Herr Eggestein, welche Erinnerungen haben Sie an das Werder-Spiel gegen Wolfsburg im Februar 2017?
Maximilian Eggestein: (grinst) Ich weiß, dass wir damals sehr früh in Führung gegangen sind, und dass Wolfsburg danach das Spiel unter Kontrolle gehabt hat. Sie hätten einige Tore schießen können …
Aber am Ende hat Werder mit 2:1 gewonnen. Ein echter Dusel-Sieg, oder?
Auf jeden Fall! Aber einen dreckigen Sieg haben wir damals gebraucht. Für uns waren die drei Punkte wichtig, weil wir nach dem Sieg gegen Mainz nachlegen wollten. So gesehen ist die Situation jetzt, nach dem Sieg auf Schalke, ganz ähnlich.
In der Tat. Es ist wieder Februar, es ist wieder der 22. Spieltag, Werder steckt wieder unten drin, und ein Sieg gegen Wolfsburg an diesem Sonntag wäre wieder der zweite in Folge. Sind die Vorzeichen also dieselben wie vor einem Jahr?
Ja und nein. Die Parallelen haben wir schon genannt. Aber einiges ist anders heute. Wir standen 2017 auf einem Abstiegsplatz, diesmal nicht. Und ich glaube, dass wir jetzt einen anderen Fußball spielen. Wir spielen dominanter, wollen aktiver sein, nicht nur auf den Gegner reagieren.
Vor einem Jahr war der Sieg gegen Wolfsburg Teil einer Serie mit elf Spielen ohne Niederlage. Lässt sich so etwas wiederholen?
Wenn ich die Serie im Nachhinein betrachte, muss ich sagen, dass da auch Glück dabei war. Es hätte auch genauso gut passieren können, dass wir bis zum Schluss um den Abstieg gespielt hätten. Natürlich wäre uns am liebsten, wenn wir jetzt alle Spiele bis zum Schluss gewinnen. Aber wir müssen realistisch bleiben. Wir haben gute Spiele gezeigt in dieser Saison. Aber es bringt nichts, bloß gut zu spielen. Wir müssen auch das nötige Quäntchen Glück haben. Wie gegen Schalke.
Schalke ist ein gutes Stichwort. Werder hat den Tabellenzweiten geschlagen. Freiburg hat zuletzt gegen Leverkusen und Dortmund gepunktet, der HSV in Leipzig. In der Bundesliga kann, wenn wir die Bayern mal ausklammern, offenbar jeder jeden schlagen. Ist das eine Stärke der Liga, oder ist es eine Schwäche?
Es ist eine Stärke der Liga, dass alle Mannschaften so ausgeglichen sind. Aber man muss auch sehen, dass der FC Bayern dem Rest der Liga enteilt ist, die anderen Klubs haben den Anschluss verloren. Das ist eine Schwäche.
Momentan wird auch viel über das spielerische Niveau in der Bundesliga diskutiert. Als Zuschauer hat man das Gefühl, dass keine Mannschaft mehr den Ball haben will.
Das stimmt. Die meisten Mannschaften haben erkannt, dass viel Ballbesitz zwar schön anzuschauen ist, dich aber nicht unbedingt weiterbringt. Jetzt heißt es: Wir wollen den Ball möglichst nah am gegnerischen Strafraum gewinnen, damit der Weg zum Tor nicht so weit ist. Das macht es für Mannschaften schwerer, die schön hinten rausspielen wollen.
Attraktiv ist das für den Zuschauer aber nicht immer.
Es geht darum, erfolgsorientiert zu spielen, egal, ob es schön aussieht oder nicht. Unsere Serie aus 2017 hat das doch gezeigt: Wir haben nicht in jedem Spiel den besten Fußball gespielt, aber wir haben gewonnen. Darüber reden die Leute heute noch, nicht darüber, ob wir toll gespielt haben.
Kommt Ihnen der aktuelle Trend entgegen?
Das kann man so sagen. Ich bin zwar nicht der schnellste Spieler, doch ich laufe viel. Aber ich spiele ja nicht Fußball, weil ich laufen will. Ich spiele Fußball, um den Ball zu haben. Aber in der Situation, in der wir uns befinden, zählen andere Dinge. Und die versuche ich, auf den Platz zu bringen.
Zurück zum Spiel gegen Wolfsburg 2017: Wissen Sie, wer damals im defensiven Mittelfeld neben Ihnen gespielt hat?
Milos Veljkovic. Aber ein Zusammenspiel war das eigentlich gar nicht. Es war eher ein Zusammenverteidigen. (lacht) Eigentlich ist es Wahnsinn, dass der Wolfsburger Trainer (Valérien Ismaël, Anm. d. Red.) nach diesem Spiel entlassen wurde. Die haben ein super Spiel gemacht und hätten eigentlich gewinnen müssen.
Milos Veljkovic hat seitdem eine ähnlich gute Entwicklung genommen wie Sie, ist zuletzt aber etwas in die Kritik geraten. Wie bewerten Sie seine jüngsten Leistungen?
