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Awi-Direktorin über die „Mosaic“-Expedition „Wir gegen die Natur, wir gegen uns“

Nach einem Jahr im Eis endet die Mosaic-Expedition. Im Interview spricht Awi-Direktorin Antje Boetius über die Botschaft der Forschungsmission und Parallelen zwischen Klima- und Corona-Krise.
14.04.2021, 09:07 Uhr
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„Wir gegen die Natur, wir gegen uns“
Von Nico Schnurr

Frau Boetius, am Montag endet die Mosaic-Expedition. Sind Sie erleichtert?

Antje Boetius: Ich bin sehr froh, wenn wir die Crew und das Schiff nach einem Jahr in der Arktis wieder heile zurück in Bremerhaven haben. Es war immer klar, dass dieses Projekt eine extreme Expedition werden würde. Aber mit einer Pandemie hatten auch wir nicht gerechnet.

Welchen Einfluss hatte die Pandemie auf die Expedition?

Zu Beginn der Corona-Krise sind sämtliche Häfen und Flughäfen, die wir nutzen wollten, geschlossen worden. Der Personalwechsel wurde zum Problem. Wir brauchten ein Ein- und Ausreisegenehmigungen, Quarantänevorschriften mussten eingehalten werden. Das alles brauchte Zeit. Die Crew blieb deshalb deutlich länger an Bord der „Polarstern“ als geplant. Dort herrschte in dieser Zeit bei vielen Krisenstimmung.

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Dabei waren die Forscher an Bord doch vor dem Virus sicher.

Ihre Familien zu Hause aber nicht. Wenn in der Heimat Ausnahmezustand herrscht, Tausende ihre Jobs verlieren und der eigene Partner nicht weiß, wohin er mit den Kindern soll, weil die Schulen und Kitas schließen, während man selbst auf einem Forschungsschiff in der Arktis sitzt, ist das schwer. Einige wollten das Schiff daher schnell verlassen und zu ihrer Familie, aber das war eben nicht sofort möglich.

Hatten Sie Kontakt zu den Forschern?

Wir haben uns über das ganze Jahr immer wieder ausgetauscht, meist über Whatsapp. Zu Beginn der Pandemie haben wir auch viel telefoniert. Fast täglich haben die Forscher auch in Blogeinträgen von ihrer Arbeit berichtet.

Bekamen Sie da Fernweh?

Als Polarforscherin hätte ich natürlich gerne den besonderen Moment miterlebt, wenn im polaren Winter das letzte bisschen Sonnenlicht für Monate erlischt – und dann wiederkommt. Das hat ja kaum jemand bisher am Nordpol gesehen. Es hat mir aber auch ein gutes Gefühl gegeben, hier als Awi-Direktorin dafür zu sorgen, dass die Mission wahrgenommen wird und die Botschaften der Forscher ankommen.

Wie lauten die?

Wir müssen Klimaschutz ernst nehmen. Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest der Welt, das Meereis nimmt in rasantem Tempo ab. Als Fridtjof Nansen gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Arktis überwinterte, war es dort zehn Grad kälter in der Wintersaison. Auf der Mosaic-Expedition haben die Forscher Daten gesammelt, die Aufschluss darüber geben sollen, wie die Veränderungen in der Arktis das globale Klima beeinflussen. Es gibt aber noch eine weitere wichtige Botschaft dieser Mission.

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Welche denn?

Die Forscher an Bord der „Polarstern“ kommen aus der ganzen Welt. Die Expedition zeigt, dass es internationale Zusammenarbeit braucht, um globalen Problemen zu begegnen. In der Corona-Krise wird das leider viel zu oft vergessen. Die offene Kultur, das Vertrauen in das Kollektiv, ohne das gute Wissenschaft nicht funktionieren kann, ist in Gefahr. In der Pandemie dominieren nationale Interessen, die internationale Zusammenarbeit steht hinten an. Diese Abschottung ist bedrohlich. Sie wird auch dazu beitragen, dass wir noch lange mit diesem Virus zu kämpfen haben werden.

Sehen Sie Parallelen zwischen Corona und der Klimakrise?

