Es ist 8.45 Uhr. Noch 15 Minuten, bis die Delmenhorster Tafel an der Grünen Straße ihre Pforten öffnet. Draußen hat sich trotz nasskalten Wetters schon eine Schlange mit gut zwei Dutzend Menschen gebildet. Sie alle wollen sich ihre Wochenration an Lebensmitteln abholen. "Manche stehen schon ab 6 Uhr hier oder stellen ihre Taschen hin", erzählt Günther Gröller, der seit anderthalb Jahren als Ehrenamtlicher bei der Delmenhorster Tafel engagiert ist. Unter den Wartenden sind auch einige Ukrainer, die vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflüchtet sind. Am Dienstag waren bei der Delmenhorster Tafel bereits 106 Ukrainer, darunter 38 Kinder, angemeldet. Und es werden täglich mehr.
Eine dieser 106 Geflüchteten ist Swetlana Khomenko. Gemeinsam mit ihrer Familie war sie Anfang März aus ihrer Heimatstadt Irpin geflohen. Ihr Weg führte sie nach Delmenhorst, wo ihre älteste Tochter seit nunmehr 17 Jahren lebt. "Anfangs haben wir bei meiner Tochter gewohnt, dann haben wir eine eigene Wohnung bekommen", berichtet Swetlana Khomenko. Als sie sich und ihre Familie bei der Tafel anmeldete, bot die gelernte Verkäuferin ihre Hilfe an. Und diese wurde gern genommen. Seit dieser Woche unterstützt Khomenko nun das ehrenamtliche Team der Tafel – und hofft, dabei auch noch besser Deutsch zu lernen. Für immer möchte sie aber nicht in Deutschland bleiben: "Wir wollen wieder zurückgehen", erklärt sie.
Weniger Waren
Der große Zulauf an Geflüchteten kam für die Delmenhorster Tafel, die in der kreisfreien Stadt rund 2300 registrierte Gäste und noch einmal rund 700 in Hude und Ganderkesee hat, nicht überraschend. "Wir haben damit gerechnet", erklärt Michael Adam, stellvertretender Vorsitzender der gemeinnützigen Hilfsorganisation. Und dennoch stellt dies eine große Herausforderung dar. "Wir versuchen, alles hinzubekommen. Doch wir sind bereits knapp an der Grenze des Leistbaren", erklärt Adam. Denn die Tafel erfährt angesichts der steigenden Lebensmittel- und Energiepreise ohnehin schon einen großen Zulauf. Dem steht zugleich ein Rückgang bei den gespendeten Lebensmitteln gegenüber. "Die Waren sind knapp", berichtet Adam. Die beiden Sprinter der Delmenhorster Tafel, die wochentags täglich um 7 Uhr morgens zu ihrer Tour starten und zwischen 22 und 25 Geschäfte anfahren – der eine in Delmenhorst, der andere in Hude, Ganderkesee, Lemwerder und Stuhr –, seien früher voll zurückgekommen. Das sei heute nicht mehr der Fall. "Es ist weniger geworden", erklärt Adam. Die Vorsitzende der Tafel, Walburga Bähre, schätzt, dass es zwischen 30 und 40 Prozent weniger Waren sind.
Gleichzeitig sind die Kosten der Tafel deutlich gestiegen. "Die hohen Spritpreise hauen voll rein", berichtet Michael Adam. Der 71-Jährige erwartet, dass auch beim Strom noch erhebliche Zusatzkosten auf die Tafel mit ihren beiden Kühlräumen und mehreren Kühlschränken zukommen werden. Wie hoch diese ausfallen werden, lasse sich derzeit jedoch noch nicht abschätzen.

In den Kühlschränken der Tafel finden sich auch Kuchen, die an die Kunden abgegeben werden.
Kleinere Rationen
Obwohl die Ausgaben der Delmenhorster Tafel gestiegen sind, sollen die Preise für ihre Kunden nicht erhöht werden. "Das ist keine Lösung. Das ändert ja nichts an der Knappheit der Waren", meint Michael Adam. Für einen Obolus von drei Euro für Erwachsene, ein Euro für Kinder, kann sich die Kundschaft nach wie vor ihre Wochenration bei der Tafel abholen – vorausgesetzt, es liegt ein entsprechender Berechtigungsschein vor. Dennoch mussten die Verantwortlichen auf die Warenknappheit reagieren. Sie haben deshalb die Rationen, die an die Kunden verteilt werden, reduziert. "Es ist aber immer noch genug. Es ist mehr als nur eine Beihilfe", betont Michael Adam. Das Ziel der gemeinnützigen Hilfsorganisation werde also nach wie vor erfüllt. Dieses lautet: Lebensmittel, die im Wirtschaftskreislauf nicht mehr verwendet und ansonsten vernichtet werden würden, gegen ein geringes Entgelt an Bedürftige abzugeben.

Aus der Kiste mit Zitrusfrüchten dürfen sich die Gäste selbst bedienen.
Dass die Delmenhorster Tafel ein solches Angebot für Bedürftige überhaupt machen kann, hängt maßgeblich von den freiwilligen Helfern ab. "Wir sind ungefähr 40 Leute", erklärt Adam. Nicht immer seien alle da. Doch gerade an den Öffnungstagen gebe es besonders viel zu tun – vom Sortieren und Putzen der Lebensmittel über das Herrichten der Stände bis hin zum Abholen der neuen Waren. "An einem Öffnungstag brauchen wir gut 20 Leute", erklärt Adam, der als stellvertretende Vorsitzende der Tafel selbst fast jeden Tag vor Ort ist. Gleiches gilt für die Vorsitzende Walburga Bähre. Beide wollen im Juli dieses Jahres ihre Posten abgeben. "Ich möchte die Verantwortung nicht mehr tragen", sagt Bähre, die seit 13 Jahren als Vorsitzende die Tafel am Laufen hält. "Ohne Entlastung ist das nicht mehr zu machen", sagt Adam. Wie es mit der Tafel weitergeht, wenn die beiden aufhören, steht derzeit noch nicht fest. "Entweder gibt es einen neuen Vorstand oder Träger. Oder es ist das Aus. Das wäre allerdings fatal", sagt der 71-jährige Adam.
Ungewisse Zukunft
Um ein Aus der Tafel zu verhindern, hat die Stadtratsgruppe von Delmenhorster Liste, Linken und Satirepartei Ende Februar einen Eilantrag auf einen Zuschuss für den gemeinnützigen Verein gestellt. Mit diesem soll eine Stelle zur hauptamtlichen Koordination und Organisation von Abläufen und Mitarbeitern finanziert werden. "Wir halten es für absolut sinnvoll, hauptamtliche Strukturen einzuziehen", erklärt Andreas Neugebauer für die Stadtratsgruppe. Dies sei wichtig, gerade im Hinblick auf den Zulauf der geflüchteten Menschen aus der Ukraine. "Deren Unterstützung darf nicht von Ehrenamtlichen abhängig gemacht werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass das jemand richtig managt", führt Neugebauer aus, ohne damit die "tolle Arbeit" des derzeitigen Vorstands in Abrede stellen zu wollen. Mit einer Entscheidung zu dem Antrag, der im jüngsten Fachausschuss zunächst an die Gremien zurückverwiesen wurde, rechnet Neugebauer nicht vor Juni. Ihm schwant jedoch, dass aus einer hauptamtlichen Stelle nichts werden wird. "Wenn dann die Tafel zu macht, ist das Geschrei groß", fürchtet er.