Die Freude und Erleichterung ist Birgit Helken, seit 15 Jahren Direktorin der Grundschule an der Stader Straße, deutlich anzumerken, dass die große Jubiläumsfeier am Freitag, 24. Juni, nun endlich über die Bühne gehen kann. Mit viel Arbeit und einem Jahr coronabedingter Verspätung. Denn eigentlich wäre der Stichtag schon 2021 gewesen. 40 junge Schüler-Reporterinnen und -Reporter haben eifrig recherchiert, um für die Jubiläumsausgabe der Schülerzeitung die Geschichte ihres Bildungsinstituts zu dokumentieren: 100 Jahre auf 100 Seiten. Für die studierte Musiklehrerin war es klar, dass die Grundschule an der Stader Straße mit ihrem reformpädagogischen Ansatz ihre Wunschschule sein würde. Das Konzept des Förderns und Forderns aller Kinder samt ihrer unterschiedlichen Stärken ginge sehr gut auf, resümiert Helken. Wertschätzung ist dabei das Zauberwort.
Werder-Stars als prominente Ehemalige
Sie ist stolz darauf, dass sich die Grundschule in den letzten Jahren erfolgreich an die Ideale des Versuchsschul-Konzeptes angenähert hat. "Wir haben die wertvollen Ansätze der demokratischen Erziehung und der Stärkung des Selbstbewusstseins durch das ausgeprägte Musikprofil und die Theaterarbeit weiter entwickelt", sagt sie. So gibt es allein vier Chöre und die Ganztagsschule ist Partnerschule der Bremer Philharmoniker. Weitere Kooperationen bestehen mit der Musikschule "Casa della Musica", mit dem Sportgarten, der Zirkusschule und dem SV Werder Bremen. Immerhin haben Werders langjähriger Chef-Coach Thomas Schaaf und Ex-Präsident Klaus-Dieter Fischer als Schüler auf dem Campus kicken gelernt. Teil des Konzeptes ist auch das generationen- und fächerübergreifende Lernen in Projektgruppen in zwei Lernhäusern. Dort werden seit 2020/2021 jeweils zehn Erst- und zehn Zweitklässler gemeinsam beschult. Im zweiten Lernhaus sind es jeweils zehn Dritt- und zehn Viertklässler. In dieser Konstellation von acht Gruppen fahren die Kinder auch regelmäßig in das Schullandheim in Cluvenhagen, das 1925 als naturnaher Lernort von den Eltern aufgebaut wurde. "Wir leben, genießen und feiern heute die kreative Vielfalt unserer heutigen Gesellschaft", bilanziert die Schulleiterin.
Die Nazis stampften alle Reformansätze ein
Gerade einmal zwölf Jahre hatte die 1921 gegründete Schule an der Stader Straße Zeit, um sich mit ihrem ambitionierten Versuchsschul-Konzept zu etablieren. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden genau diese Konzepte gekippt und der Großteil des Lehrkörpers entlassen. Strenge Hierarchien wurden wieder eingeführt und das Prinzip der Koedukation wieder aufgehoben, das heißt, Mädchen und Jungen wurden wieder getrennt unterrichtet. Am 1. April 1921 nahm die Versuchsschule an der Stader Straße in zwölf Klassen, als eine von drei Versuchsschulen in der Östlichen Vorstadt, ihren Unterricht auf. Sie mussten sich weder an Stundentafel noch an Lehrpläne halten. Zudem war es der Lehrerschaft frei gestellt, Zeugnisse ohne Noten als geschriebene Entwicklungsberichte zu erteilen.
Doch trotz allen pädagogischen Engagements: Aller Anfang war schwer. So hatten die Lehrer mit erheblichen organisatorischen und pädagogischen Problemen zu kämpfen. Der Unterricht konnte zunächst nur eingeschränkt verwirklicht werden, da der Schule kaum Lehrmittel zur Verfügung standen. Für die künstlerische und handwerkliche Selbstbetätigung der Kinder im Arbeitsunterricht war kaum Material vorhanden. Eingeführt wurde eine Schülerselbstverwaltung, die Eltern wurden in das Schulleben miteinbezogen. Von 1933 bis 1967 war das Bildungsinstitut Volksschule mit den Klassenstufen eins bis acht/neun, anschließend Grundschule mit Orientierungsstufe. Seit 1975 ist die Schule an der Stader Straße eine reine Grundschule mit den Klassenstufen eins bis vier.
Bessere Finanzierung dringend benötigt
Das Schulgebäude ist mittlerweile über hundert Jahre alt und seht seit 1984 unter Denkmalschutz. Es wurden diverse Sanierungen vorgenommen. Zurzeit unterrichten 20 Lehrkräfte, 13 pädagogische Mitarbeitende, sechs Assistenzkräfte sowie mehrere Vertretungslehrende an der Ganztagsschule an der Stader Straße. Dazu kommen drei Referendarinnen. Insgesamt besuchen 300 Kinder die Schule. Im Sommer werden es sogar 360 sein, sagt die Schulleiterin. Deshalb werden auch weiterhin Lehr- und Assistenzkräfte sowie Referendare gesucht. "Wir sind immer in Bewegung", bilanziert Helken. Klar ist aber auch: "Wir brauchen eine bessere Finanzierung" mehr Geld für die Bildung, also auch für Personal und Lernmaterial. Denn: "Schule könnte so viel schöner sein, wenn Bremen mehr in Bildung investieren würde", resümiert sie. Schließlich müssten auch die Schul-Toiletten dringend saniert werden. Außerdem möchte Helken verhindern, dass ihr Kollegium, wie jetzt, regelmäßig an ihre Belastungsgrenze stößt. Immer in Bewegung bleiben, das gilt auch für die künftigen Pläne zur Etablierung eines gemeinsamen Bildungscampus von Klasse 1 bis 10, gemeinsam mit dem Kinder- und Familienzentrum Betty Gleim und der Oberschule an der Schaumburger Straße. Ganz im Sinne des ursprünglichen reformpädagogischen Konzeptes. Voraussichtlich im nächsten Jahr soll der Bau einer neuen Schule beginnen.