Bahnhofsvorstadt. Welche wertvolle Rolle Kirchengemeinden in der Jugend- und Sozialarbeit spielen, das skizzierte jüngst Jens Holdorf, Diakon der Michaelisgemeinde, den Mitgliedern des Fach-Ausschusses Soziales und Bildung des Beirates Mitte. Sie waren eigens in das Begegnungszentrum Doventor gekommen, um sich vor Ort von dieser Arbeit, die ein gutes Stück weit die Gesellschaft zusammen hält, ein Bild zu machen. Die soziale Zusammensetzung des Klientels habe sich stark gewandelt, sagte der Diakon, indem er auf die vergangenen 20 Jahre zurückblickte. Jugendarbeit bedeute heute für ihn, vor allem mit jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren zu arbeiten. Dennoch unterhält die St. Michaelis-Gemeinde eine Kita, in die allerdings nur noch zehn Prozent der Gemeindemitglieder gehen. „Die Mehrheit der Kinder kommt aus nicht-konfessionellen oder aber muslimischen Elternhäusern“, erzählte Jens Holdorf. „Die evangelischen Jugendlichen sind hier inzwischen rar. Für den Konfirmationsunterricht haben wir in diesem Jahr gerade mal zwei Anmeldungen gehabt, also ist er uns weggebrochen.“
Und auch das engagierte Gemeindemitglied Mehmet Yilmaz, der seit rund 20 Jahren die ehrenamtliche Spielplatz-Betreuung gemeinsam mit sieben anderen Gemeindemitgliedern Tag für Tag nachmittags von 15 bis 18 Uhr gewährleistet, schilderte die starken Veränderungen in dem Kirchen-Sprengel. „Seit fünf oder sechs Jahren haben wir hier auf dem Spielplatz einen Wechsel ohne Ende. Wir beobachten, dass viele Kinder aus sozial schwachen Familien, die beispielsweise am Breitenweg wohnen, kommen und gehen“, so Yilmaz. Gleiches gelte für Kinder aus Flüchtlingsfamilien, die oft nur zwei Jahre blieben und dann wieder wegzögen.
Transfer nicht mehr zu leisten
Gemeinsam mit dem Diakon schilderte er weitere Schwerpunkte in der Gemeindearbeit der vergangenen Jahre. So seien Welcome-Gruppen eingerichtet worden, in denen Sprachförderung für Kinder von Geflüchteten ohne Kita-Platz angeboten wurde. Gleichzeitig sei den Eltern vermittelt worden, wie Kitas in diesem Land überhaupt funktionierten. So habe es intensive Kontakte zu den Übergangswohnheimen in der Falken- und in der Faulenstraße gegeben. „Aber die Einrichtungen haben den Transfer nicht geleistet und zuletzt konnten wir es dann nicht mehr leisten, die Kinder abzuholen und wieder nach Haus zu bringen“, betonte der Diakon. Eigentlich sei das Angebot bereits im Februar 2018 eingestellt, dann aber doch bis August weitergeführt worden.
Der Spielplatz der Michaelis-Gemeinde, der seit 1968 besteht und dessen Wiederaufbau vor 15 Jahren noch aus Mitteln der Stiftung wohnliche Stadt finanziert finanziert werden konnte, ist weit und breit so ziemlich der einzige im Gemeindegebiet, das bis nach Utbremen, in die Bahnhofsvorstadt und ins Stephaniviertel hineinreicht und von einer ehrenamtlichen Aufsicht betreut werde. „Hinter Penny gibt es noch einen Spielplatz, der von Glasscherben und Drogenspritzen übersät ist und zudem von Alkoholikern und Kampfhunden belagert wird. Da möchten wir unsere Kinder nicht hinschicken“, betonten die Spielplatzbetreuungen Franka Hoffmann und Mehmet Yilmaz. Der verteilt, wenn es sein muss, auch schon mal eine gelbe oder rote Karte, wenn sich die Kids nicht an die Regeln des gedeihlichen Zusammenspielens halten. So seien Spucken, Treten und beleidigende Schimpfworte verpönt. Da seien Eltern durchaus gefordert, ihren erzieherischen Beitrag zu leisten, so Yilmaz weiter. Weshalb eine Spielplatzbetreuung so wichtig ist, schilderte auch Jens Holdorf: „Es hat hier durchaus schon Männer auf dem Spielplatz gegeben, die offensichtlich sehr deutlich Kinder mochten und die wir dann herauskomplimentieren mussten.“ Die Nachbarschaft mit dem benachbarten Pflegezentrum Doventor funktioniere dagegen bestens.
