Hastedt. Das Schulmuseum, die ehemalige Volksschule Auf der Hohwisch, lässt mehr als 150 Jahre Lehren und Lernen in Bremen Revue passieren. In diesem Zeitraum nehmen die Jahre von 1933 bis 1945 eine Sonderstellung ein. Denn die totalitäre Ideologie der Nazis machte auch vor dem Schulbetrieb nicht halt. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des deutschen Nationalsozialismus bot das Schulmuseum eine spezielle Führung an: Die Kriegspropaganda im Dritten Reich, die bereits Kindern und Jugendlichen in den Schulen vermittelt wurde, stand dabei im Mittelpunkt.
„Kinder und Jugendliche sollten schon früh manipuliert werden, man wollte ihnen die Kriegsziele nahebringen“, sagt Frauke Hellwig, die als Leiterin des Schulmuseums durch den Teil der Ausstellung führt, der Deutschland in der Zeit der NS-Diktatur gewidmet ist.
Totalitäre Herrschaft bedeutet, dass die Ideologie alle Lebensbereiche umfasst: Schule und Ferien, Beruf und Freizeit. Deshalb drang sie bis in die Wohnstuben vor: In einer Vitrine des Schulmuseums zeigt Frauke Hellwig Soldaten als Zinnfiguren mit diversen Waffen, die Kindern auch im täglichen Spiel Lust aufs Kämpfen machen sollten.
Neue Rituale in der Schule
„Da es im Jahre der Machtergreifung der Nazis 1933 noch keine Schulbücher gab, in denen die NS-Ideologie verbreitet wurde, begann man zunächst in der Schule mit Ritualen“, sagt Frauke Hellwig. Dazu gehörte das Flaggenhissen in Findorff zu Beginn und am Ende eines Schuljahres. Die gesamte Schule vollzog den Hitlergruß, wenn die Fahnen hochgezogen wurden – bereits 1933 waren Beamte zum Hitlergruß verpflichtet. Als die Nazi-Ideologie später die Schulbücher infiltrierte, handelten schon die ersten Lesegeschichten für die Kleinen zum Beispiel von tapferen Kindern, die im Weserstadion „Unsere Fahne flattert uns voran“ singen.
Im Geschichtsunterricht höherer Jahrgänge wurde schließlich die gesamte Historie auf die Nazi-Ideologie zurechtgebogen, was schon der Titel der „Lehrbücher“ nahelegt: „Volk und Führer“ in mehreren Bänden für die einzelnen Jahrgänge. In den Kapiteln zum Mittelalter ist von der arisch-germanischen Kraftentfaltung im Norden die Rede, bei der Heinrich der Löwe als Eroberer des Ostens verklärt wird. Die russischen Völker seien von den Tataren erobert worden und vermischten sich mit dieser „niederen Rasse“ – als „Nicht-Arier“ wurden die slawischen Völker als „Untermenschen“ deklassiert.
Bereits in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg wurde den Schülern Osteuropa als potenzieller Kolonisationsraum für die Deutschen schmackhaft gemacht. Es wimmelt in den Geschichtsbüchern von dem, was man heute als Fakes bezeichnet: Den Ersten Weltkrieg hätten die Engländer angezettelt, der Schlusspunkt sei der „Versailler Schandvertrag“ gewesen, der das deutsche Volk erniedrigt habe.
Selbst vor Mathematikbüchern machte die NS-Ideologie nicht halt. „Kinder sollten zum Beispiel errechnen, wie viele Volksdeutsche in anderen Ländern leben, oder wie viel Fläche die Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg ungerechterweise verloren hatten“, sagt Frauke Hellwig. Schon wenn ein Kind in der Schule lesen lernte, wurde es mit Hitler konfrontiert. In einer Erstlesefibel aus dem Jahre 1934 zeigt das Widmungsblatt den Führer, wie er ein Kind umarmt: „Für eine frohe deutsche Jugend“, steht darunter.
Das Prinzip Führertum funktioniert nur durch Gehorchen, und das lernte man besonders in der Hitlerjugend. Für sie lieferte die Schule gleichsam das Menschenmaterial. Lehrer mussten Listen anlegen, die dokumentierten, wie viele Schüler ihrer Klassen bereits in der Hitlerjugend waren. Wer nicht mitzog, musste dies begründen – was sowohl Lehrer wie Schüler unter enormen Druck setzte.
Wie sehr sich das Nazitum in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen eingenistet hatte, zeigen im Schulmuseum Zeichnungen wie die des achtjährigen Edmund, der mit Buntstiften darstellt, wie deutsche Flakanlagen auf einem Burghügel deutschen Luftraum schützen. Und weil in einem Schulaufsatz von 1939 ein Schüler auch unangenehme Seiten des Krieges wie einen Fliegeralarm beschreibt, erhält er vom Lehrer nur die Note Drei.
Der NS-Lehrerbund empfahl den Lehrern, beim Aufsatzschreiben Themen zu vergeben, die den Krieg, der so bald kommen sollte, notwendig und sinnvoll erscheinen lassen. Wenn Schüler über die deutsche Aufrüstung schrieben, setzten sie sich notgedrungen mit nationalsozialistischem Gedankengut auseinander.
„Die Indoktrination reichte bis in die Schulferien“, sagt Frauke Hellwig, „indem Jugendliche als Erntehelfer oder bei der Luftwaffe zum Einsatz kamen, wie zum Beispiel Schüler der elften und zwölften Klasse in den Ortsteilen Kirchhuchting oder Farge.“
Wie Kinder sich im Krieg zu verhalten hatten, zeigte ihnen ein Merkblatt, auf dem es heißt: „Der Tommy kann jeden Tag kommen!“ Sie lernten, den Raum zu verdunkeln, Sandsäcke und Schaufeln bereit zu halten und so schnell wie möglich den Luftschutzbunker aufzusuchen.
Das Wort „Bunker“ liefert für die Teilnehmer an der Führung das Stichwort, das große Schulgebäude zu verlassen und auf den Schulhof zu gehen. Darunter liegt ein 1940/41 gebauter Luftschutzbunker, einer von 280 Erdbunkern in Bremen. Doch das waren immer noch viel zu wenige, um während der verheerenden Luftangriffe der Alliierten allen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen Schutz zu bieten.