Beide Entwicklungen sind Ausdruck einer globalen Krise. Die Pandemie ist Teil des falschen Umgangs mit der Natur und den Ressourcen auf der Erde. Wenn der Mensch zunehmend in den Lebensraum von Wildtieren eindringt, die viele Viren in sich tragen, und wenn diese Tiere durch Fleischverwertung zu Über­trägern werden, ist das gefährlich. Beide Entwicklungen, Klimawandel und Pandemie, sind kein Zufall. Man sieht sie seit Jahrzehnten kommen, sie sind menschengemacht. Trotz aller Warnungen haben wir uns bisher nicht ausreichend auf diese Krisen vorbe­reitet.

In der Corona-Krise kann man der Politik nicht den Vorwurf machen, sie würde nicht handeln.

Der Gesundheitsschutz wird in der Pandemie richtigerweise als oberstes Gebot eingestuft. Wir sollten aber nicht vergessen, dass auch der Klimawandel Leben kostet und Leid ­verursacht. Sturmfluten, Hitzewellen und Waldbrände, die mit dem Klimawandel verkettet sind, nehmen zu und fordern immer mehr Opfer.

Was wollen Sie damit sagen?

Die Frage ist doch, wann wir den Schutz des Lebens, das vom Klimawandel und anderen Problemen wie Umweltverschmutzung bedroht wird, vor anderen ökonomischen Werten priorisieren, so wie es beim Gesundheitsschutz in der Corona-Krise passiert. Es fällt uns gerade schwer, die Zusammenhänge zu sehen, doch sie sind da. Wer kein gutes Gesundheitssystem im Rücken hat, wer unter der Luftverschmutzung leidet und schlechte Lungenwerte hat, ist anfälliger für einen schweren Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit Corona.

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Sie sehen aber auch die Unterschiede zwischen den beiden Krisen?

Die Zeitabläufe sind natürlich andere. In der Corona-Krise kämpfen wir gerade darum, die exponentielle Ausbreitung des Virus zu verhindern, damit unser Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Da muss die Politik innerhalb von Tagen und Wochen reagieren. In der Klimakrise hat die Wissenschaft anfangs von Jahrzehnten gesprochen, die bleiben, um die Folgen abzuwenden. Mittlerweile ist aber auch der Klimawandel ganz dicht an uns dran, doch wir setzen Ziele auf der Zeitskala von Jahren und Dekaden.

Anders geht es doch gar nicht, oder?

Es braucht natürlich Zeit, wenn man sich als Gesellschaft auf den Klimawandel einstellen will. Ein Umbau des Energiesystems und der Infrastruktur, eine andere Landwirtschaft, anderes Wohnen, andere Mobilität – das alles würde nicht von heute auf morgen funktionieren. Deshalb müssen wir das Problem schon jetzt ernst nehmen und uns umfassende Lösungen überlegen, wenn wir für die Kinder eine bessere Zukunft erstreiten wollen.

Einige Ansätze gibt es doch längst.

Auf europäischer Ebene gibt es die Idee eines Green Deals. Und bis auf die AfD haben alle Parteien in Deutschland den Klimaschutz in ihren Programmen verankert. Da hat sich etwas fundamental verändert. Es sind zuletzt Dinge verhandelt worden, die vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wären, weil zunehmend klar wird: Kein ausreichender Klimaschutz kommt uns teuer zu stehen.

Erklären Sie das mal.

Es bleiben weniger als 20 Jahre, um die Erderwärmung auf zwei Grad im Vergleich zum Beginn des Industriezeitalters zu begrenzen. Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens ist schon jetzt kaum mehr einzuhalten. Wenn nicht mal wir, eines der reichsten Länder mit dem Selbstverständnis einer Wissens- und Hightech-Nation, auch nur in die Nähe der vereinbarten Klimaziele kommen, wie soll dann international verhandelt werden? Ich hoffe, dass Europa nun zusammen am Ziel arbeitet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Noch ist nicht klar, ob das auch der internationalen Völkergemeinschaft gelingt.

Wie gehen Sie damit um?

Ich gebe zu, manchmal stehe ich morgens auf und denke: Wir werden das alles nicht schaffen. Als Awi-Direktorin gehen ständig wissenschaftliche Beobachtungen aus der ganzen Welt über meinen Tisch: schmelzende Gletscher, sterbende Korallenriffe, vermüllte Meere, brennende Wälder. Manchmal sitze ich da und denke: Wahnsinn, es klappt einfach nicht. Aber dann gibt es auch oft Momente der Hoffnung, Begegnungen, bei denen mir klar wird, dass es so viele Menschen gibt, die aktiv an Lösungen arbeiten. Ich will auch nicht verzweifeln, sondern lieber alles, das in meiner Macht liegt, dazu beitragen, um uns voranzubringen.

