Eine katholische Kirche in Woltmershausen ist zur Flüchtlingsunterkunft umgebaut worden. Im 330 Quadratmeter großen Gotteshaus St. Benedikt an der Butjadinger Straße sollen 40 Flüchlinge wohnen.
Das Kreuz hängt noch an der gewohnten Stelle, und auch die bunten Fenster sind noch da. Doch ansonsten ähnelt die katholische Kirche Sankt Benedikt in Woltmershausen nicht mehr so richtig einem sakralen Ort. Keine Bänke, kein Tabernakel, keine Weihnachtskrippe. Stattdessen: Helle Holzplatten als Fußboden, weiße Kunststoffwände und Tafeln mit Zimmernummern von eins bis elf. Die Kirche der Gemeinde Sankt Franziskus ist seit diesem Donnerstag eine Flüchtlingsunterkunft für 40 junge Männer aus Syrien.
„Wir wollen zeigen, dass die Kirche immer offene Türen hat und dass bei uns jeder willkommen ist“, sagt Pfarrer Johannes Sczyrba bei der offiziellen Übergabe der Kirche an die Caritas, die die Einrichtung betreiben wird. Die Situation von Maria und Josef, die auf der Suche nach einer Herberge überall abgewiesen wurden mit der Begründung „Kein Platz!“, solle für Flüchtlinge in Bremen nicht gelten. „Doch, es ist Platz“, betont Sczyrba. Mit seiner Idee, Flüchtlinge in das Gotteshaus einziehen zu lassen, geht der Pfarrer neue Wege: Sankt Benedikt ist die erste Kirche in Bremen, in der Flüchtlinge wohnen. Auch bundesweit seien nach Angaben des Geistlichen bisher nur Kirchen zu Flüchtlingsheimen umfunktioniert worden, die schon entwidmet und somit nicht mehr als Gotteshäuser genutzt wurden. In Woltmershausen jedoch bleibt die Kirche ein Gotteshaus. „Wir bleiben präsent“, bekräftigt Sczyrba. Für vorerst ein Jahr sollen die Flüchtlinge dort leben.
„Ich halte es nicht für selbstverständlich, dass die Gemeinde auf ihre Kirche verzichtet“, lobt Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Bei den hohen Flüchtlingszahlen von 80 bis 85 neu eintreffenden Menschen pro Tag, nehme sie jede alternative Lösung zu Zelten und Turnhallen dankbar an. „Das ist gelebte Nächstenliebe“, sagt Stahmann über das Angebot der Katholiken. Besonders erfreulich für die Senatorin: Die Kirchengemeinde möchte kein Geld für die Unterbringung der geflüchteten alleinstehenden Männer.
Es sind Männer wie Hasan, 25 Jahre, aus Aleppo, der seine Frau und seine Mutter im Bürgerkrieg zurücklassen musste. Oder wie der 28 Jahre alte Mohammed aus Damaskus. Auch Obeida aus dem nordsyrischen Idlib ist darunter. Seine Heimatstadt ist in der Hand der islamistischen Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger der Terrorgruppe Al-Kaida. Die kämpft zwar gegen Diktator Assad, geht aber ähnlich brutal vor wie der Daesch. Hasan, Mohammed und Obeida sind über das Mittelmeer nach Europa geflohen, bislang wohnten sie in der Turnhalle Roter Sand. Dort genossen sie wenig Privatsphäre. Dass sie als Muslime künftig in einem christlichen Gotteshaus wohnen werden, macht ihnen nichts aus. „Für mich ist es kein Problem“, sagt Hasan. Dass niemand, der in der Kirche wohnt, zwangsmissioniert werden solle, unterstreicht die Geschäftsführerin des katholischen Gemeindeverbands, Sonja Glasmeyer: „Es soll keiner gegen seinen Willen hier untergebracht werden.“
„Ich werde berühmt“, sagt Hasan lachend angesichts der vielen Kameras, die an diesem Vormittag auf ihn gerichtet sind. Er und einige andere junge Männer waren vorbei gekommen, um Interviews zu geben. Weil aber nicht jeder berühmt werden möchte, erfolgte der Einzug der Gruppe erst am Nachmittag – ohne Blitzlichtgewitter. Dann werden auch die Betten und Spinde aus der Turnhalle mitgenommen.
Damit der Einzugstermin überhaupt eingehalten werden konnte, haben Handwerker der Firma A+W Bildungszentrum viele Überstunden geleistet und waren am Wochenende im Einsatz. „Wir haben die Dringlichkeit gesehen und richtig Gas gegeben“, sagt Tischlermeister Georg Schulte. Seine Angestellten, zu denen auch Flüchtlinge gehören, haben das Taufbecken und den Altar mit Holz ummantelt, sie haben Ambo, Stehkreuz, das ewiges Licht und Bilder des Kreuzweges herausgetragen. Am meisten Arbeit machten die elf Räume, die die Arbeiter im Kirchenschiff gezimmert haben. Sie sind zwischen 16 und 21 Quadratmeter groß und sollen je nach Größe drei bis vier Männer beheimaten. Damit die Bewohner in Sicherheit sind, erhielten zudem die Türen eine neue Schließanlage.
Für einige der Gemeindemitglieder war es nicht einfach, ihre Kirche herzugeben. „Es sind viele Tränen geflossen“, erzählt Schwester Judith Terheyden. Anfang November hatte Pfarrer Sczyrba in einem Gottesdienst die Idee vorgestellt. Viele seien schockiert gewesen. „Einige haben diese Kirche 1966 mit aufgebaut, ihre Kinder hier taufen lassen oder hier geheiratet“, sagt die Ordensfrau, die im Jahr 1987 zur Gemeinde gekommen ist und engen Kontakt zu den Gläubigen hat. „Die Veränderung ist nicht allen leicht gefallen“, gibt auch der Pfarrer zu. In vielen Gesprächen und einer Veranstaltung für die Nachbarschaft warb er für Verständnis.
Am ersten Advent hat die vorerst letzte Heilige Messe in der Sankt-Benedikt-Kirche stattgefunden. Seither predigt Pfarrer Sczyrba im Gemeindesaal. Dort dient ein normaler Tisch als Altar, die Stühle stehen eng aneinander. Gerade für die orthodoxe Gemeinde sei dieser Raum etwas eng, sagt der Pfarrer. „Aber eigentlich ist es hier ganz schön geworden“, findet Schwester Judith und blickt sich im Gemeindesaal um. An der hinteren Wand hängen die Bilder des Kreuzweges, vorne leuchtet das ewige Licht.
Die Gemeinde hat sich mit der besonderen Situation arrangiert. „Mittlerweile ist die Solidarität sehr groß“, sagt Sczyrba. Wie das Zusammenleben mit den Flüchtlingen aussehen wird, kann der Pfarrer allerdings noch nicht sagen. Er legt Wert darauf, dass die Kirchenmitglieder nicht für die Flüchtlinge etwas tun wollten, sondern mit ihnen.
Und noch etwas Gutes habe das Provisorium in der Sankt-Benedikt-Kirche: „Die evangelische Christuskirche hier in Woltmershausen hat uns Katholiken zum Weihnachtsgottesdienst eingeladen.“ So rücken nicht nur Muslime und Christen zusammen, sondern auch die Konfessionen.