Ich finde, dass Milos in der Öffentlichkeit zu kritisch gesehen wird. Die Tore, die angeblich auf seine Kappe gehen, sind das Ergebnis einer Verkettung von Fehlern mehrerer Spieler gewesen. Niklas und er machen das in der Innenverteidigung echt gut. Ich habe vollstes Vertrauen in die beiden. Milos hat in der einen oder anderen Szene vielleicht nicht so gut ausgesehen, aber man sollte einem jungen Spieler auch mal einen Fehler verzeihen. Es kann noch nicht alles perfekt sein in dem Alter.
Haben Sie das Gefühl, dass ihn die Fehler und die Kritik aktuell beschäftigen?
Nein. Er weiß, dass die eine oder andere Situation nicht ganz glücklich gelaufen ist, aber Milos weiß das zu verarbeiten.
Wie ist das eigentlich bei Ihnen? Wie gehen Sie mit Rückschlägen um?
Ich kann das ganz gut mit mir selbst verarbeiten. Ich brauche niemanden, der mir gut zuredet.
Also werden die Leistungen auch nicht mit Ihrem Papa besprochen, der ja selbst mal Fußballprofi gewesen ist?
Doch, mit ihm rede ich darüber. Aber mein Vater ist jetzt nicht der Typ, der sagt: „Das war nicht dein Fehler, Junge.“ Er ist ein ehrlicher Kritiker, und das ist gut so. Es bringt nichts, wenn man sich immer alles schönredet. Aber er weiß auch, dass ich weiß, wenn ich etwas gut oder schlecht gemacht habe. Wenn was gut läuft, sagt er vielleicht „Glückwunsch“, aber es ist nicht so, dass ich nach guten Leistungen zu Hause ein Extra-Essen zur Belohnung bekomme.
Football-Profi Nick Foles, der die Philadelphia Eagles am vergangenen Wochenende zum Super-Bowl-Sieg geführt hat, hat nach dem Spiel gesagt: „Rückschläge gehören zum Leben dazu. Sie bilden den Charakter.“
Das kann ich unterschreiben. Ich bin der Überzeugung, dass man aus den negativen Erlebnissen mehr mitnimmt als aus den positiven. Wenn man nur Erfolg hat, lehnt man sich irgendwann zu sehr zurück. Trotzdem braucht man als Sportler auch Erfolgserlebnisse, um weiterzumachen. Sonst verliert man ja irgendwann die Lust.
Welche Rückschläge haben Sie denn am meisten geprägt?
Ein großer Lernprozess war für mich die Rückversetzung in die U 23. Da habe ich gelernt, dass man sich nicht hängen lassen sollte, egal wie groß der Rückschlag ist. Dass man zurückkommen kann. Ich habe mir damals in der U 23 fest vorgenommen, dass ich mich bei Werder durchsetze. Ich wollte nie in die zweite oder dritte Liga verliehen werden. Ich wollte es hier schaffen, und das ist mir ja auch ganz ordentlich gelungen.
Hat Sie der Abstiegskampf auch verändert?
Auf jeden Fall! Dieser Druck, jede Woche über den Abstiegskampf reden zu müssen, und das über einen längeren Zeitraum, das hat mich in meiner Entwicklung weit nach vorn gebracht.
Wir kommen leider nicht umhin, auch diesmal kurz über den Abstiegskampf zu reden. Werder ist Tabellen-15., spielt aber deutlich besser. Wie bewerten Sie die Lage?
Die ist nicht ganz einfach, aber ich glaube, dass wir den richtigen Weg gewählt haben, der uns am Ende zu den nötigen Punkten führen wird. Es kann ja nicht von Dauer sein, dass Mannschaften wie Hertha gegen uns so viel Glück haben. Wir wollen das Spiel gestalten, egal gegen wen. Aber natürlich müssen wir auch mal etwas Glück haben, wenn wir nicht am Limit spielen. Denn wir können nicht jede Woche perfekt spielen.
Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, zumindest drei Spiele in Folge perfekt zu spielen, oder? Immerhin geht es nacheinander gegen Wolfsburg, Freiburg und Hamburg.
Diese Spiele sind richtig wichtig, da müssen wir nicht drum herumreden. Das sind Spiele gegen direkte Konkurrenten im Abstiegskampf. Die sollen nicht punkten, dafür können wir sorgen. Und wir müssen punkten. Aber selbst wenn wir alle drei Spiele gewinnen sollten, sind wir immer noch nicht unten raus. Und wenn wir nur ein Spiel gewinnen, sind wir auch noch nicht abgestiegen. Es gibt noch zehn Spiele danach, die müssen wir auch erfolgreich gestalten. Die Spiele jetzt werden nicht entscheiden, wo wir am Ende stehen. Aber sie sind auf jeden Fall richtungsweisend.
Maximilian Eggestein
ist in Hannover geboren und 2011 vom TSV Havelse in den Nachwuchsbereich des SV Werder gewechselt. 2014 hat er sein Debüt in der Fußball-Bundesliga gegeben. Inzwischen ist der 21-Jährige im zentralen Mittelfeld gesetzt.