Für Piere Marggraf-Rogalla und Sven Hauke kam das Biotechnologiezentrum wie gerufen. 2004 gründeten die Molekularbiologen mit zwei weiteren Gesellschaftern die Zyto-Vision GmbH, nachdem sie am Zentrum für Humangenetik an der Uni Bremen zusammengearbeitet hatten.
Beide haben sich auf tumorgenetische Forschung spezialisiert und sogenannte Fish-Sonden entwickelt, die für die Erkennung von bestimmten Genveränderungen in Tumorproben unerlässlich sind. Die Entwicklung und Forschung der Bremer auf diesem Feld zog so großes Interesse nach sich, erzählt Sven Hauke, „dass daraus die Frage erwuchs, ob man unser methodisches Know-how nicht auch kommerziell verwerten kann“.
Die Frage ist längst beantwortet: Zyto-Vision beschäftigt mittlerweile mehr als 50 Mitarbeiter. Den Umsatz beziffert Piere Marggraf-Rogalla auf rund fünf Millionen Euro. Zudem hat Zyto-Vision mit der 42 life sciences GmbH & Co. KG (kurz: 42 ls) ein zweites Unternehmen hervorgebracht, mit einem weiteren guten Dutzend Stellen.
An seiner Spitze stehen ebenfalls Hauke und Marggraf-Rogalla, die für ihre unternehmerische Tätigkeit bereits eine ganze Reihe von Auszeichnungen eingeheimst haben. „Wir sind immer ganz hanseatisch vorgegangen“, sagt Letzterer. „Wir haben uns selbst hoch verschuldet und sind mit unserem Umsatz gewachsen, nicht mit fremdem Geld.“
Als der Entschluss zur Unternehmensgründung gereift war, brauchten Hauke und Marggraf-Rogalla Laborräume und finanzielle Hilfe. Das Biotechnologiezentrum sei nicht nur einzigartig gut gelegen, direkt am Schaufenster Fischereihafen, sondern auch vollkommen autark und gut ausgestattet. „Das Konzept ist stimmig“, so Hauke.
Die Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH (BIS) sei obendrein überaus entgegenkommend gewesen, die Wege in Bremerhaven seien kurz. Marggraf-Rogalla sagt: „Ohne die BIS würde es uns nicht geben.“ Und so nehmen die beiden geschäftsführenden Gesellschafter seither in Kauf, zwischen Bremen und Bremerhaven zu pendeln.
"Wir haben eine Variante gefunden, die schon nach zwei Stunden Ergebnisse erzielt"
Das Kürzel Fish hat rein gar nichts mit Flossen zu tun, auch wenn es in Bremerhaven nahe läge. Fish steht für „Fluoreszenz in situ Hybridisierung“. Sonden sind künstlich hergestellte DNA-Stränge, mit denen Gen- oder Chromosom-Auffälligkeiten sichtbar gemacht werden können. Die künstlichen DNA-Abschnitte sind molekularbiologisch so behandelt, dass sie einen fluoreszierenden Farbstoff in sich tragen.
Die DNA könne man als eine umfangreiche Bedienungsanleitung für den Aufbau einer menschlichen Zelle verstehen, sagt Hauke, „wie den großen Brockhaus mit einer großen Reihe von Bänden“. In ihr gebe es aber gelegentlich massive Veränderungen, Bände seien doppelt vorhanden, auseinandergerissen und wieder wahllos zusammengefügt. Damit sei die Bedienungsanleitung teilweise fehlerhaft und führe zu Anomalien, die das Wachstum und die Ausbreitung bestimmter Krebsarten fördern können.
Die Unregelmäßigkeiten in Anzahl oder Lage können in vitro, außerhalb des lebenden menschlichen Körpers, nachgewiesen werden: Im Labor werden die Doppelstränge der menschlichen DNA der Gewebeproben sowie der Fish-Sonden durch Hitze aufgetrennt. Anschließend ordnen sich die künstlichen Sonden ihrem menschlichen Pendant zu, haften dort und werden unter speziellem Licht als farbige Punkte im Fluoreszenz-Mikroskop sichtbar gemacht. „Ein normales Gen gibt es immer in zwei Kopien“, so Hauke, „wenn man drei, vier oder 15 leuchtende Punkte sieht oder nur einen, weiß man, dass etwas nicht stimmt“.
