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EU-Reform Erhalten Europas Fluggäste bald seltener eine Entschädigung?

Die polnische Ratspräsidentschaft will die Reform der EU-Fluggastrechte-Verordnung vorantreiben. Es steht zur Debatte, ob Verbraucherschutz oder Geschäftsinteressen mehr Priorität haben sollen.
16.05.2025, 16:06 Uhr
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Erhalten Europas Fluggäste bald seltener eine Entschädigung?
Von Katrin Pribyl

Wer zuletzt mit dem Flieger in die Ferien reiste, brauchte gute Nerven. Im Sommer vergangenen Jahres war fast jeder zweite Flug in Europa verspätet. Statt wie geplant am Strand zu liegen, durch Rom zu flanieren oder die Konferenz in Kopenhagen zu besuchen, sorgte die Warterei für Frust bei Urlaubshungrigen wie Geschäftsreisenden. Zum Trost stand ihnen je nach Entfernung aber eine Entschädigung zwischen 250 und 600 Euro zu, falls die Verspätung mehr als drei Stunden betrug. Geht es nach einigen EU-Mitgliedstaaten, könnte sich das jedoch bald ändern. Dann wäre eine Ausgleichszahlung erst ab fünf Stunden fällig.

Die amtierende polnische Ratspräsidentschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, die Reform der EU-Fluggastrechte-Verordnung voranzutreiben. Am 5. Juni sollen sich die Verkehrsminister bei ihrem Treffen in Luxemburg einigen, zumindest politisch. Im Kern dreht sich die Debatte um die Frage, was mehr Priorität haben soll: Verbraucherschutz oder Geschäftsinteressen? „Es geht um viel Geld“, versuchte ein Diplomat zu erklären. Aktuell sieht es danach aus, dass sich die Länder auf die Seite der Fluggesellschaften schlagen könnten, die regelmäßig über hohe Entschädigungsforderungen stöhnen.

Die Diskussionen stocken auf EU-Ebene seit elf Jahren, weil die 27 Staaten uneins sind. Dabei hatte die EU-Kommission bereits 2013 einen Vorschlag für ein Update der mittlerweile 21 Jahre alten Regeln präsentiert, das Europaparlament legte 2014 seine Position fest. Während die Brüsseler Behörde damals argumentiert hatte, dass eine Drei-Stunden-Frist für die Airlines oft zu kurz sei, um Ersatzteile oder -flugzeuge zu beschaffen oder Umbuchungen vorzunehmen und die Unternehmen deshalb ermutige, Flüge zu streichen, beharrten die EU-Abgeordneten darauf, die Schwelle bei drei Stunden zu belassen. Die meisten Verspätungen liegen zwischen zwei und vier Stunden, rechnete der Europäische Verbraucherverband Beuc vor und warnte: 75 Prozent der Fluggäste hätten kein Recht mehr auf Entschädigung, falls die relevanten Zeitschwellen auf fünf, neun und zwölf Stunden angehoben würden. Es wäre „eine erhebliche Absenkung des derzeitigen Standards des EU-Fluggastschutzes, die nicht akzeptabel ist“, so Steven Berger von Beuc. Aktuell gilt die Richtlinie für alle Maschinen, die in der EU abheben, unabhängig von der Nationalität der Airline, und für Flüge, die in der Gemeinschaft landen, wenn sie von einer EU-Fluggesellschaft durchgeführt werden.

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Die Summen dürfen lediglich dann verweigert werden, wenn „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen, wie beispielsweise extreme Wetterbedingungen, Einschränkungen der Flugsicherung oder politische Instabilität. Während die Mitgliedstaaten auch hier Ausnahmeregelungen zulassen wollen, verlangen Verbraucherschützer eine Angleichung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. „Allzu oft berufen sich Fluggesellschaften auf ‚außergewöhnliche Umstände‘, um Entschädigungszahlungen zu vermeiden“, monierten Vertreter von Beuc und vier weiteren Organisationen in einer Erklärung. Streiks des Personals von Fluggesellschaften aber seien „nicht außergewöhnlich“.

Im Hohen Haus Europas herrscht derweil nicht nur Ärger über die inhaltlichen Pläne. Denn die polnische Ratspräsidentschaft will mithilfe eines ungewöhnlichen Verfahrens den Einfluss des EU-Parlaments einschränken und den Abgeordneten „die Pistole auf die Brust setzen“, um die eigene Position durchzudrücken, wie es hieß. Sie streben einen Standpunkt in sogenannter erster Lesung an. Das bedeutet zum einen, dass das Parlament weniger Zeit erhält, um zu reagieren. Zum anderen könnte lediglich eine absolute Mehrheit die Position des Rats überstimmen.

Es sei ein „inakzeptabler Vorgang, dass die Mitgliedstaaten versuchen, mit einem prozeduralen Trick die Beteiligung des Parlamentes auszuhebeln“, schimpfte der FDP-Europaabgeordnete und Koordinator im Verkehrsausschuss für die Liberalen, Jan-Christoph Oetjen, gegenüber dieser Zeitung. „Das werden wir uns nicht gefallen lassen.“ Allgemeiner Konsens besteht darin, dass „dringender Handlungsbedarf bei der Überarbeitung der Passagierrechte“ bestehe, so der CDU-Europaparlamentarier Jens Gieseke gegenüber dieser Zeitung. Doch auch er kritisierte das Wie. „Nach über einem Jahrzehnt der Untätigkeit im Rat soll nun eine Reform im Eilverfahren durchgepeitscht werden – und das auf Kosten der Passagiere, da die Mitgliedstaaten die Entschädigungsregeln deutlich abschwächen wollen“, sagte der Verkehrspolitiker. „Sollte der Rat diesen Weg einschlagen, wäre das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Co-Gesetzgebern nachhaltig gestört.“

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