"Das Wetter, Regenfälle in einem kaum vorstellbaren Ausmaß, dann wieder die erbärmliche Hitze. Dann die häufigen Schlägereien und Messerstechereien zwischen den einzelnen Arbeitern. Dazu kamen noch Schlangen, Moskitos, Spinnen und sonstige Unannehmlichkeiten wie Überfälle auf die Baustelle, um Material zu entwenden", so beschreibt Hartmut Martin Rudolf Bogaczynski, der Autor des Buches "Wie ich als 21-Jähriger im brasilianischen Urwald landete" das Chaos, das er bei seiner Ankunft auf der Riesen-Baustelle der futuristischen Hauptstadt Brasilia vorfand. Sein erster Gedanke: Nichts wie zurück nach Deutschland. Doch da wartete der Einberufungsbefehl zur Bundeswehr auf ihn. "Und alles war besser als das", sagt er. Also hielt es der Bremen-Norder einige Jahre in Brasilien aus. Bis er allerdings im brasilianischen Urwald landete, hatte der 21-Jährige bereits eine Abenteuerreise hinter sich.
Per Hubschrauber nach Brasilia
Auf der Flucht vor dem Wehrdienst heuerte er auf einem Stückgutfrachter der Unterweser-Reederei AG Richtung USA an. Dort wurde er mit Kusshand genommen, hatte er, aus einer Vulkanesen-Dynastie stammend, doch nach dem Abschluss der Schule beim Bremer Vulkan eine Lehre zum Maschinenschlosser absolviert und strebte nun ein Maschinenbaustudium an. Später fuhr er als dritter Ingenieur auf einem Frachter, der zwischen New York und Brasilien verkehrte. Seine Ladung: Baustellenmaterialien für die Großbaustelle in Brasilia. Aus einer Bierlaune heraus sollte die Idee entstehen, von Bord abzumustern und bei einem US-amerikanischen Unternehmen mitten im Urwald anzuheuern. Gesagt, getan. Per Hubschrauber ging es für den Autor und seine Weggefährten, einen Schweden und einen Chilenen, von Sao Paulo aus auf die Baustelle.
Aus dem Urwaldboden gestampft
Brasilien kann in diesem Jahr den 200. Geburtstag seiner Unabhängigkeit von Portugal feiern. Brasilia wurde vor rund 60 Jahren nach einer Rekord-Bauzeit von nur fünf Jahren als Hauptstadt Brasiliens eingeweiht. Die großzügig geplanten, so monumentalen wie futuristischen Visionen des Architekten Oscar Niemeyer wurden förmlich aus dem Urwaldboden gestampft. "Mitten im Urwald von Brasilien, auf einem riesigen Hochplateau, 1115 Meter über dem Meeresspiegel zwischen dem 15. und dem 20. Längengrad gelegen, sollte die neue Hauptstadt Brasilia entstehen", schildert der Autor. 1922 wurde anlässlich der Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit von Portugal der Grundstein für das Mammut-Projekt Brasilia gelegt. Das Vorhaben Brasilia sollte dann allerdings noch einmal 35 Jahre ruhen, erzählt Bogaczynski. 1956 machte der damalige Präsident Juscelino Kubitschek die Realisierung von Brasilia endgültig zur Chefsache. "Das Bauvorhaben, das Unsummen an Geld verschlang, wurde an große Unternehmen auf der ganzen Welt vergeben", erinnert sich Bogaczynski. Der straffe Zeitplan sei nur einzuhalten gewesen, weil bis zu 40.000 Mitarbeiter gleichzeitig an dem gigantischen Projekt arbeiteten.
Bogaczynski, Jahrgang 1937, erinnert sich in seinem autobiografisch angelegten Buch, das er im Winter 2020 in Marbella schrieb, an seine damalige Unterkunft in Brasilia: "Eine riesige Baracke, halb fertig. Die Fenster waren nur notdürftig mit Draht und alten Tüchern abgedichtet, die Betten waren, wie der ganze Raum, sehr feucht und muffig. Außerdem gab es kein fließendes Wasser, keinen Strom, für Licht sorgten einige Petroleumlampen". Hier sollte er nun also mit zehn Kollegen einziehen. "Wir zehn gehörten vorläufig zu einer Abteilung mit weiteren 40 Ingenieuren und Technikern, teilweise auch in den letzten Monaten angeworben oder von ihren Firmen aus den USA, aus Mexiko und Argentinien sowie Brasilien eingeflogen", erinnert sich der Autor.
Begegnung mit dem Architekten
"Wir waren neben weiteren 8000 Arbeitern für den Bau des Flughafens, 15 Kilometer von der künftigen Hauptstadt Brasilia entfernt, zuständig. Das Areal lag wie das Tanklager, ein Kraftwerk und ein Umspannwerk auf einem Hochplateau. Es war für mich, trotz aller Widerstände eine tolle Zeit, obwohl ich in der Regel einen bis zu 14-Stunden-Tag hatte". Auch Oscar Niemeyer, dem brasilianischen Architekten mit deutschen Wurzeln sei er damals begegnet, der Brasilia federführend am Reißbrett entwarf, erzählt er. Einem kleinen, freundlichen Mann.
Nur eines bedauert der pensionierte Ingenieur und Betriebswirt, der als Globetrotter fast die ganze Welt bereist hat, bis heute: "Ich habe das fertig gebaute Brasilia nie gesehen". Aber, das möchte er mit seiner Frau so bald wie möglich nachholen. Brasilia hat ihn indes zu der Erkenntnis inspiriert, dass Bremen etwas mehr architektonischer Wagemut guttun würde. Er findet es ausgesprochen schade, dass die Libeskind-Türme am Brill vom Senat gekippt wurden. "Denn damit wäre Bremen aufgewertet worden", sagt er.
Das Buch "Wie ich als 21-Jähriger im brasilianischen Urwald landete" von Martin Rudolf alias Hartmut Martin Rudolf Bogaczynski, ist ab Mittwoch, 12. Oktober, in allen Zeitungshäusern des WESER-KURIER sowie im WESER-KURIER-Onlineshop erhältlich. Es kostet 14,90 Euro.