Die Zyto-Vision GmbH konzentrierte sich zunächst auf Produkte für Marktnischen, auf diagnostische Kits für Krebsarten, die weniger weit verbreitet sind, da ein großer amerikanischer Hersteller bereits am Markt etabliert war. „Wir haben uns erst in dieser Nische einen Namen gemacht und sind aus dieser Nische heraus gewachsen“, so Hauke. Rund 300 verschiedene Produkte für die Diagnose unterschiedlichster Tumorarten werden mittlerweile in die ganze Welt verschickt.
Die Forschung der Spezialisten befasst sich nicht nur mit der Entwicklung von neuen Sonden für weitere Krebsarten, sondern auch mit neuen Techniken. „Die Fish-Methode ist relativ zeitaufwendig“, sagt Hauke, „wir haben eine Variante gefunden, die schon nach zwei Stunden Ergebnisse erzielt.“ Das ist weltweit einzigartig und durch ein Patent geschützt – eines von elf Patenten in verschiedenen Nationen. Außerdem arbeite das Zyto-Vision-Team an Methoden, die zum Ziel haben, auf einmal mehrere DNA-Abschnitte nachzuweisen.
In zwei der drei vom Bund geförderten Projekte des i³-Life-Sciences-Clusters Nordwest ist die Zyto-Vision GmbH eingebunden. In „Ampli-Fish“ forscht sie gemeinsam mit dem Fraunhofer Mevis nach Methoden für die automatische und zuverlässige Diagnostik von Brusttumoren, die eine spezielle Therapie nach sich ziehen kann.
Mit „Klick-Fish“ suchen die Spezialisten mit Kollegen der Firmen Biolog Life Science Institute und Si-Chem (Sirius Fine Chemicals) sowie dem Universitätsklinikum Jena nach neuen Verfahren zur Markierung von Nukleinsäuren und entwickeln passende Fish-Sonden. Im Fokus der Forschung steht die sogenannte Gendeletion, eine Mutation, die im Verlust von Chromosomenabschnitten und damit auch dem Fehlen von Informationen besteht und für genetisch bedingte Erbkrankheiten verantwortlich sein kann.
Zyto-Vision gehört nicht nur dem Bremer, sondern auch dem Cluster Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg an. Mit anderen Unternehmen arbeitet sie dort an einem vom Bundesforschungsministerium gefördertem Pilotprojekt, das dazu führen soll, dass „genetisches Material von Tumorgewebe künftig wie eine ,Landkarte‘ zu lesen sein wird“, wie es das Forschungsministerium beschreibt. „So soll es möglich werden, spezifische Defekte in den Genen des Tumors sicher und schnell zu erkennen, um daraus eine speziell für diesen Patienten passende Therapie zu entwickeln.“
"We have the solution"
2008 entstand aus Zyto-Vision die Schwesterfirma 42 ls, die Komponenten und Vorprodukte wie Puffer- und Färbelösungen für andere Biotechnologie-Unternehmen herstellt, die dort veredelt werden. Denn: Mit den Chemikalien, die sie für ihre Produkte am Markt bekommen konnten, seien sie nicht zufrieden gewesen, so Hauke. Deshalb wird seit bald zehn Jahren selbst produziert.
Ihren Namen verdankt die Firma dem Kultroman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams. „42“ ist die Antwort eines Supercomputers auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. Der Slogan der Firma lautet entsprechend: „We have the solution“.
Hier sei ebenfalls Forschungsaufwand nötig: „Die Lösungen müssen möglichst lange stabil und zuverlässig sein, das ist nicht leicht hinzubekommen“, sagt Marggraf-Rogalla. Zudem gehe es mehr und mehr darum, neue Methoden zu entwickeln, um feinste Gen-Veränderungen nachzuweisen, wie es beim HP-Virus möglich sei, der Gebärmutterhalskrebs auslösen kann. Diese Verfahren basieren auf der DNA-Array-Technologie, hier forschen die Experten der 42 ls.
Bislang sind die beiden Firmen im Biotechnologiezentrum gewachsen. Doch was geschieht, wenn die Zahl der Aufträge und Mitarbeiter weiter steigt? Möglicherweise komme irgendwann ein eigener Firmensitz infrage, sagt Marggraf-Rogalla. Momentan gebe es dazu keine konkreten Überlegungen, zumal die Branche unter akutem Fachkräftemangel bei technischen Berufen leide.
Eine weitere Erschwernis zeichne sich bereits für die Zukunft ab: die neue EU-Verordnung für In-vitro-Diagnostika, die vor einigen Monaten verabschiedet worden ist. Das bedeutet laut Sven Hauke: Hersteller solcher Diagnostika wie Zyto-Vision und 42 ls müssen mit höheren Auflagen, mehr Bürokratie, umständlicheren Zulassungsverfahren und deutlich höheren Kosten rechnen.