Marco Langner hat in den vergangenen Jahren Oliver Baumann (in Freiburg) und Bernd Leno (in Leverkusen) zu Spitzentorhütern in der Fußball-Bundesliga gemacht. Seit dieser Saison arbeitet er als Torwarttrainer beim SV Werder. Patrick Hoffmann sprach mit dem 44-Jährigen.
Herr Langner, wann sind Sie zuletzt privat im Fußballstadion gewesen?
Marco Langner: Oh, da muss ich überlegen … Das war nach meiner Freistellung in Leverkusen im Frühjahr 2012. Hoffenheim gegen Freiburg.
Wie war‘s? Haben Sie da vor allem auf die Torhüter geachtet?
Zufällig hat da ein Torhüter gespielt, mit dem ich eng zusammengearbeitet habe, Oliver Baumann (vom SC Freiburg, d. Red.). Man achtet dann automatisch auf seinen ehemaligen Schützling. Ansonsten möchte ich im Stadion aber einfach viele Tore und ein gutes Fußballspiel sehen.
Und wie ist das, wenn Sie als Torwarttrainer auf der Werder-Bank sitzen?
Dann besteht hin und wieder Blickkontakt mit Miele (Werder-Torwart Sebastian Mielitz, d. Red.). Wenn mir irgendetwas auffällt, sowohl positiv als auch negativ, kommt schon mal ein Pfiff oder ein Zeichen. Aber im Großen und Ganzen bin ich während des Spiels beim Ball.
Ein Austausch mit dem Torhüter während des Spiels ist möglich?
Ja, das funktioniert ganz gut. Hinweise wie „mach langsam“ oder „mach schnell“ oder „spiel‘ einen langen Ball“. Zeichensprache ist da schon dabei. Und in der Halbzeitpause gibt‘s dann noch zwei, drei Hinweise, aber kurz und prägnant. Miele ist ja fokussiert auf das Spiel, und zu viel Input ist nicht gut.
Gab‘s da vor der Saison eine Theoriestunde bei so vielen Handzeichen?
Überhaupt nicht. Wir verstehen uns aufgrund der täglichen Arbeit. Ich bin ja fast eine Art Personal Trainer. Ich arbeite sehr intensiv in jeder Einheit mit nur zwei, drei Torhütern, da lernt man sich schon sehr gut kennen.
Personal Trainer? Interessante Bezeichnung.
Ich arbeite halt sehr eng mit den Spielern zusammen. Ich kann Stärken und Schwächen sofort ansprechen und korrigieren. Damir (Co-Trainer Damir Buric, d. Red.) und Robin (Cheftrainer Robin Dutt, d. Red.) haben eine ganze Horde auf dem Platz, können natürlich nicht so speziell auf die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Spielers eingehen. Ich habe meine zwei, drei Schäfchen.
Und mit diesen Schäfchen müssen Sie vermutlich auch viel im mentalen Bereich arbeiten, oder?
Ich versuche während einer Trainingseinheit viel zu coachen. Da ich selber Torwart war, kann ich mich sehr gut in bestimmte Situationen hineinversetzen. Ich versuche praxisnah zu trainieren, indem ich bestimmte Szenen nachstelle, die im Spiel oft vorkommen, damit die Torhüter das im Spiel schneller und ohne langes überlegen abrufen können. Automatismen und Bewegungsabläufe sind dann gespeichert. Wie beim Arbeitsspeicher eines PCs.
Sie waren Torhüter in der zweiten und dritten Liga. Welche Erklärung hat denn eigentlich der Torwarttrainer Marco Langner dafür, dass der Torwart Marco Langner nie den Sprung in die erste Liga geschafft hat?
Das war eine andere Zeit. Es gab keine Leistungszentren. Es gab kaum Scouts, heute wirst du ja schon als 13-Jähriger gesichtet. Ich habe kein spezielles Torwarttraining gehabt bis ich 19, 20 Jahre alt war. Du hast damals einfach nur einen Co-Trainer gehabt, der im Training aufs Tor geschossen hat. Und dann hat auch das Quäntchen Glück gefehlt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein.
Heute sind Torwarttrainer hingegen selbstverständlich.
Ja, Sepp Maier war da der Vorreiter in München. Und dann wurde peu à peu nachgebessert, weil die Vereine erkannt haben, wie wichtig die Position ist. Da wurden dann ehemalige Torhüter von ihren Vereinen langsam installiert.
Gleichzeitig hat sich auch das Anforderungsprofil an einen Torhüter total gewandelt, oder?
Das hat vor allem mit der Änderung der Rückpassregel Anfang der Neunziger zu tun. Von da an durfte der Torwart den Ball ja nicht mehr in die Hand nehmen, wenn er vom Mitspieler kam. Dadurch wurde das Spiel schneller gemacht. Anfangs wurden dann viele Rückpässe vogelwild durch die Gegend geschossen. Einige Trainer haben Rückpässe zum Torwart sogar aufgrund mangelnder Technik verboten.
Was ja im modernen Fußball heutzutage undenkbar wäre.
Deswegen ist der Torwart für mich heutzutage ja auch eher ein Torspieler. Er bekommt einen Rückpass und leitet den Ball weiter wie ein Feldspieler. Er verlagert das Spiel um 20, 30 Meter. Und richtig modern wird es dann, wenn der Torspieler außerhalb des Strafraums so eine Art Innenverteidigerposition übernimmt. Er bietet sich an wie ein Feldspieler und schickt die Abwehrspieler weiter nach vorne, um im Mittelfeld eine Überzahlsituation zu schaffen.
Das ist also Ihre Idealvorstellung?
Das ist meine Idealvorstellung, dass du elf Feldspieler auf dem Platz hast. Das ist dann der ganz moderne Fußball. Da wollen wir hinkommen.
Ist Manuel Neuer so ein Torspieler?
Manuel Neuer ist schon sehr weit. Er ist mutig, er antizipiert gut, und er spielt gut mit. Er ist ein Torspieler, der riskant spielt, es aber gut abschätzen kann.
Dieses Risiko gehört dann wohl zum modernen Torwartspiel dazu, oder?
Dieses Risiko muss immer abgeschätzt werden. Die Torhüter haben ja heutzutage teilweise 50, 60 Ballkontakte im Spiel, davon fangen sie aber manchmal nur zwei mit der Hand. Der Rest sind dann Abstöße, Rückpässe und Spielverlagerungen oder lange Bälle. Das hat sich total gewandelt. Das Torwartspiel ist sehr komplex geworden, für mich ist es die wichtigste Position des gesamten Teams.
Bei so vielen Veränderungen ist es ja eigentlich nur logisch, dass es heute so viele junge Stammtorhüter in der Bundesliga gibt.
Die junge Generation spielt das schon sehr souverän und mutig runter. Sie sind mit diesen spielerischen Elementen einfach aufgewachsen.
Die junge Generation wirkt auf dem Platz aber auch viel braver als ihre Vorgänger.
Das stimmt. Es gibt kaum noch Torhüter, die so polarisieren wie früher ein Oliver Kahn, Jens Lehmann oder Frank Rost. Die Jungs von heute sind intelligente Burschen, die viel fragen und sich auch Gedanken machen.
Sebastian Mielitz gehört auch zu dieser neuen Generation. Wie beurteilen Sie ihn?
Miele ist intelligent, er hat einen guten Charakter, ist sehr ehrgeizig und will sich weiterentwickeln. Das sind schon mal sehr gute Voraussetzungen. Und dann hat er auch noch Talent. Miele wird eine sehr gute Runde spielen.