Marvin Osei: Ich habe in letzter Zeit wenig gespielt, was auch daran lag, dass ich nicht jede Trainingseinheit mitmachen konnte. Ich hatte privat viel zu tun und habe auch eine zweijährige Tochter, die ich wegen des großen Aufwandes nur abends sehen konnte. Und Familie ist das Wichtigste für mich. Der Aufwand ist einfach zu groß gewesen mit fünfmal die Woche Training. Ich musste dann für mich einen Schnitt machen. Ich habe mit Basti (Bastian Fuhrken, Sportlicher Leiter beim SV Atlas, Anmerkung der Redaktion) und Key (Key Riebau, Trainer des SV Atlas, Anmerkung der Redaktion) dann das Gespräch gesucht und um die Vertragsauflösung gebeten. Atlas hätte mich gerne behalten und mir ist das auch sehr schwergefallen. Bei Atlas war es insgesamt die schönste Zeit in meiner Fußballerlaufbahn. Das Umfeld, die Fans, die Mitspieler. Es war toll.
Wären Sie denn bei Atlas geblieben, hätten Sie häufiger gespielt?Das kann man schwer sagen. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und Fußball färbt auf alles andere ab. Vielleicht wäre es privat oder bei der Arbeit besser gelaufen, hätte ich mehr gespielt und wir hätten mehr gewonnen. Aber der Hauptgrund ist, dass ich nicht mehr alles unter einen Hut bekomme mit dem Aufwand. Es ist sehr viel Druck. Ich will gar nicht wissen, wie das für einen Profi ist. Klar werde ich von Atlas bezahlt, aber ich muss einfach einen freien Kopf bekommen.
Es war also keine Option, bei Atlas II in der Bezirksliga zu spielen?Das Angebot gab es vom Verein. Aber das hätte mir das Herz zerrissen, hätte ich in der Zweiten gespielt und nebenan auf dem Platz hätte ich die Erste trainieren sehen. Ich brauche was Neues, muss was Neues sehen.
Atlas ist also schon eine Herzenssache bei Ihnen?Auf jeden Fall. Wegen Corona konnte ich mich nicht von den Jungs verabschieden, also haben wir das bei Zoom gemacht. Da sind Tränen geflossen, ich habe kein Wort rausbekommen und musste dann ausschalten.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Fuhrken und Co.?Sehr gut. Mir ist das sehr wichtig. Mit Basti habe ich einen Freund bei Atlas gewonnen. Er hilft mir auch neben dem Platz. Beispielsweise gibt es diverse Anfragen anderer Vereine, er unterstützt mich da. Und die Tür steht für mich bei Atlas offen. Das ist mir extrem wichtig und hat mir viel Last genommen. Ich hatte kurz gedacht, dass es ein Riesenfehler war, meinen Vertrag aufzulösen.
Dennoch lief es nicht optimal, sonst wären Sie ja noch bei Atlas.Wie gesagt, ich hätte gerne mehr gespielt. Und es gab auch Situationen, die mir nicht gefallen haben. Und ich bin dann der Typ, der auch was sagt. Beispielsweise wurde Marco Stefandl an einem Montag verpflichtet, stand ohne Training am Mittwoch im Kader und wurde gegen Havelse eingewechselt, und ich stand nicht im Kader. Das fand ich ungerecht und habe das auch gesagt. Das ist nichts gegen Marco, er ist ein offener Typ, ein richtig feiner Kerl und es ist auch klar, dass er ein paar Minuten reinschnuppern sollte. Aber das wollte ich auch.
Wie sehen Sie die Entwicklung von Atlas?Alleine das Trainer- und Betreuerteam hat sich verdoppelt oder fast verdreifacht. Torwarttrainer, Scout, Zeugwart etc. Es ist professionell geworden, natürlich kann sich noch alles weiterentwickeln. Aber im Grunde muss man zum Spiel nur Schuhe und Schienbeinschützer und Duschgel mitbringen, alles andere ist da. Die Leute im Verein machen viel, die Spieler auch. Wir haben beispielsweise die Kabine selber gestrichen.
Warum steht Atlas aktuell am Tabellenende?Wir haben Fehler gemacht und die wurden bestraft. Atlas ist aktuell bei jedem Spiel extrem unter Druck. Schon beim Aufwärmen. Man muss unbedingt gewinnen, will unbedingt in der Liga bleiben. Man will dem Verein und den Fans etwas zurückgeben. Wir haben in jedem Spiel wirklich alles versucht. Das Glück war auch einfach nicht auf unserer Seite. Manchmal sieht man ein Spiel und denkt: „Warum haben wir das verloren?“. Wir hatten teilweise Torschüsse ohne Ende. Im Training gehen die alle in den Winkel, im Spiel über den Zaun. Man muss eigentlich ruhig und locker bleiben, auch wenn man verliert. Wenn man Gegentore kassiert, muss man mehr riskieren und macht mehr Fehler. Man muss das Gras fressen ohne Ende, immer weitermachen, irgendwie das Tor machen, egal wie. In der Oberliga haben wir Tore geschossen, da war der Ball auf der Linie und trotzdem hat der Schiri das Tor gegeben. Jetzt liegt er auf der Linie, wir müssten den nur drüberdrücken, aber es klappt einfach nicht. Ich weiß nicht warum.
