Nur wer noch nie da war, vermutet hinter dem Namen "Große Höhe" einen Hügel oder gar einen Berg. Das Wäldchen südlich von Ganderkesee liegt nur zehn Meter höher als der Delmenhorster Wasserturm. Tatsächlich ist das Naturschutzgebiet so platt, dass sogar kleine Flugzeuge hier starten und landen können. Seit 1952 bietet der Luftsportverein Delmenhorst an einem Truppenübungsplatz der Bundeswehr Segelfliegern die Möglichkeit, abzuheben. So erfüllt die Große Höhe dann doch Sehnsüchte, die sonst wohl nur das Bergsteigen befriedigen kann: einen atemberaubenden Ausblick und eine Freiheit, die über den Wolken bekanntlich grenzenlos sein soll.
Ralf Herrmann erlebte dieses Gefühl zum ersten Mal mit acht Jahren. In einem kleinen Motorflugzeug sah er, wie der Flugplatz Große Höhe und die nahe gelegene Kaserne immer kleiner wurden. Mit zehn Jahren saß er dann in einem Segelflugzeug, gemeinsam mit seinem Vater. Dieser war als passionierter Segelflieger ein fester Teil des Vereins und des Flugplatzes. Der heute 61-jährige Herrmann verbrachte deshalb einen Großteil seiner Kindheit auf der Großen Höhe. Insbesondere an den Wochenenden ging es mit der Familie immer in die Natur zum Camping am Flugplatz.

Ralf Herrmann hat schon seine Kindheit auf dem Flugplatz Große Höhe verbracht.
An seinem 14. Geburtstag kam dann der große Moment: Mit einem Fluglehrer durfte er ein Segelflugzeug zum ersten Mal selber steuern. "Ich kann mich noch gut erinnern, der Geburtstag fiel auf einen Sonntag. Noch am selben Tag bin ich geflogen", berichtet Herrmann. Rückblickend sei dieser Tag für ihn viel größer und wichtiger gewesen als sein 18. Geburtstag. "Ohne Motor ist das Segelfliegen der Kampf ums Obenbleiben. Man sucht ständig nach neuen Aufwinden, um so weit wie möglich zu kommen", schwärmt Herrmann.
Mit 14 Jahren kann Herrmann damit beginnen, seinen Segelflugschein zu machen. Dafür braucht es allein 40 bis 70 Flugstunden und auch ein technisches und theoretisches Verständnis des Fliegens wollen gelernt sein. Die Ausbildung kann deshalb bis zu drei Jahre dauern. "Wer alle drei Monate mal einen Tag fliegt, schafft es nicht. In der Flugsaison von Mitte März bis Mitte Oktober sollte man möglichst jedes Wochenende auf dem Flugplatz sein", erklärt Herrmann.
Das Hobby bedeutet viel mehr, als selber zu fliegen. Für jeden Start ist Teamwork gefragt. Mindestens fünf Personen erfüllen unterschiedliche Aufgaben, um den Piloten in die Luft zu kriegen. Dafür gibt es zwei Methoden. Entweder ein motorisiertes Flugzeug nimmt den Gleitflieger ins Schlepptau und klinkt ihn bei der gewünschten Höhe aus. Durch den verbrauchten Treibstoff ist das aber ein teurer Spaß, ein Start kostet etwa 40 Euro. Bei der günstigeren Alternative kommt eine Stahlwinde zum Einsatz, betrieben von einem V8-Motor und montiert auf einem alten Feuerwehrfahrzeug, welches auf die Startbahn gefahren wird. Die Maschine zieht das Stahlseil so schnell ein, dass das daran befestigte Gleitflugzeug innerhalb weniger hundert Meter eine Geschwindigkeit von bis zu 100 Kilometern pro Stunde erreicht. Dann wirken die gleichen Kräfte wie beim Drachensteigen. Nur, dass in diesem Fall ein Mensch abhebt. Der Nachteil bei der günstigeren Variante ist, dass das Gleitflugzeug so nur eine Höhe von maximal 500 Metern erreicht.
Diese kleineren Starts sind allerdings ohne Absprache mit dem Bremer Flughafen möglich. "Ab einer Höhe von 750 Metern brauchen wir das Okay der Flugsicherung", berichtet Herrmann. Durch den internationalen Flugverkehr gibt es auch eine "rote Zone", die für Hobbyflieger grundsätzlich tabu ist. Eine seltene Ausnahme gab es im Jahr 2010, als der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull in Nord- und Mitteleuropa den Flugverkehr lahmlegte. "Da durften wir sogar direkt über den Bremer Flughafen fliegen. Das war eine einmalige Gelegenheit", erinnert sich Herrmann.

Aaron Dobbeling (links) und Matthias Münch zählen zu den jüngeren Mitgliedern des Luftsportvereins Delmenhorst.
Der Luftsportverein, in dem Herrmann der zweite Vorsitzende ist, zählt aktuell 145 Mitglieder. Jedoch fliegt davon nur etwa jeder Dritte regelmäßig. Dazu zählen Aaron Dobbeling und Matthias Münch. Ihren Sonntag verbringen die Männer im Alter von 23 und 24 Jahren in der Werkstatthalle des Vereins, um Gleitflugzeuge auf Herz und Nieren zu prüfen, gründlich zu reinigen und zu polieren. "In der Luft gleitet man ohne Reibungswiderstand am besten", erklärt Dobbeling. Er hat schon als Teenager das Fliegen gelernt. Der besondere Reiz: Schon vor der ersten Autofahrstunde durfte er auf dem Flugplatz einige Maschinen bedienen und einen Traktor fahren. "Das sind viele schöne Erfolgsmomente", erinnert er sich. Für Dobbeling ist der Reiz des Fliegens auch mit der Bewegungsfreiheit verbunden: "Man agiert im dreidimensionalen Raum. Das geht sonst nirgends."