Die Milchwirtschaft hat sich innerhalb eines Jahrhunderts rasant entwickelt. Einst brachten Pferdekarren die Milch zu den kleinen Ortsmolkereien. Heute sammeln große Tanklastwagen die Milch auf den Bauernhöfen ein, um sie zu großen Zentralmolkereien zu bringen. Die Milchverarbeiter haben sich durch Fusionen zu immer größeren Unternehmen zusammengeschlossen, kleinere Standorte wurden aufgegeben. Die Molkereien verschwinden aus den Ortsbildern – auch in Sottrum.
Beträchtliche 33 Meter hoch war der Schornstein der Molkerei in Sottrum. Seit den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts war er ein Wahrzeichen des Ortes. Vor wenigen Wochen musste der Schornstein abgerissen werden, weil er marode geworden war. Der Abriss steht für das Verschwinden der kleinen Molkereien in der Region.
Dabei hatte vor rund 100 Jahren noch fast jedes Dorf seine eigene kleine Molkerei. Die Milch wurde damals in große Kannen abgefüllt und dann von Pferdekarren abgeholt, auf denen sie in die nächstgelegene Ortsmolkerei kutschiert wurde.
So etwa muss es auch um 1900 in Sottrum ausgesehen haben. 1889 nahm dort die Molkerei ihren Betrieb auf und war damit eine der ersten Molkereien im Raum Bremen. 53 Menschen aus Sottrum und Umgebung gründeten gemeinsam die Genossenschafts-Molkerei; 1908 gehörten ihr schon 358 Mitglieder an. In dem Betrieb wurde aus der Milch Käse, Sahne oder Quark gefertigt. „Die Produkte konnten dann direkt in der Molkerei abgeholt werden“, erzählte Johann-Hermann Mahnke, der selbst in der Genossenschaft Mitglied war und 1986 deren Aufsichtsratvorsitzender wurde.
Noch bis in die 1970er-Jahre wurde die Milch in Sottrum in Kannen angeliefert. „Das waren 20-Liter-Kannen. Die an die Straße zu schleppen, war gar nicht so einfach“, erinnerte sich der 76-Jährige. Erst 1973 gab es den ersten Milchsammelwagen in Sottrum, drei Jahre später wurde auf Tankfahrzeuge umgesattelt.
Kurz nach der 100-Jahr-Feier kam dann das rasche Ende des Betriebs. „Im Dezember 1989 gab es einen Preiseinbruch auf dem Milchmarkt“, erklärte Mahnke. Danach habe es einige Versuche gegeben, die Molkerei so zu erhalten, wie sie war, bis man schließlich 1991 beschloss, mit der Molkerei Elsdorf in Zeven zu fusionieren. Die Sottrumer Molkerei zog nach Zeven. Eine Gruppe von örtlichen Landwirten, die sich zur Bäuerlichen Gemeinschaftsmolkerei zusammentaten, übernahm die Fabrik 1991. Bis 1998 betrieben sie die Molkerei eigenständig weiter. Rund 110 Jahre nach der Eröffnung war mit der Milchproduktion in Sottrum endgültig Schluss. 1998 wurde der Betrieb eingestellt. Neue EU-Richtlinien hätten einen Umbau der Molkerei erforderlich gemacht, den die Bauern nicht bezahlen konnten.
Es fanden sich schnell neue Käufer für das Gebäude: Die beiden Rechtsanwälte Lisa Vehring und Rolf-Peter Opitz taten sich mit den Betreibern einer Softwarefirma, Frank Will und Roland Feldhinkel, zusammen, um gemeinsam das alte Gemäuer zu kaufen und zu Büros umzubauen. „Es war für uns ganz wichtig, den Charakter des Gebäudes weitestgehend zu erhalten“, erzählte Opitz. Das Treppenhaus mit seinen gekachelten Wänden, das zu der Kanzlei der beiden Anwälte führt, sei beispielsweise noch aus Molkereizeiten erhalten. Trotz aller Sanierungsbemühungen musste der Schornstein des Gebäudes abgerissen werden. Das einzige, was jetzt noch an die einstige Milchfabrik erinnert, ist der Schriftzug auf der Frontseite.
Das Schicksal der Sottrumer Molkerei teilen viele Milchfabriken in der Region. Die ehemalige Molkerei Schafwinkel in Kirchlinteln, die 1927 gegründet wurde, ist bereits in den 80er-Jahren verkauft worden. Heute beherbergt das Gebäude Kleinstunternehmer, Künstlerateliers und Veranstaltungsräume. Auch die alte Molkerei in Worpswede, für die 1940 der Grundstein gelegt wurde, musste 1972 schon wieder geschlossen werden. Heute werden die Räumlichkeiten als Kulturzentrum für Ausstellungen oder Theater genutzt.
Zusammenschlüsse in Wellen
Viele der Molkereien schlossen sich im Laufer der Zeit zu größeren Unternehmen zusammen. „Die Fusionen kamen in Wellen“, erzählte Norbert Reinke vom Genossenschaftsverband. Immer wenn es Veränderungen in der Wirtschaft gab, habe es auch neue Zusammenschlüsse gegeben. Insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute verschmolzen viele Molkereien.
Nach Angaben der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen (LVN) gab es 1950 in Niedersachsen noch 603 Molkereien, 2012 waren es nur noch 29, also rund 95 Prozent weniger. „Das ist einfach eine notwendige Veränderung“, erklärte Kristine Kindler, Geschäftsführerin der LVN. Wer seine Produkte auch über die Ortsgrenzen hinaus anbieten und das Angebot erweitern wollte, der tat sich eben zusammen. Eines der größten Molkerei-Unternehmen heute ist das Deutsche Milchkontor mit Hauptniederlassungen in Bremen und Zeven, das sich 2011 aus Nordmilch und Humana zusammenschloss. An 28 Standorten in ganz Deutschland verarbeitet das Unternehmen jährlich 6,7 Milliarden Kilogramm Milch. „Man kann heute aber auch als kleine Molkerei überleben“, berichtete Kindler. „Wenn man sich auf Nischenprodukte spezialisiert.“