Wie bewerten Sie Ihre eigene Entwicklung? Sie hatten früher nicht den besten Ruf, nach dem Motto „Immer für eine Rote Karte gut“.Ich würde schon sagen, dass ich mich vor Atlas gut entwickelt habe, als ich zum TB Uphusen gekommen bin. André Schmitz war da mein Trainer. Der hat mir immer wieder gesagt: „Halt die Schnauze auf dem Platz. Fall durch Leistung auf“. Und wenn man das immer wieder hört, macht man das auch. Sonst hätte mich Atlas ja auch nicht genommen. Unruhestifter brauchen die nicht.
Schmitz war also ein besonderer Trainer für Sie. Welche Trainer haben Sie noch in Erinnerung, gerade bei Atlas?Dario Fossi war der beste Trainer, den ich je kennengelernt habe. Der hat enorm viel Ahnung und kann das auch richtig gut rüberbringen und erklären (Fossi war Trainer beim VfL Oldenburg, der mit Osei in der Saison 2017/18 in die Regionalliga aufgestiegen ist. Fossi trainiert aktuell den VfB Oldenburg, Anmerkung der Redaktion). Ich glaube, er wird seinen Weg noch weitergehen und es vielleicht sogar in den Bundesligabereich schaffen. Bei Atlas habe ich zuerst Jürgen Hahn gehabt. Der war ein super Motivator. Über Olaf Blancke kann und will ich nicht viel sagen. Ein netter Kerl ist er. Key Riebau hat taktisch sehr viel drauf, zusammen mit Scout Benni Rabe haben die uns gut vorbereitet. Rabe ist krass. Der kennt absolut jeden Spieler und hat dazu auch noch Ahnung von Basketball, Football etc. Er hat mir im Verein viel geholfen.
Wie wichtig ist die Taktik tatsächlich?Du kannst die beste Taktik der Welt haben, wenn man kein Tor schießt, verliert man. Aber an sich ist die Taktik mit das Wichtigste. Jeder Trainer sieht immer Fehler beim anderen Trainer. Wenn man einen guten Trainer hat, der das schnell merkt und umstellt, hat man einen großen Vorteil. Man braucht natürlich seine Starttaktik, aber man braucht auch immer einen zweiten Plan.
Haben Sie die fußballerische Qualität für die Regionalliga?Ich denke schon. Vor der Saison nach dem Trainingslager war ich eigentlich top in Form. Doch dann war ich zwei Wochen raus, habe dann in der zweiten Mannschaft gespielt und musste dann wegen eines Corona-Falles für 14 Tage in Quarantäne. Und dann war alles weg: Kondition, Spritzigkeit, Kraft. Das hat man beim Training krass gemerkt.
Wie groß ist der Unterschied zwischen Oberliga und Regionalliga?Wenn man Fehler macht, wird man ganz schnell bestraft. Die Physis von den Spielern in der Regionalliga ist schon krass. Auch das Tempo ist viel höher. In der Oberliga hat man kurz Zeit, wenn man den Ball bekommt, und kann gucken, was man macht. In der Regionalliga ist sofort ein Gegenspieler da, da muss man schon vorher wissen, was man als Nächstes macht. Es ist ein Sprung von der Oberliga zur Regionalliga. Ich bin ein ballverliebter Spieler, gehe gerne ins Risiko. Vielleicht hat das für Riebaus System auch einfach nicht gepasst.
Ändert sich das Leben als Fußballer in höheren Amateurligen?Es ist schon so, dass man oft angesprochen wird. Ich bin auch nicht gerade unauffällig. In Hamburg in einem Geschäft hat mich mal jemand angesprochen, ob ich nicht Osei bin. Schon verrückt. In Delmenhorst oder in Bremen werde ich oft gefragt, warum ich nicht gespielt habe oder warum ich in einer bestimmten Situation nicht geschossen habe. Vom Typ her mag ich das, ich rede gerne mit Leuten. Aber man steht viel im Fokus.
Wie geht es sportlich weiter?Ich suche einen Verein, der zu meinem Privatleben passt. Also eventuell weniger Training, auch wenn es dann in eine tiefere Liga geht. Ich habe diverse Angebote bekommen und muss jetzt überlegen. Auch von anderen Regionalligisten, aber da will ich nicht näher drauf eingehen. Nur so viel: Ich gehe nicht wohin, wo der Aufwand der gleiche wie bei Atlas wäre. Intensiv gesprochen habe ich mit keinem Verein. Ich weiß noch nicht, wie und wo es weitergeht, wo es mich hintreibt. Fußball will ich aber schon weiterspielen. Und auf jeden Fall will ich zu einem Team mit Zielen. Und wenn es ein Kreisligaverein ist, dann will ich aufsteigen. Ich muss jetzt erst mal wieder Fuß fassen, mein Berater Dorian Willms hilft mir dabei.
Das Gespräch führte Michael Kerzel.Marvin Osei (30)
stand in der bisherigen Regionalligasaison nur in drei Begegnungen für 39 Minuten auf dem Feld. Kürzlich lösten der SV Atlas Delmenhorst und der Offensivspieler den Vertrag auf. Insgesamt bestritt er 43 Ligaspiele (2079 Spielminuten/fünf Tore) für die Blau-Gelben und hat zudem mehrere Einsätze im NFV-Pokal sowie ein Spiel im DFB-Pokal auf dem Konto.