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Lebenshilfe holt sich Unterstützung Innenansichten aus der autistischen Welt

Er ist Schriftsteller, er ist Filmemacher, er ist Vortragskünstler – und er ist Autist: Axel Brauns aus Hamburg hat eine eigene Sicht der Dinge. Aber er konnte sich freikämpfen aus dem abgeriegelten Raum, den Autismus oft darstellt. So ist er eine Art Dolmetscher zwischen den Welten, davon hat gestern die Lebenshilfe profitiert.
03.04.2014, 20:00 Uhr
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Von Marco Julius

Er ist Schriftsteller, er ist Filmemacher, er ist Vortragskünstler – und er ist Autist: Axel Brauns aus Hamburg hat eine eigene Sicht der Dinge. Aber er konnte sich freikämpfen aus dem abgeriegelten Raum, den Autismus oft darstellt. So ist er eine Art Dolmetscher zwischen den Welten, davon hat gestern die Lebenshilfe profitiert.

Mitarbeiterfortbildung, Weiterbildung, Fachvortrag: eine für gewöhnlich staubtrockene, ja langweilige Angelegenheit. Aber nicht, wenn man sich Axel Brauns einlädt. Die Lebenshilfe Delmenhorst und Landkreis Oldenburg hat just das getan. Im Nachklapp des Welt-Autismus-Tages, der am Mittwoch begangen wurde, hat die Lebenshilfe den Hamburger Schriftsteller, Filmemacher und Vortragskünstler Brauns in ihr Haus geholt, um den 20 Mitarbeitern aus den Bereichen der Autistenförderung Einblicke in die Sicht- und Denkweisen eines Autisten zu ermöglichen. Denn Axel Brauns, Jahrgang 1967, ist selbst Autist. Und er ist einer, der die Innensichten aus der autistischen Welt, die im Normalfall für andere nahezu hermetisch abgeriegelt ist, auf eine Art vorträgt, die unweigerlich Fröhlichkeit verbreitet.

Wohl gemerkt: Es wird mit Axel Brauns gelacht, über seine Anekdoten und treffsicheren Pointen, aber nie über den Autisten Brauns. Formen des Autismus, dieser tief greifenden Entwicklungsstörung, die eine gravierende Beeinträchtigung der sozialen Interaktion und Kommunikation beinhaltet, betreffen etwa ein Prozent aller Menschen, davon gehen zumindest Experten aus. Axel Brauns ist einer von ihnen, aber er hat sich ein gehöriges Stück aus der Autismus-Welt herausgekämpft, kann heute vor fremden Menschen Lesungen halten, ist ein gewitzter Gesprächspartner, hat ein phänomenales Gedächtnis und ist kaum zu stoppen, wenn er beschreibt, wie es so war und noch immer ist als Autist.

Seine autistische Kindheit und Jugend beschrieb er in seinem 2002 erschienenen autobiografischen Buch „Buntschatten und Fledermäuse – Leben in einer anderen Welt“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Für einen Auszug aus diesem Buch erhielt er 2000 einen der Förderpreise für Literatur der Freien und Hansestadt Hamburg, ein Angebot des Verlages Hoffmann und Campe kam. Der Traum, als Schriftsteller Geld zu verdienen und davon leben zu können, war wahr geworden. Mit „Kraniche und Klopfer“ und „Tag der Jagd“ legte er danach zwei Romane vor, der nächste ist bereits fast fertig. Und das obwohl er, typisch für Autismus, Metaphern und Sprichwörter früher nicht verstehen konnte, weil er sie wörtlich nahm. „,Das bringt mich auf die Palme’, hat meine Mutter einmal zu mir gesagt. Ich habe mich im Zimmer umgesehen und gesagt: ,Du hast doch gar keine Palme’“, erzählt Brauns. Er musste diese Sprachbilder erlernen – so wie andere Vokabeln lernen. Das man körperlich unversehrt bleibt, wenn einem Journalisten „Löcher in den Bauch“ fragen, das weiß er heute.

Die Lebenshilfe betreut und fördert seit 2006 in ihren Einrichtungen autistische Menschen. „Zu diesem Zeitpunkt bestand eine vermehrte Nachfrage nach qualifizierten Fördermöglichkeiten“, sagt Ulrich Rohlfing. Der Psychologe ist zuständig für den Bereich Autisten-Förderung bei der Lebenshilfe. Und er sagt: „Dieser Trend hat sich in den vergangenen Jahren fortgesetzt.“ In den teilstationären Einrichtungen der Lebenshilfe – den heilpädagogischen Kindertagesstätten und der Katenkamp-Schule – werden aktuell zwölf Kinder- und Jugendliche mit Auffälligkeiten aus dem Autismusspektrum gefördert. An allgemeinbildenden Schulen betreuen Mitarbeiter der Lebenshilfe zudem 25 Kinder und Jugendliche durch qualifizierte Schulbegleitungen. Seit 2012 besteht der Bereich der „Ambulanten Autismusspezifischen Betreuung“, aktuell mit drei Klienten – und mit steigender Tendenz, wie Rohlfing ausführt. Für ihn ist es ein Glücksfall, dass Brauns Rede und Antwort steht: „Die meisten Autisten, die wir betreuen, können uns keine Einsicht in ihre Welt geben. Mit Brauns haben wir einen Insider, der uns Antworten geben kann auf unsere Fragen hinsichtlich der spezifischen Bedürfnisse autistischer Menschen.“

Gerade den Bereich der Inklusion in Schulen schätzt auch Brauns. „Man soll die Trottel nicht aussortieren“, sagt er. Trottel sagt er ganz bewusst, „bin ja selbst einer“. Dabei haben viele Autisten sehr spezielle Talente und Fähigkeiten. „Steuerfachgehilfe und Programmierer sind Berufe, in denen sich Autisten sehr gut machen“, sagt Brauns. Das hätten inzwischen auch Firmen erkannt. So suche etwa der Software-Gigant SAP gezielt Autisten. „Die freuen sich da richtig, wenn einer in die Bewerbung schreibt, dass er Autist ist“, sagt er. Überhaupt: „Diogenes in der Tonne, Till Eulenspiegel, Albert Einstein, Ludwig Wittgenstein, das waren doch auch Autisten, zumindest hatten sie autistische Züge“, sagt Brauns. „Die hat man dann in den Biografien gesund gelogen“, sagt er. Einstein könne schließlich kein Trottel sein.

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