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Wegfall von Fördermitteln Alwin-Lonke-Quartier steht auf der Kippe

Im Alwin-Lonke-Quartier leben zahlreiche kinderreiche Familien. Viele haben einen Migrationshintergrund. Die Armut im Ortsteil ist groß. Doch das soziale Problemgebiet in Grambke bekommt keine Förderung mehr. Zahlreiche Projekte fallen dadurch weg.
02.03.2015, 00:00 Uhr
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Alwin-Lonke-Quartier steht auf der Kippe
Von Julia Ladebeck

Im Alwin-Lonke-Quartier leben zahlreiche kinderreiche Familien. Viele haben einen Migrationshintergrund. Die Armut im Ortsteil ist groß. Doch das soziale Problemgebiet in Grambke bekommt keine Förderung mehr. Zahlreiche Projekte fallen dadurch weg. Nun steht auch noch die Existenz eines Jugendtreffs auf der Kippe.

Ausgerechnet das sozial nicht eben gut gestellte Alwin-Lonke-Quartier muss mit Kürzungen und Streichungen von Fördermitteln klarkommen. Die Folge: Soziale Projekte fallen weg, einem wichtigen Teil der Jugendarbeit im Ortsteil Grambke droht das Aus. Dabei ist nicht nur die Armutsquote und der Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund im Alwin-Lonke-Quartier hoch. Dort leben auch viele kinderreiche Familien, Alleinerziehende und Hartz-IV-Empfänger.

Tatjana Bergen wohnt seit zwei Jahren im Alwin-Lonke-Quartier, zunächst in der Alwin-Lonke-Straße, inzwischen hat sie mit ihren beiden Kindern eine Wohnung am Fockengrund. „Ich will hier so schnell wie möglich weg“, sagt die junge Mutter, „das ist kein guter Platz für Kinder“. Sie berichtet von Problemen mit dem Vermieter, der Immobiliengesellschaft Bremische, die angeblich seit mehreren Monaten eine notwenige Reparatur der Haustür verweigert. Auch mit den Nachbarn gebe es oft Ärger. „Wo viele Ausländer wohnen, gibt es Probleme“, sagt Tatjana Bergen, die selbst keine deutschen Wurzeln hat.

Auf dem Gehweg vor dem Mehrparteienhaus am Fockengrund liegt ein Müllhaufen. Kleider, Puppen, Schuhe, eine Decke, Altpapier und allerhand anderer Abfall bilden ein unschönes Stillleben. Der Müll im Quartier ist das, was Paul Nickel am meisten stört. Der 65-Jährige lebt seit 22 Jahren in einem Wohnblock an der Grönlandstraße. Im Vergleich zu früher sei es dreckiger geworden, findet der Rentner. Zu seinen Nachbarn gehören viele kinderreiche Familien, häufig mit Migrationshintergrund. „Da oben leben Kurden, da drüben Afrikaner, eine Familie kommt aus Afghanistan, andere aus Polen und Serbien und nebenan wohnen Russlanddeutsche“, zählt Nickel auf. Mit dieser Vielfalt habe er kein Problem. Nur der Müll, „der ist schlimm“. Trotzdem will er im Alwin-Lonke-Quartier bleiben, wegziehen kommt für Paul Nickel nicht infrage.

Zwei Jahre lang war ein Teil des Quartiers – Grönlandstraße, Heinrich-Hoops-Straße und Fockengrund – ein sogenanntes WiN-Gebiet. Insgesamt 74 000 Euro hatte die Sozialbehörde für die Jahre 2012 und 2013 für Maßnahmen in dem Gebiet rund um die Alwin-Lonke-Straße zur Verfügung gestellt. Für das erste Halbjahr 2014 gab es noch einmal 5000 Euro. Dann war Schluss.

Ziel der Förderung durch das Programm Wohnen in Nachbarschaften (WiN) war es, das Quartier zu stabilisieren. Die Menschen vor Ort sollten sich an Projekten zur Verbesserung der Lebensqualität in ihrem Wohnumfeld beteiligen. Die WiN-Förderung ist jedoch ausgelaufen, weil die Straßenzüge die Kriterien nicht mehr erfüllten. Unter anderem liegt die Zahl der Bewohner unter dem Grenzwert von 550 Personen. Tatsächlich sind es exakt 14 Bewohner, die im betroffenen Gebiet fehlen.

Dabei hat das Alwin-Lonke-Quartier in der statistischen Erhebung „Monitoring Soziale Stadt“, mit der soziale Problemgebiete ermittelt werden, im Jahr 2013 einen unrühmlichen vorderen Platz eingenommen. Entscheidende Kriterien, die bei der Erhebung eine Rolle spielen, sind Einkommensarmut, Sprachstand und Migrationshintergrund. Aus diesen Kriterien wird ein Index errechnet, der die Areale ab einem bestimmten Schwellenwert als Problemgebiete ausweist.

