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130 Gäste besuchen musikalischen Brecht-Abend / Team für Vegesacker Geschichtenhaus formiert sich Alter Speicher wird neu belebt

Vegesack. Brecht, Dessau, Eisler und Weill im Alten Speicher – das wollten am Freitagabend 130 Besucher sehen und hören. Hochkultur nach Hafenmusikkultur und Bernstein zum Festival Maritim.
22.08.2016, 00:00 Uhr
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Von Volker Kölling

Vegesack. Brecht, Dessau, Eisler und Weill im Alten Speicher – das wollten am Freitagabend 130 Besucher sehen und hören. Hochkultur nach Hafenmusikkultur und Bernstein zum Festival Maritim. In Vegesacks alten Speicher kehrt nach dem Aus des „Spicariums“ langsam das Leben zurück. Und das Team für das neue Vegesacker Geschichtenhaus formt sich langsam aus.

Peter Schenk von der Arbeitnehmerkammer Bremen hat den Abend zusammen mit Silvia Claus vom Beschäftigungsträger „Bras“ ausgeheckt: Zweimal 40 Minuten Brecht in Versen und musikalisch vertont vom Bremer Kaffeehaus-Orchester und den Sängerinnen Julie Comparini (Alt), Manja Stephan (Sopran) und Evelyn Gramel (Jazzgesang). Schenk: „Ich fand die Idee wunderbar, hier diesen tollen Raum zu nutzen.“ Claus: „Und Peter Schenk hatte als Regisseur das Stück gerade fertig, so dass das prima passte.“

Ganz zu Beginn steigt auch André van Waegeningh mit auf die Bühne und wird kurz vorgestellt. Er ist praktisch die erste Neuverpflichtung der „Bras“ für das Vegesacker Geschichtenhaus. Nach dem Studium der Freizeitwissenschaften in Bremen hat der junge Mann schon fünf Jahre den Besucherservice im Freilichtmuseum am Kiekberg in Hamburg-Harburg geleitet. Auch dort geht es um ein gelebtes Geschichtsprojekt: „Allerdings war es dort weniger ein Theaterprojekt im Vergleich zu unserem Geschichtenhaus hier“, so van Waegeningh.

Schauspiellehrer engagiert

Silvia Claus freut sich, dass jetzt die ersten Bewerber auf die insgesamt sieben vom Jobcenter bewilligten Stellen vorsprechen: „Die meisten kommen hier in diesen Raum und sind erst einmal ganz beeindruckt von der Aussicht, in so einem schönen Haus arbeiten zu dürfen.“ Und es gehe der „Bras“ schließlich auch genau darum, den Empfängern von Arbeitslosengeld II, also Langzeitarbeitslosen, in vernünftigen Räumen eine sinnvolle Beschäftigung zu bieten: „Wer hier genau was machen wird, müssen wir jetzt herausfinden. Wir haben jetzt noch eine Schauspiellehrerin engagiert, die mit den Leuten zusammen arbeitet.“

Das Innenkonzept wird noch entwickelt, meint Silvia Claus und André van Waegeningh wird noch etwas konkreter: Er könne sich vorstellen, als Person aus der Vegesacker Geschichte vielleicht einen Matrosen von einem Walfänger auftreten zu lassen oder einen Architekten des Vegesacker Hafens: „Wir werden diese Geschichten und Charaktere dann gemeinsam mit den Darstellern erarbeiten.“ Uwe Mühlmeyer aus der Geschäftsführung der „Bras“ ist an diesem Abend auch im Alten Speicher und hat beim Blick in den Saal überhaupt keine Zweifel, dass das Vegesacker Geschichtenhaus an diesem Ort funktionieren wird: „Uns hat man auch im Schnoor anfangs nicht zugetraut, dass wir mit unserem Bremer Geschichtenhaus dort eine Bereicherung des Quartiers werden würden. Und heute sind wir dort eine Institution, die gar nicht mehr wegzudenken ist.“ 6,90 Euro zahlt ein Erwachsener dort im Schnoor an Eintritt für die Tour.

Was die „Bras“ in Vegesack verlangen wird, weiß Silvia Claus schlicht noch nicht, genauso wenig wie den Eröffnungstermin. Es wird 2017 werden, und Uwe Mühlmeyer rät zur Geduld: „Solche Beschäftigungsprojekte dauern in der Vorbereitung immer ein bisschen länger als man sich das anfangs vorstellt. Und das ist auch gut so, wenn es gut werden soll.“

Der Brecht-Konzertabend kostet keinen Eintritt und erklärt die volle Hütte. Allerdings stellt sich der mehrfach preisgekrönte Filmemacher Wilfried Huismann mit einem weißen Hut in der Hand in den Saal, um für ein Kinderhilfsprojekt in Bolivien zu sammeln. Sein Verein „Zorro“ unterstützt dort in Südamerika arbeitende Kinder und Jugendliche. Auf seiner Drehreise für das arte-Filmprojekt hatte er den Jugendlichen versprochen, etwas für bessere Arbeitsmöglichkeiten für sie zu unternehmen.

Tierverse von Brecht

Die Aktion passt zum Abend mit den gesellschaftskritischen Versen und Liedern von Brecht, etwa zur „Ballade vom angenehmen Leben“ aus der Dreigroschenoper. Die Tierverse von Brecht enthüllen zwischen den ernsten Texten die albern-skurrile Seite des Dramatikers. Seine Sichtweise auf den Pass aus den Flüchtlingsgesprächen von 1940 hat eine eindrucksvolle Aktualität in diesen Tagen: „Der Pass ist das edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustand kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne einen Grund. Aber ein Pass niemals.“

„Sehr anspruchsvoll“ findet eine Dame zur Pause die Vorstellung. „Denn wie man sich bettet, so liegt man“. Dabei kommen im zweiten Teil auch noch die großen Gefühle zum Tragen und eine Säge zum Singen. Den Musikern macht der wilde Ritt durch Brechts Werk sichtlichen Spaß, die Sängerinnen sind stimmlich voll auf der Höhe. So kann es weitergehen im Alten Speicher, wobei „der Neue“ André van Waegeningh schon einmal warnt: „Was wir hier jetzt machen, hat noch absolut nichts mit dem Vegesacker Geschichtenhaus zu tun, wie wir es im kommenden Jahr präsentieren werden.“

Tatsächlich präsentieren Arbeitnehmerkammer und Bras auch als nächstes noch keine Vegesacker Geschichte: Am Sonnabend, 27. August, wird die Ausstellung des Helgoländer Fotografen Franz Schensky im Alten Speicher eröffnet, Prädikat „sehr sehenswert“. Ab 20 Uhr gibt es dazu eine Lesung mit Musik aus Moby Dick von Hermann Melville – wieder kostenlos.

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