Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Einzelhandel Viel Verpackung, weniger Inhalt

Die Verbraucherzentrale Hamburg kürt nächste Woche wieder die "Mogelpackung des Jahres". Die Tricks der Hersteller, Preiserhöhungen so gut wie möglich zu verstecken, sind mittlerweile hinlänglich bekannt.
21.01.2022, 17:21 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Viel Verpackung, weniger Inhalt
Von Christoph Barth

Die Verbraucherzentrale Hamburg vergibt in der kommenden Woche wieder einen Preis, den keiner haben möchte: Gesucht wird die "Mogelpackung des Jahres 2021". Fünf Kandidaten haben die Verbraucherschützer zur Wahl gestellt, durchweg Produkte bekannter Markenhersteller wie Bahlsen, Nestlé oder Knorr. Allen gemeinsam ist: In der Verpackung steckt weniger drin, als es nach außen den Anschein hat oder die Kunden es gewohnt sind. Diese Masche für versteckte Preiserhöhungen kritisieren die Verbraucherschützer seit Jahren – und finden doch immer wieder neue Beispiele in den Regalen der Supermärkte.

Was ist für die Verbraucherschützer eine Mogelpackung?

Zum Beispiel das Kitkat Sammelpack von Nestlé, einer der unfreiwilligen Bewerber um die "Mogelpackung des Jahres 2021": Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern steckt nur noch vier statt fünf Schokoriegel in ein Päckchen. Der Preis bleibt (scheinbar) gleich, erhöht sich jedoch tatsächlich durch die geringere Menge um satte 25 Prozent. Oder der Kekshersteller Bahlsen: Aus Gründen der "politischen Korrektheit" änderten die Hannoveraner den Namen ihrer Waffeln von "Afrika" in "Perpetum", verpassten der neuen Verpackung gleich noch ein schickes Design und stellten das Ganze zum alten Preis in die Supermarktregale. Allerdings hatte sich neben Name und Design auch die Füllmenge geändert: von 130 auf 97 Gramm, so das der alte Preis de facto einer Preiserhöhung um ein Drittel gleichkam. Der Milka-Hersteller Mondelez, der mit seiner Deutschland-Zentrale in Bremen sitzt, kam dieses Mal davon, war aber mit geschrumpften Schoko-Weihnachtsmännern und -Osterhasen oder seinen nicht mehr ganz so großen Großtafeln auch schon im Visier der Verbraucherschützer.

Soll Verpackungsmüll gespart werden?

Genau das kritisiert die Verbraucherzentrale: zu viel Plastik und Papier für zu wenig Inhalt. Eine Studie im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) hat ergeben, dass jedes Jahr 1,4 Millionen Mülltonnen (à 240 Liter) in Deutschland eingespart werden könnten, wenn Hersteller auf überdimensionierte Luft-Verpackungen verzichten würden. Der Umweltfrevel hat auch den Wurzener Waffelblättchen von Griesson-de Beukelaer in diesem Jahr einen Platz auf der Kandidatenliste eingebracht: Der Kekshersteller erhöhte zwar den Inhalt um genau ein Blättchen (von 100 auf 103 Gramm), verdoppelte dafür jedoch nahezu die Größe der Verpackung und schlug rund 25 Prozent auf den Preis drauf. "Das Produkt ist nicht nur eine handfeste Mogelpackung, sondern obendrein eine echte Umweltsünde", kritisiert die Hamburger Verbraucherzentrale.

Wie ist die Rechtslage?

Nach dem deutschen Eichgesetz darf ein Hersteller keine größere Füllmenge vortäuschen, als in einer Verpackung tatsächlich enthalten ist. Allerdings lässt der Gesetzgeber einen Spielraum: 30 Prozent Leerraum sind noch in Ordnung, im Einzelfall auch mehr, wenn etwa der tatsächliche Inhalt deutlich sichtbar oder erfühlbar ist. Die Hersteller wehren sich deshalb gegen den Vorwurf, ihre Kunden zu täuschen: "Wenn solch eine Täuschung so oft vorkommen würde, wie das Wort ,Mogelpackung' in der Öffentlichkeit gebraucht wird, käme das die Hersteller sehr teuer zu stehen", sagt Solveig Schneider, Sprecherin des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI). Bei Mondelez weist man zudem darauf hin, dass Inhalt und Gewicht der Produkte deutlich auf den Verpackungen ausgewiesen seien.

Wie rechtfertigen die Hersteller ihre überdimensioniert erscheinenden Verpackungen?

"Viele Süßwaren und Knabberartikel sind empfindlich und/oder zerbrechlich", erklärt Schneider. So befinde sich beispielsweise in einer Tüte Kartoffelchips „Luft“, um sie durch die so geschaffene Schutzatmosphäre haltbarer zu machen und vor Bruch beim Verpacken, Transport oder der Lagerung  zu schützen. Die deutschen Süßwarenhersteller hätten das Verpackungsmaterial in den letzten drei Jahrzehnten kontinuierlich optimiert und reduziert. Kunststoffverpackungen seien immer leichter und dünner geworden. "Ihr Verbrauch konnte im Vergleich zu 1991 um über 35 Prozent gesenkt werden", rechnet Schneider vor.

Was sind die Gründe für das Spiel mit den Verpackungsgrößen?

In erster Linie ist es der Preiskampf, der vor allem im Lebensmittel-Einzelhandel herrscht. Die Supermarktketten und Discounter – Edeka, Rewe, Lidl, Aldi – machen Druck auf die Hersteller, bestimmte Preisschwellen nicht zu übersteigen. Wenn aber die 1,99 Euro nicht mehr zu halten sind, weil Löhne, Rohstoffpreise und andere Produktionskosten steigen, greifen die Hersteller in die Trickkiste. Manchmal steckt tatsächlich auch eine verbesserte Verpackung dahinter, deren Mehrkosten der Hersteller möglichst unauffällig aufzufangen versucht.

Was fordern die Verbraucherschützer?

"Wir benötigen eine Transparenzplattform, auf der Hersteller verpflichtend vorab Füllmengenänderungen melden müssen", so die Verbraucherzentrale Hamburg. Nur so könnten Verbraucher beim Einkauf halbwegs auf Augenhöhe mit Herstellern und Handel agieren. Ob eine solche Plattform allerdings bald zur Pflichtlektüre vor jedem Einkauf wird, darf bezweifelt werden. Und dass bei den Hamburger Verbraucherschützern auf ihrer Suche nach der "Mogelpackung des Jahres" allein im vergangenen Jahr 2000 Hinweise eingingen, deutet darauf hin: So ganz unbemerkt bleibt das Spiel der Hersteller mit den Verpackungsgrößen nicht.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)