In den Monaten vor der Pandemie haben Sie das in Berlin auch auf der Theaterbühne versucht.

Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir wissenschaftliche Vorträge allein nicht ausreichen. Natürlich kann man mit der Naturwissenschaft viel verstehen, aber eben nicht alles ausdrücken. Ich schöpfe meine Kraft auch aus Kunst und Kultur. Manchmal hilft mir das, um die technischen Fakten der Wissenschaft in ein empathisches Zukunftsbild zu verwandeln, oder einfach um zu begreifen, dass wir Menschen schon immer Mühe hatten, unsere Bande mit der Natur gut auszugestalten.

Die Probleme sind gar nicht neu?

Die ersten großen literarischen Texte der Menschheit – das Gilgamesch-Epos, die Bibel, griechische Mythen – handeln alle vom selben Thema: der Mensch gegen die Natur. Seit der letzten Eiszeit scheint es ein ewiger Kampf. Dort, wo die ersten großen Zivilisationen entstanden sind, sind sie irgendwann auch wieder zusammengebrochen, weil Ressourcen ausgebeutet wurden. Die alten Texte erzählen alle von Menschen, die denken, sie wären übermächtig. Dann schickt Gott ihnen Seuchen, Hitzewellen und Fluten. Wir gegen die Natur, wir gegen uns: Das ist die Geschichte der Menschheit. Wir sind das nie losgeworden.

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Nicht besonders aufbauend, oder?

Doch, und wie! Es zeigt doch: Wir stehen nicht zum ersten Mal vor einer Katastrophe. Ständig drohte der Untergang, aber irgendwie haben wir immer Wege gefunden, den Konflikt zu befrieden, sonst wäre es ja nicht weitergegangen. Mir macht das Hoffnung. Die alten Geschichten zeigen: Wir können uns ändern. Die Lösung steckt im Menschen selbst.?

Das Gespräch führte Nico Schnurr.

Zur Person

Zur Person

Antje Boetius (53) ist Meeresforscherin und Professorin an der Universität Bremen. Sie leitet das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. ­Boetius ist auch Vorsitzende des Lenkungsausschusses von Wissenschaft im Dialog.

Info

Zur Sache

Ein Jahr im Eis

Am Montag endet eine Reise der Superlative in Bremerhaven: Nach zehn Jahren Vorbereitung und einem Jahr im Eis geht die „Mosaic“-Expedition zu Ende. An der Forschungsmission haben sich unter Leitung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts Wissenschaftler aus 20 Ländern beteiligt.

Zehn Monate driftete das Forschungsschiff „Polarstern“ angedockt an eine riesige Eisscholle durch die Arktis. Erstmals konnten Wissenschaftler so den gesamten Eiszyklus vom Gefrieren bis zur Schmelze beobachten, messen und dokumentieren. Sie versprechen sich von den gewonnenen Daten wichtige Erkenntnisse über das Nordpolarmeer – und über den Klimawandel. Kaum eine Region spürt die Folgen der Erderwärmung so deutlich wie die Arktis.

„Das Eis am Nordpol war völlig aufgeschmolzen, bis kurz vor dem Pol gab es Bereiche offenen Wassers“, sagt Expeditionsleiter Markus Rex über den arktischen Sommer. Dort, wo eigentlich dichtes, mehrjähriges Eis war, sei die „Polarstern“ in Rekordzeit durchgefahren, so der Atmosphärenphysiker: „Wir haben dem Eis beim Sterben zugeschaut.“

Zwischenzeitlich stand die Mission wegen der Pandemie auf der Kippe, der Personalwechsel verzögerte sich. Mit dem Verlauf der Expedition, die 140 Millionen Euro gekostet haben soll, ist Rex dennoch zufrieden. „Nicht mal Corona hat uns aus der Bahn geworfen“, sagt er. In dem gesamten Jahr seien unzählige Proben und Daten von Eis, Schnee, Wasser und Luft gesammelt worden, sagt Rex: „Die werden noch künftige Generationen von Wissenschaftlern beschäftigen.“

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