Der städtische Durchschnitt wird bei 100 festgesetzt; der doppelte städtische Durchschnitt – also 200 – wird als Schwellenwert zur Definition eines Gebiets mit „sozialen Problemlagen“ festgelegt. Für die untersuchten Wohnblöcke im Alwin-Lonke-Quartier wurde auf diese Weise ein Gesamtindex von 314,52 ermittelt. Zum Vergleich: Der Brennpunkt Grohner Düne steht mit einem Gesamtindex von 331,78 nicht wesentlich schlechter da.

Da das Alwin-Lonke-Quartier zum Zeitpunkt der Erhebung aber nur 536 Bewohner hatte – die Relevanz für das WiN-Programm aber bei 550 Bewohnern liegt – hatte der Grambker Ortsteil keine „eigenständige Relevanz“ mehr für das WiN-Programm. Stattdessen wurde es – wie auch die George-Albrecht-Straße in Blumenthal – als „Gebiet für eine ressortspezifische Bedarfsprüfung“ gekennzeichnet. Doch anders als das Blumenthaler Areal, dessen Index mit 241,46 sogar niedriger liegt, wurde für das Alwin-Lonke-Quartier keine Förderung bewilligt.

Die Folge: Viele Projekte sind weggefallen. Die Befürchtung der WiN-Koordinatoren Sabine und Michael Kinder war bereits im letzten WiN-Forum im Oktober 2013, dass die erzielten Erfolge dadurch gefährdet werden könnten. Derzeit versuchen die Akteure und Nutzer diverser Grambker Institutionen noch, den Wegfall zu kompensieren.

Uta Karmann, Leiterin der Awo-Begegnungsstätte „Luise Morgenthal“ an der Grönlandstraße, erzählt: „Wir versuchen das Sprachcafé und die Gymnastikgruppe für Migrantinnen aufrecht zu erhalten und Spenden dafür einzuwerben. Die Teilnehmer sind auch selbst bereit, einen Obulus zu leisten.“ Die Bewohner im Quartier würden nicht viel klagen, ist Karmanns Eindruck : „Wer hier lebt, der kennt auch die Probleme, die es hier gibt. Man lebt einfach damit.“

Bedenken hätten die Anwohner, weil nun auch noch dem Jugendclub Fockengrund die Schließung droht – eine Folge der Unterfinanzierung der Jugendeinrichtungen, die Grambke hart treffen würde. Etwa 45 bis 50 Jugendliche nutzen das Angebot des Jugendklubs regelmäßig, dazu kommen rund 20 minderjährige Flüchtlinge. „Es ist klar, dass es einem Stadtteil nicht gut geht, wenn man Geld entzieht“, sagt Michael Pohl, Leiter des Jugendklubs Fockengrund.

Auch die Auswirkungen der Einschnitte bei der geförderten Arbeit für Langzeitarbeitslose machen sich in Grambke empfindlich bemerkbar. Das Gemeinschaftszentrum Studiohaus Grambke an der Alwin-Lonke-Straße beschäftigte beispielsweise bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres einen sogenannten Concierge, dessen Stelle durch das Programm „Bürgerarbeit“ finanziert wurde und die nun ersatzlos weggefallen ist.

30 Stunden in der Woche kümmerte sich der Concierge um die Vermietung der Räume, betreute Organisationen und Privatleute, die das Haus nutzen, gab Kurse und organisierte Veranstaltungen. „Das müssen wir Ehrenamtliche nun alles auffangen“, sagte Willi Adam, Vorsitzender des Trägervereins Gemeinschaftszentrum Studiohaus Grambke, der sowohl den Verein als auch die Institution Studiohaus in Gefahr sieht.

Die Küche des Studiohauses ist ebenfalls verwaist, seit Ende Januar das Küchenteam gehen musste – eine Folge der Streichungen bei den Ein–Euro-Jobs. Genutzt hatten das Essensangebot des Studiohauses laut Willi Adam unter anderem ältere Menschen aus der Nachbarschaft.

Nicht nur das Studiohaus Grambke, auch die anderen sozialen Einrichtungen geraten zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen. Der schlechte Ruf des Quartiers, der in der Vergangenheit unter anderem durch die Belegung von Wohnungen nach dem Ordnungspolizeirecht entstanden ist, rückt wieder in den Vordergrund. Eine Passantin, die selbst nicht im Alwin-Lonke-Quartier wohnt und ihren Namen nicht öffentlich nennen möchte, sagt: „Der Ortsteil ist verrufen. Hier möchte ich nicht einmal begraben sein.“

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