Die Schwaben sind sparsam, die Bayern rustikal, die Nordrhein-Westfalen schnodderig, Berliner direkt. Solche Zuschreibungen gibt es seit jeher, und jedes Kind weiß, dass derartige Verallgemeinerungen genauso wenig hinhauen wie bei temperamentvollen Spaniern oder betulichen Schweizerinnen. Ist also alles Unfug, was man Bewohnerinnen und Bewohnern verschiedener Länder und Regionen zuschreibt? Nicht unbedingt, man kann sie nämlich fragen.
Das Institut für Demoskopie Allensbach hat das getan. Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Befragung ist der "Allensbach-Mentalitätsatlas". Er zeigt, wie die Befragten über sich selbst und über die Bewohner anderer Regionen denken. In Auftrag gegeben hat ihn der Regionalverband Ruhr. Deshalb wird besonders herausgestrichen, dass die Menschen im Ruhrpott "als so anpassungsfähig gelten wie in keiner anderen Region". Sie seien Veränderungen und anderen gegenüber aufgeschlossen. Das sei Resultat des Strukturwandels im Ruhrgebiet und wichtig, heißt es weiter, um künftige Transformationsprozesse zu bewältigen.
Strukturwandel? Das kann Bremen auch (notgedrungen). Wie stehen also die Bremer da? Wie die Niedersachsen? Keine Ahnung, und das ist eine im Grunde unverzeihliche Schwäche des Atlasses: Bremen existiert in ihm nicht, Niedersachsen ebenso wenig. Das Institut hat die Bundesrepublik großzügig in sieben Regionen gegliedert. In Bayern, Berlin, Norddeutschland, Rheinland, Ruhrgebiet, Sachsen und Schwaben wurden überproportional viele Personen befragt.
Norddeutschland? Das ist aus norddeutscher Sicht eine kühne Grobheit. Der Bremer ist auch Norddeutscher. Er ist kein Ostfriese und, Gott bewahre, kein Hamburger oder Hannoveraner. Überhaupt muss man schon ausgesprochen tolerant sein, um Hannoveraner noch als Norddeutsche anzuerkennen. Sie grüßen sich nicht mal mit "Moin".
Die Grobheit erklärt vielleicht auch das Bild des Durchschnittsbürgers, das sich in der Befragung abzeichnet: Laut "Mentalitätsatlas" sind die Norddeutsche und der Norddeutsche nicht mehr als Mittelmaß – ob in der Kategorie humorvoll oder lebenslustig, sparsam oder fleißig, optimistisch, offen oder unkompliziert. Allein in drei Sparten fallen sie heraus: Sie gelten als wenig direkt und geradeheraus, als wenig aufgeschlossen gegenüber Veränderungen und belegen den vorletzten Platz beim Thema Selbstbewusstsein. Kein Wunder, wenn man Schweriner und Kielerinnen, Sylterinnen und Emdener über einen Kamm schert. Das geht gar nicht beziehungsweise gaa nich. Das kratzt an Selbstverständnis und -sicherheit.
Die Hamburger Tourismuszentrale beschreibt "Nordlichter" so: "Wir Norddeutschen kommen zwar manchmal etwas eigenbrötlerisch rüber, aber was wir alle gemeinsam haben, ist unsere klare, direkte und vor allem ehrliche Art. Wir verstellen uns nicht und begegnen einander auf Augenhöhe. Und das kann man einem Nordlicht nicht nehmen, egal wohin es sie/ihn hin verschlägt."
Zwischen Hamburg und Bremen liegen zwar nur rund 120 Kilometer und dennoch Welten. Der Hamburger steht an der Außenalster und schlägt mit großer Geste einen Bogen über die Stadt: alles meins. Der Bremer hat einen Hang zur "Selbstverzwergung", wie eine Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung im Oktober 2022 bestätigte. Wer ChatGPT nach den Unterschieden fragt, bekommt zur Antwort: "Oft wird gesagt, dass Hamburger etwas reservierter und hanseatischer sind, während Bremer als freundlicher und zugänglicher gelten. Solche Stereotypen sind natürlich Verallgemeinerungen, die nicht auf jeden Einzelnen zutreffen."
Norddeutsche gelten als zurückhaltend und wortkarg, hinter ihrer "trägen Art", so der NDR, stecke "ein sanftes Gemüt". Sie sind sturmerprobt und regenfest (ebenfalls: notgedrungen), heißt es gemeinhin. Ein norddeutscher Leitspruch lautet "Da rein, da raus"; das funktioniert auch in der schriftlichen Variante. Kurz: Was andere von dir denken, was Institute so herausfinden, da kannst nichts an machen.