die Entscheidung der Politik ist Wagner wütend: "Gesundheitsminister Karl Lauterbach bricht das gesamte Apothekenwesen auseinander." Dadurch, dass sich Patienten oftmals den Gang zum Arzt sparen können, bange sie um ihre Existenz: "Unser Standort ist in einem Ärztehaus. Wenn die Menschen für beispielsweise Folgerezepte nicht mehr in die Praxis gehen müssen, lösen sie ihre Rezepte auch nicht bei uns ein." Sie vermutet, dass die Patienten dann Apotheken ansteuern, die ohnehin auf ihren Alltagswegen liegen – etwa jene in Einkaufszentren. Zudem kritisiert Wagner, dass sie sich auf die Daten verlassen muss, die ihr der Computer beim Einscannen der Gesundheitskarte anzeigt: "Ich habe selbst nichts mehr in der Hand und kann nicht mit meinen eigenen Augen lesen, was der Arzt verschrieben hat." So können unbemerkt Fehler passieren, wodurch die Arzneimittelsicherheit eingeschränkt werde.
Was sagen ältere Patienten zum E-Rezept?
"Nicht in allen Arztpraxen war bekannt, dass Medikamente über diese E-Rezepte bezogen werden können", sagt Klaus Schulze, Pressesprecher des Delmenhorster Seniorenbeirates. Deshalb hinterfragt er, inwieweit das Personal in Arztpraxen über die Neuerung geschult wird. "Muss ich als Patient quasi meine eigene Buchhaltung einrichten, um zu prüfen, ob alle verordneten Medikamente ausgeliefert wurden?", fragt sich Schulze. Zudem könnten bei älteren Patienten Probleme entstehen, wenn sie keinen Kontakt zu technischen Systemen haben. Deshalb plant der Seniorenbeirat in Kürze eine Informationsveranstaltung zum Thema E-Rezept.