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Prävention in Delmenhorst Lootboxen: Wieso selbst Fifa-Spielen in die Sucht führen kann

Glücksspiel, Alkohol und Cannabis – damit befassten sich zwei Tage lang die Achtklässler der Realschule in Delmenhorst. Statt belehrenden Unterrichts gab es Mitmachaktionen und den Austausch mit Betroffenen.
12.02.2025, 06:30 Uhr
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Lootboxen: Wieso selbst Fifa-Spielen in die Sucht führen kann
Von Kerstin Bendix-Karsten

Für viele Jugendliche gehört es dazu, nach der Schule eine Runde am Computer zu spielen. Gerade bei Jungs ist "Fifa" beliebt – ein vermeintlich harmloses Spiel. Doch der Schein trügt. Auch bei dem Fußballspiel kann viel Geld verzockt werden, indem innerhalb des Spiels kleine Käufe getätigt werden, und zwar für sogenannte Lootboxen. Diese Boxen sind virtuelle Schatzkisten, die Spieler in Computerspielen in der Regel gegen Echtgeld oder virtuelle Währung kaufen können. "Bei 'Fifa' sind es besondere Fußballspieler, die man beim Kauf der Boxen erhalten kann", erklärte Martina Gaebel vom Fachdienst Jugendarbeit der Stadt Delmenhorst. Oder eben auch nicht. Denn: "Es ist vom Glück abhängig", ergänzte sie. Gaebel spricht von einem simulierten Glücksspiel, weil man kein reales Geld gewinnen kann, aber viel Geld eingesetzt wird: "Da sind schnell mal 100 Euro weg, das geht über Taschengeldniveau hinaus."

Die Suchtgefahr, die von "Lootboxen" ausgeht, sei groß – genau wie bei anderen Glücksspielen auch. Darüber hat Gaebel am Dienstag die Achtklässler der Delmenhorster Realschule aufgeklärt. Die virtuellen Schatzkisten bildeten eine von mehreren Stationen in ihrem Workshop "Glücksspiel", den die Fachfrau im Rahmen des Projektes "Aktionstag Durchblick" am Standort Lilienstraße abhielt.

Bereits seit mehr als zehn Jahren gibt es den Aktionstag rund um das Thema "Sucht", wobei es eigentlich Aktionstage heißen müsste. "Wir haben so viele Themen, dass wir diese auf zwei Tage verteilen müssen", erklärte Tim Berthold, der bei der Anonymen Drogenberatung für das Projekt zuständig ist. "Durchblick" richtet sich an Achtklässler und setzt damit die Präventionsarbeit an den Delmenhorster Schulen, die im sechsten Jahrgang mit "Drob + Hob" beginnt, fort. "Nur altersgerechter", merkte Berthold an. So gehe es bei den Sechstklässlern vor allem darum, sie über die Suchtgefahr aufzuklären, bevor sie das erste Mal Drogen konsumieren. Achtklässler würden indes bereits anfangen zu konsumieren. "Uns geht es deshalb darum, dass sie später anfangen und wenn sie etwas nehmen, dann risikoärmer", erklärte Berthold.

Jugendliche sprechen zu Jugendlichen

Der Kern des Aktionstages "Durchblick" sollte eigentlich ein Theaterstück des Schauspielkollektivs Lüneburg sein, das die Problematik vermittelt. Krankheitsbedingt musste dieses am Dienstagmorgen kurzfristig ausfallen. Das zweite Kernstück konnte indes stattfinden: Drei Jugendliche aus der Dietrich-Bonhoeffer-Klinik in Ahlhorn schilderten ihren Weg in die Sucht und ihren Kampf wieder heraus. "Es war mucksmäuschenstill", berichtete Sozialarbeiterin Christina Gräver von der Delmenhorster Jugendhilfestiftung. Gebannt hätten alle Achtklässler zugehört. Selbst als sie zehn Minuten ihrer Pause opfern sollten, seien alle sitzen geblieben. "Das würde im normalen Unterricht nicht passieren", merkte Gräver an.

Die Erfahrungsberichte von anderen Jugendlichen haben nach Erfahrung von Berthold die größte Wirkung auf die Schüler: "Das bringt am meisten." Das Entscheidende sei, dass es keine Verherrlichung von Drogen gibt. "Die Jugendlichen aus der Fachklinik erzählen aus ihrem Leben bis zum Absturz. Sie erzählen nicht: Drogen machen Spaß", so Berthold.

Abgerundet wurde der Fachtag "Durchblick" durch verschiedene Workshops, die alle drei Klassen des achten Jahrgangs an der Realschule durchlaufen haben. Neben dem Workshop über Glücksspiel, in dem die Schüler einen Parcours mit verschiedenen Stationen zur Glücksspielprävention – darunter zu Lootboxen – absolvierten, gab es auch einen Workshop zu Cannabis. Mithilfe eines grünen Koffers erfuhren die Achtklässler darin unter anderem so einiges über die Bestandteile in Cannabis.

Mit Rauschbrille im Selbstversuch

Was ein paar Drinks zu viel anstellen, erfuhren die Realschüler bereits einen Tag zuvor von der Polizei. Diese hatte im Rahmen des Projektes eine Rauschbrille mitgebracht und zeigte, wie schwierig es ist, damit einen aufgebauten Parcours zu bewältigen. "Ich habe alles umgerissen", berichtete Sozialarbeiterin Gräver von ihrem Selbstversuch. Zunächst sei sie bestürzt gewesen, doch dann habe ihr die Polizei versichert: "Wenn ich fehlerfrei gewesen wäre, hätten sie sich Sorgen gemacht."

Wie bedeutend die Präventionsarbeit bei Jugendlichen ist, weiß auch Schulleiter Andreas Bohlen. Wichtig dabei sei jedoch, dass sie nicht belehrend im Unterricht geschieht. Er und sein Kollegium könnten dies nicht leisten – zumindest nicht in dem Maße, wie es die Anonyme Drogenberatung gemeinsam mit ihren Präventionspartnern, und finanziell unterstützt von der Stiftung der Sparda-Bank, kann. "Die Methodenvielfalt kann die Schule nicht bieten", unterstrich auch Gräver. Die Schüler mussten selbst aktiv werden. "Sie konnten sich nicht nur berieseln lassen", fügte sie hinzu. Deshalb ist die Sozialarbeiterin überzeugt, dass jeder Schüler etwas für sich aus dem Fachtag mitgenommen hat.

Info

Das Projekt "Aktionstag Durchblick" wird nicht nur an der Realschule, sondern ebenso an den beiden Oberschulen in Delmenhorst sowie an der Hauptschule angeboten. An der Integrierten Gesamtschule und den Gymnasien gibt ein vergleichbares Projekt namens "Klarsicht".
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