Ein relativ neues Angebot besteht seit zwei Jahren mit dem Kinder- und Jugendtreff in der Falkenstraße. Der Übergang von den Kita-Kindern zu den speziellen drei Angeboten sei fließend, so Diakon Holdorf. So wird in dem Kinder- und Jugendtreff für feste Gruppen von maximal acht Teilnehmenden montags Werken und Basteln, dienstags Kochen und Backen und donnerstags Sport, Spiel und Bewegung angeboten. Zurzeit werden die Kurse von Lehramtsstudenten und Studierenden der Erziehungswissenschaften betreut. „Doch die werden demnächst in eine feste Anstellungen gehen. Wir brauchen allerdings dringend feste Kräfte, die das Programm weiter betreuen. Ich kann beim besten Willen nicht alles nebenher machen“, betonte der Diakon.
„Vielleicht könnte uns ja der Controlling-Ausschuss demnächst einmal mit Zuschüssen berücksichtigen, falls es uns bis dahin noch geben sollte. Wir können nicht noch zwei bis drei Jahre warten, bis wir eine Zusage bekommen. Sonst müssen wir das Angebot einstellen“, so Holdorf. Der Diakon wünscht sich aber auch eine Bewilligung von Global-Mitteln zur Verbesserung der sichtlich spartanischen Ausstattung der Räume des Kinder- und Jugendtreffs. Ausschuss-Mitglied Holger Ilgner (SPD) räumte ein, dass die Grundausstattung im Stadtteil-Budget einfach nicht hoch genug sei. Es müsse darum gehen, die Stadtteil-Arbeit besser zu finanzieren. Eine Arbeitsgruppe, die vor einem Jahr dazu im Sozialressort eingerichtet wurde, sei inzwischen eingeschlafen. Ortsamtsleiterin Hellena Harttung betonte, dass zwischen stadtzentralen Jugend-Angeboten und Stadtteil-Arbeit keine Konkurrenz entstehen dürfe. Es gelte, beides zu erhalten und notfalls über einen eigenen Haushaltstitel, wie er für die existenziell bedrohte Skateranlage im ehemaligen Postamt 5 wünschenswert sei, zu finanzieren.
„Kids Time“ ist der Titel eines relativ neuen Angebotes, das in Kooperation mit den Sozialzentren Mitte/Östliche Vorstadt und Findorff ins Leben gerufen wurde. Es richtet sich seit Dezember 2017 an Familien, in denen zumindest eine Person psychisch erkrankt ist. Derzeit treffen sich im Begegnungszentrum Doventor jeden ersten Freitag im Monat von 15 bis 18 Uhr zwölf Familien, die zuvor von den Sozialzentren angesprochen wurden. Während die Erwachsenen unter sich Gespräche führen, können Kinder unter professioneller Anleitung von Theaterpädagogen und Sozialarbeitern bei Keksen und Saft Filme zu familien-internen Problematiken drehen. Im Anschluss wird der Film aufgeführt und mit den Eltern darüber gesprochen, ohne dass diese bloßgestellt werden. Da sich der demografische Wandel zunehmend auf die Michaelis-Gemeinde auswirke, verschiebe sich die Gemeinde-Arbeit im Begegnungszentrum automatisch, so Holdorf weiter. „Wir bieten seit 40 Jahren immer von 15 bis 18 Uhr einen Sonntags-Treff für bedürftige Menschen und Obdachlose an, für die Gemeindemitglieder ehrenamtlich bisher warme Mahlzeiten ausgaben. Inzwischen sind diese Gemeindemitglieder zu alt und können das nicht mehr leisten. Jetzt werden die rund 60 bis 80 Gäste mit Kaffee und Kuchen bewirtet und können sich bei uns austauschen.“