Barschlüte. Die Gemüter sind etwas beruhigt. So richtig glücklich sind zahlreiche Bürger aus der Neubausiedlung Barschlüte aber immer noch nicht. In den Tagen vor Weihnachten standen ihnen Wasser und Matsch auf der Erschließungsstraße „Im Wiesenkieker“, der einzigen Zufahrtsstraße zur Siedlung, bis zu den Knöcheln. Einige Straßenkanten sind unter der Last schwerer Fahrzeuge abgebrochen. Ein Termin für den Ausbau des Wiesenkiekers und der Stichstraßen ist immer noch nicht in Sicht.
„Vor Weihnachten konnte man hier nicht mehr ohne Gummistiefel laufen“, berichtet Bianka Ludwig, vor deren Haustür sich einige Siedlungsbewohner getroffen haben. „Das Wasser stand in der Mitte auf der Straße.“ Schlagloch habe sich an Schlagloch gereiht. Kurz vor dem Fest sei der Wohnungsbaugesellschaft Wesermarsch der Unmut der Anwohner wohl zu Ohren gekommen, vermutet Ludwig. „Da kam plötzlich ein Bagger und hat die schlimmsten Löcher zugeschoben.“ Trotz der Abhilfe ist der Ärger über das Braker Unternehmen groß. „Ich habe so einen Hals“, sagt Uwe Apel. Der Mann, der in vier Wochen im Baugebiet „Weserdüne“ einziehen will, schüttelt den Kopf. „Dass ein Bauherr so eine Mail bekommt.“ Er bezieht sich auf ein Schreiben, das ihm wenige Tage zuvor per Mail zugestellt worden war.
In dem Schreiben fordert die Wohnungsbaugesellschaft die Bauherren auf, die Erschließungsstraße nach dem „Parken im unbefestigten Seitenstreifen“ zu reinigen, „zum Beispiel mit Schippe, Schaufel und Besen“. Der Seitenstreifen müsse „danach wieder aufgefüllt und profiliert werden“. Hervorgehoben ist der Passus „Grundstücke müssen so hergerichtet werden, dass Baustellenfahrzeuge auf dem Grundstück parken können.“ Ebenfalls gefettet ist folgender Satz: „Die Erschließungsstraße ist nicht für Begegnungsverkehr, zum Beispiel mit LKWs gebaut; kein Befahren des unbefestigten Grünstreifens.“
Die Anwohner ärgern sich, dass die Wohnungsbau Wesermarsch alle Verantwortung auf die Bürger abwälzen wolle. Sie bestreiten nicht, dass es auch schwarze Schafe unter den Anwohnern gibt. So stehe für sie außer Frage, dass ein Bauherr seine Garage entgegen der Bebauungsordnung direkt auf eine Grenze gebaut habe. „Das ist eine Frage der Überwachung“, sagt Bianka Ludwig.
Tim Warnken, der gemeinsam mit Frau und zwei jugendlichen Kindern seit gut 14 Jahren in der „Weserdüne“ wohnt, gibt zu Bedenken, dass in der Siedlung eine ganz besondere Situation herrsche. „Für die Neuen ist es ein Baugebiet. Aber wir wohnen schon seit 14, 15 oder 17 Jahren hier.“
Der Ärger mit den Straßen habe vor zwei Jahren begonnen – zeitgleich mit Beginn einer regeren Bautätigkeit zwischen Industrie- und Ritzenbütteler Straße. Mittlerweile sind laut Internetseite der Wohnungsbau Wesermarsch bis auf drei alle 117 Grundstücke verkauft. Damit sei die 80-Prozent-Regel erfüllt, nach der die Erschließungsstraßen ausgebaut werden müssten, sagt Uwe Apel. Doch die Gruppe belehrt den angehenden Neubürger eines Besseren. Auch knapp 100 Prozent verkaufte Grundstücke genügten nicht als Voraussetzung, sagt Tim Warnken. Die 80-Prozent-Regel beziehe sich auf bebaute, nicht verkaufte Grundstücke.
Warnken weiß, wovon er spricht. In seinem Stichweg sind drei Grundstücke bebaut. Das letzte Verbliebene immerhin verkauft. Da der Bauherr sein Areal derzeit noch brachliegen lässt, wird Warnken wohl weiter auf den Ausbau seines Stichwegs warten müssen. „Bei vier Grundstücken sind 80 Prozent schwer zu erreichen“, sagt der Lemwerderaner zähneknirschend.
Sie wollten das Wohngebiet nicht schlechtmachen, versichern die Versammelten unisono. „Die Lage ist ideal“, sagt Bianka Ludwig. „Man ist schnell in Bremen und Oldenburg. Die Anbindung ist super und es ist wunderbar ruhig hier“, schwärmt Iris Schäfer. „Wir haben oft Hasen und Fasane im Garten“, freut sich Bianka Ludwig. Insbesondere dieses naturnahe Leben hat Annemarie Aumüller und ihren Mann Uwe Apel nach Lemwerder gelockt. Und die Grundstückspreise. Die seien, verglichen mit anderen Baugebieten der Region, verhältnismäßig günstig gewesen. „Selbst, wenn man hier rammen muss“, fügt Uwe Apel an.
Die Rammen und der Verkehr der Baufirmen bereiten den Barschlütern derzeit allerdings Probleme. „Wir freuen uns, dass hier so viel Bautätigkeit ist“, sagt Tim Warnken. „Aber wenn sich hier ein Auto und ein Lastwagen begegnen, muss einer in die Berme“, betont Bianka Ludwig. Dementsprechend sehen die Randstreifen aus. Tiefe, aufgeweichte Furchen flankieren die Erschließungsstraße. Den Alteingesessenen ist mitgeteilt worden, dass die Straßen bis zum Jahr 2020 fertiggestellt werden sollen. Allerdings: „Der Wiesenkieker hat Risse. Der wird niemals mehr bis 2020 halten“, ist Bianka Ludwig überzeugt.
Einerseits fiebern die Versammelten dem Ausbau ihrer Straßen entgegen. „Die Beiträge dafür haben wir ja bereits mit dem Kaufpreis mit bezahlt“, erinnert Bianka Ludwig. Andererseits können sich die Weserdünen-Bewohner nicht wirklich vorstellen, wie der Ausbau vonstattengehen soll. „Ich weiß gar nicht, wie das organisiert werden soll“, sagt Bianka Ludwig und meint damit den Ausbau der ersten rund 150 Meter des Wiesekiekers. Immerhin sei die Straße die einzige, für den motorisierten Verkehr vorgesehene Zufahrt zur Siedlung.