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Lyrikabend in Delmenhorst Mehr als nur ein Kinderbuchautor: Ein Abend mit Erich Kästner

Mit "Emil und die Detektive" und "Das fliegende Klassenzimmer" hat sich Erich Kästner als Schriftsteller unsterblich gemacht. Doch wer war der Mann? Johannes Mitternacht geht dieser Frage einen Abend lang nach.
28.09.2024, 07:34 Uhr
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Mehr als nur ein Kinderbuchautor: Ein Abend mit Erich Kästner
Von Kerstin Bendix-Karsten

Der Delmenhorster Schauspieler Johannes Mitternacht schlüpft gern in die Rolle großer Dichter. Als Joachim Ringelnatz begeisterte er erst im Mai dieses Jahres an zwei Abenden vor ausverkauftem Haus das Publikum. Mit einem Rotwein in der Hand präsentierte der 56-Jährige einen Ausschnitt durch das vielfältige, verquere Schaffen des großen Dichters, der sich auch auf leise und nachdenkliche Töne verstand. Nach diesem Erfolg widmet sich Mitternacht am Dienstag, 8. Oktober, nun einem anderen großen deutschen Dichter und Schriftsteller: Erich Kästner. Auch dieser Abend soll sowohl heitere als auch nachdenkliche Momente bieten. Es wird jedoch einen entscheidenden Unterschied zu den Ringelnatz-Auftritten geben. "Ich werde mich nicht als Erich Kästner 'anverwandeln' und verkleiden", kündigt Mitternacht an.

Die Idee zu dem Kästner-Abend

Die Idee zu dem Kästner-Abend, den Johannes Mitternacht in Anlehnung an dessen Kinderbuch "Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee" unter den Titel "Der 35. Mai oder Emil reitet in die Mitternacht" stellt, hatte die Vorsitzende des Heimatvereins Delmenhorst, Herta Hoffmann: "Das war Ende vergangenen Jahres." Die einstige Deutschlehrerin, die sich selbst als Kästner-Fan – vor allem seiner Gedichte – bezeichnet, wollte 2024 gern eine Veranstaltung über den Schriftsteller machen. Das erschien ihr passend. Schließlich sei 2024 ein echtes Kästner-Jahr: Einerseits ist es sein 50. Todesjahr, andererseits hätte er seinen 125. Geburtstag gefeiert.

Auf offene Ohren mit ihrer Idee stieß sie sowohl bei Johannes Mitternacht als auch der Stadtkirche. Gemeinsam mit dem Heimatverein tritt diese als Veranstalter des Kästner-Abends auf. Pastor Johann Lehmhaus sieht in Erich Kästner einen Menschen, "der sich gegen den Krieg engagiert hat". Dies sei ein hochaktuelles Thema, das zur Kirche passe. Denn die Kirche stehe für Frieden. "Kästner ist eine Identitätsfigur, die sich dafür eingesetzt hat", so Lehmhaus.

Auch Johannes Mitternacht spricht davon, dass der Krieg "gefühlt" näher kommt. Er stellt sich die Frage: "Wie verhalte ich mich, wenn Dinge passieren, die mir nicht gefallen?" Antworten darauf versucht Mitternacht, bei Erich Kästner zu finden, der beide Weltkriege miterlebt hat. "Ich werde biografische Selbstzeugnisse einfließen lassen", so Mitternacht. Als faszinierend bezeichnet er beispielsweise Kästners Berichte aus den letzten Monaten und -wochen des Zweiten Weltkrieges. "In dem ganzen Ungemach haben sie dennoch ein normales Leben geführt", merkt der Delmenhorster Schauspieler an.

Die Bindung zur Mutter

Obwohl der Krieg bei seinem Kästner-Abend eine Rolle spielen wird, soll er "nicht das Hauptthema sein", betont Mitternacht. Hauptsächlich will sich der 56-Jährige den Gedichten Kästners widmen – "durchzogen mit Biografischem". Es soll ein "Kaleidoskop" von Kästners Leben werden. Unter anderem plant er, einige Passagen aus dem Buch "Als ich ein kleiner Junge war" vorzutragen, in dem Kästner über seine Kindheit in Dresden schreibt. Diese sei nicht einfach gewesen – angesichts einer Mutter, die unter Depressionen litt. "Kästner hatte eine enge Bindung zu ihr", erklärt Mitternacht. Oft sei er auf die Suche nach ihr gegangen, wenn sie wieder einmal einen Abschiedsbrief hinterließ. Manchmal habe Kästner sie gefunden, manchmal nicht. "Er lebte mit der Angst, seine Mutter jederzeit verlieren zu können", sagt Mitternacht bewusst psychologisierend. Das mache etwas mit einem kleinen Jungen, ist er überzeugt: "Das ist hochtragisch." Dies habe Kästners Leben geprägt – und auch sein Liebesleben. "Kästner hatte viele Liebschaften", merkt Mitternacht an. Die längste Romanze habe acht Jahre bestanden.

Diese Seiten des Schriftstellers sind den meisten Menschen eher unbekannt. Für sie ist Erich Kästner vor allem eines: Kinderbuchautor. Aus seiner Feder stammen unter anderem "Emil und die Detektive", "Pünktchen und Anton" und "Das fliegende Klassenzimmer". Auch diese Werke will Johannes Mitternacht am 8. Oktober zumindest "streifen". Für ihn ist das Besondere an diesen Werken, dass Kästner "Kinder wie Erwachsene angesprochen hat, ohne sie als solche zu behandeln". Das sei für die damalige Zeit revolutionär gewesen.

Ähnlichkeiten zu Brecht

Bei seiner Vorbereitung auf den Kästner-Abend, für den Mitternacht in den letzten drei, vier Wochen eine intensive Materialsichtung betrieben hat, ist dem Delmenhorster eine Parallele zu einem anderen großen deutschen Schriftsteller aufgefallen: "Kästner hat Distanz gewahrt. Das hat etwas 'brechtigtes'." Wie Bertolt Brecht, der ein großes Vorbild für ihn gewesen sein soll, habe auch Erich Kästner seine Emotionen zurückgehalten. Emotionslos soll es bei Mitternachts Kästner-Abend allerdings nicht zugehen. "Ich werde meine Emotionen nicht zurückhalten", kündigt er an. Insofern ist es nur passend, dass Mitternacht anders als bei Ringelnatz nicht in die Rolle des Dichters schlüpfen wird.

Info

Der Kästner-Abend "Der 35. Mai oder Emil reitet in die Mitternacht" ist am Dienstag, 8. Oktober, um 19 Uhr im großen Saal des Gemeindezentrums an der Lutherstraße zu erleben. Der Eintritt ist frei. Um eine Spende wird gebeten. Die Buchhändlerin Sabine Jünemann wir mir einem Büchertisch mit Kästner Werken vor Ort sein.
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