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Brasilien Vorwärts in die Vergangenheit

Luiz Inácio Lula da Silva will es noch mal wissen. Trotz aller Bedenken gegen den früheren Staatschef Brasiliens geht es vor allem um eines: die Wiederwahl Jair Bolsonaros zu verhindern, meint Klaus Ehringfeld.
11.05.2022, 05:00 Uhr
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Von Klaus Ehringfeld

Mit voller Fahrt vorwärts in die Vergangenheit. So soll in Brasilien die zweite Amtszeit von Jair Bolsonaro verhindert werden. Und die Linken-Ikone Luiz Iná­cio „Lula“ da Silva nimmt sich dieser Aufgabe an. Der 76-Jährige opfert sich mit Freude, könnte man sagen. „Ohne einen Grund verliert das Leben seinen Sinn“, erklärte Lula, als er nahe São Paulo seine Kandidatur für die Präsidentenwahl am 2. Oktober offiziell machte. Er hat nie daran gedacht, sich zurückzuziehen. Weder das Alter noch eine Verurteilung wegen Vorteilsannahme und anderthalb Jahre Gefängnis oder seine bevorstehende Hochzeit haben Lulas Leidenschaft für die Politik gebremst.

Überraschend kommt die Ankündigung nicht, geahnt hat es das ganze Land. Die Meinungsumfragen geben Lula recht. Und der frühere Präsident der Arbeiterpartei PT, der Brasilien zwischen 2003 und 2010 regierte, machte klar, um was es geht: „Den Faschismus in den Abfluss der Geschichte spülen.“

Zurück auf der politischen Bühne

Zwölf Jahre nach dem Ende seiner Präsidentschaft ist Lula also zurück auf der politischen Bühne und gleich im Wahlkampfmodus, obwohl die offizielle Kampagne erst im August beginnt. Dabei geht es für den früheren Präsidenten und viele Millionen seiner Anhänger, aber vor allem auch für ganz gewöhnliche Brasilianer um ein höheres Gut, das alle Bedenken gegen eine eventuelle dritte Lula-Amtszeit in den Schatten stellt: die Wiederwahl Bolsonaros zu verhindern. Denn der rechtsextreme Ex-Offizier will vier weitere Jahre regieren und hatte lange Zeit dafür ganz gute Karten. 

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Aber seit Sonntag weiß Bolsonaro, wer sein größter Herausforderer sein wird: Nach Monaten Bedenkzeit und der Suche nach Alliierten in diesem Kampf ist Lulas Rückkehr eines der spektakulärsten Comebacks selbst im politisch unberechenbaren Lateinamerika. Der Mann mit der Reibeisenstimme inszeniert sich dabei als Retter seines Landes, eine Rolle, die ihm liegt und Erfolg verspricht angesichts der katastrophalen Amtsführung des autoritären Machthabers.

Lula verspricht nicht weniger als „die größte friedliche Revolution, die Brasilien je gesehen hat“. Denn er weiß, dass Bolsonaros autokratische Regierung alle Errungenschaften der Jahre der PT-Regierungen wieder zurückdrehen will. Bolsonaro zerstört die Umwelt, verkauft strategisch wichtige Unternehmen und schafft den öffentlichen Sektor der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas ab. Er will ein anderes Brasilien, ein Land für die Wirtschaft, die Eliten und nicht ein inklusives, gerechtes, modernes und offenes Land.

Dabei beschwört Lula die Vergangenheit, um die Zukunft zu gestalten. Es wirkt fast wie Nostalgie, wenn er daran erinnert, dass es Land und Leuten besser ging, als er noch regierte. Die unter ihm weltweit sechstgrößte Wirtschaftsmacht ist tatsächlich unter Bolsonaro auf Platz zwölf abgestürzt.

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Lulas größtes Versprechen ist es, die guten Jahre zurückzubringen. Die Bevölkerung habe die Wahl zwischen „dem Brasilien der Demokratie oder dem Brasilien des Autoritarismus, dem Brasilien der Wahrheit oder dem Brasilien der Lügen, dem Brasilien der Toleranz oder dem Brasilien der Intoleranz“.

Der frühere Präsident ist der Vertreter der Generation älterer, weißer Männer, in der es nur einen sehr kleinen Platz für Frauen gibt. Lula verspricht zwar, dass er sich für die Umwelt, die Schwarzen, die Ureinwohner und die LGBT-Bewegung einsetzen werde, aber man merkt ihm an, dass er mit diesen Themen fremdelt.

In allen Umfragen der Favorit

Dennoch ist er seit Monaten in allen Umfragen der Favorit. Derzeit wollen für den ehemaligen Gewerkschafter etwa 45 Prozent der Wahlberechtigten stimmen. Vor einigen Tagen jedoch sorgte Lula für Entsetzen, als er in einem Interview mit dem „Time“-Magazin der Ukraine und den USA eine Mitschuld für den russischen Angriffskrieg gab.

Nun also Bolsonaro gegen Lula. Rechtsaußen gegen einen Linken von alter, etwas überkommener Schule. Aber es ist vor allem ein Anti-Demokrat gegen einen Demokraten. Bolsonaro schadet Brasilien und schadet Lateinamerika. Ihn zu stoppen, dafür ist jedes demokratische Mittel und jede Reise in die Vergangenheit gerade recht.

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