Vor fast genau vier Wochen hat das Bremer Gesundheitsamt die erste Infektion mit Affenpocken gemeldet. „In der Stadt Bremen haben wir seitdem fünf bestätigte Infektionen, in Bremerhaven einen Fall“, sagt der Leiter des Gesundheitsamtes, Jörn Moock, dem WESER-KURIER. „Zum Glück verlaufen alle Infektionen mild, niemand musste im Krankenhaus behandelt werden, eine Person konnte die Isolation inzwischen gesund verlassen.“
Entwarnung also in der Hansestadt? „Nicht wirklich“, betont Moock. „Wir haben die Sorge, dass Infektionen aus einer bestimmten Szene herausgetragen werden. Darauf reagieren wir mit einer Aufklärungs- und Präventionskampagne.“ Grund für die Sorge waren laut dem Amtsleiter mehrere Verdachtsfälle von Affenpocken-Infektionen in der Crack-Szene – „das hat uns alarmiert“. Crack-Abhängige stünden unter erheblichem Konsumdruck. „Die Betroffenen sind permanent damit beschäftigt, Geld für Crack zu bekommen. Man darf nicht vergessen, dass dafür auch Sex angeboten wird“, betont Moock. „Insofern geht eine gewisse Gefahr davon aus, dass Infektionen unter Umständen auch durch Freier in Familien hineingetragen werden können.“
Die bisherigen Verdachtsfälle hätten sich nicht bestätigt, sie seien aber der dringende Anlass gewesen, diese Szene – und insbesondere auch die Freier – mit Aufklärung und Prävention zu erreichen. Damit sie sich und ihr Umfeld schützen. „Die Übertragung findet durch engen Körperkontakt, beim Sex, aber auch beim Umarmen oder Küssen, über Schleimhäute und Tröpfchen, vor allem über die Pockenbläschen statt. Kondome schützen daher nicht“, betont der Amtsleiter. Ansteckungen könnten nur verhindert werden, wenn der Kontakt zu Infizierten sowie wechselnde Sexkontakte vermieden würden – und beim Verdacht auf eine Infektion umgehend gehandelt werde: „Testen, Kontakt zu anderen Menschen meiden und Hygiene.“
Was bei einem Verdacht zu tun ist
Zwar sei das Virus nicht so schnell übertragbar wie etwa Corona. „Aber: Neben engem Hautkontakt gehört auch die gemeinsame Nutzung von Bettwäsche oder Handtüchern zu den Übertragungswegen. Die Viren halten sich außerhalb des Wirts relativ lange und sind damit infektiös – eben auch auf Kleidung und anderer Wäsche.“ Diese müsse bei einem Verdacht oder der Möglichkeit, dass man sich angesteckt haben könnte, strikt getrennt und bei mindestens 60 Grad Celsius gewaschen werden“, so Moock.
Laut RKI sind bislang ausschließlich Erwachsene betroffen. Die Sorge gelte insbesondere Kindern, bei ihnen könnten Infektionen deutlich schwerer und sogar tödlich verlaufen, warnt der Bremer Gesundheitsamtsleiter. „Deshalb appellieren wir dringend an die Verantwortung.“ Zu den Risikogruppen für schwere Verläufe zählten auch Schwangere.
Die Aufklärungskampagne des Gesundheitsamts richtet sich auch an die Ärzteschaft: "Das Thema Affenpocken ist nach wie vor recht neu, und es gibt noch nicht so viele Fälle. Unser Appell ist: Bei bestimmten Beschwerden immer auch an Affenpocken denken", betont Moock. Zu den Symptomen zählten Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen in der Frühphase. Nach dem Fieber entwickelten sich die Pockenbläschen auf der Haut. "Meistens ausgehend vom Gesicht, über den Oberkörper und abwärts. Es kann aber auch sein, dass sich keine Pocken bilden, dies war bei einer infizierten Person in Bremen der Fall."
Unterkünfte für wohnungslose Infizierte
Ein Ansteckungsrisiko bestehe für Menschen mit wechselnden Sexpartnern oder -partnerinnen. Aktuell sind laut RKI fast ausschließlich Männer erkrankt, die mit anderen Männern Sex hatten. Moock warnt vor ausdrücklich vor Stigmatisierung: "Jeder und jede kann sich infizieren. Das Virus interessiert sich nicht dafür, wer wie orientiert ist oder welches Geschlecht hat. Wären die ersten Fälle etwa im Umfeld eines Volksfests aufgetreten, hätten wir eine andere Zusammensetzung der Gruppe der Infizierten." Auch in Bremen sind ausschließlich Männer erkrankt.
Mit im Boot sind laut Moock auch das Drogenberatungszentrum Comeback, wo Abstriche für einen PCR-Test möglich seien. Auch das Sozialressort ist beteiligt: wenn etwa wohnungslose Infizierte für die Isolation oder bei einem Verdacht eine Unterkunft benötigen sollten. Sie würden in dieser Zeit kostenlos mit Lebensmitteln versorgt. Und: Für den Fall, dass sie Suchtmittel oder Alkohol konsumieren, bekämen sie substituierende Mittel. Schwieriger sei dies bei Crack-Abhängigen, weil die Droge nicht wie Heroin substituiert werden könne. "Hier sind wir mit dem Ameos-Klinikum Bremen im Gespräch", so Moock.
Zu wenige Impfdosen
Bremen hat 200 Dosen des Pocken-Impfstoffs Imvanex erhalten – zwei Impfungen werden empfohlen. 34 weitere Dosen seien vom Bundesgesundheitsministerium für August angekündigt. "Das ist quasi nichts", betont Moock. "Aktuell überlegen wir, wer geimpft werden soll. Präventiv in die Szenen hinein, wie in Berlin? Alles auf einmal verimpfen? Dann hätten wir aber für einen möglichen Ausbruch keinen Puffer. Wenn wir alle Ärztinnen und Ärzte impfen, die Abstriche nehmen und mit potenziell Infizierten in Kontakt kommen, haben wir schon einen größeren Teil des Kontingents aufgebraucht. An einem Konzept arbeiten wir im Moment."
In Niedersachsen sind laut einer Sprecherin des Gesundheitsministeriums Ende Juni 1200 Einzeldosen angekommen. Mehr als 200 davon seien von Ärztinnen und Ärzte abgerufen worden. In dem Nachbarbundesland wurden bislang 27 Infektionen mit Affenpocken an das Landesgesundheitsamt übermittelt, teilt die Sprecherin mit.