Viele Eltern kennen das: Das Kind will nicht zur Schule, partout nicht. Oder das Kind geht zwar morgens aus dem Haus, doch später stellt sich heraus: Es kam nie im Klassenzimmer an. Bei einigen Schülern ist Schwänzen nichts, was nur ein paar Mal passiert. Manche fehlen wochen- und monatelang.
Schulmeider oder Schulverweigerer nennen Experten sie. Und oft sind Eltern, Lehrer und selbst Familienhelfer ratlos, wenn ein Kind nicht zu bewegen ist, zur Schule zu gehen. Im Gespräch mit dem WESER-KURIER erzählt ein ehemaliger Schulverweigerer, wie er sich damals gefühlt hat und was er heute anders machen würde.
Dreimal von der Schule geflogen
Wenn Daniel K. (Name geändert) aus Bremen heute spricht, kann man sich nur schwer vorstellen, wie er früher unterwegs war: Er tritt höflich auf, fast ein wenig schüchtern, er spricht ruhig und hört aufmerksam zu. Daniel ist Anfang 20, er macht eine handwerkliche Ausbildung.
Die meisten Menschen besuchen zwei oder drei Schulen in ihrem Leben. Daniel hat nach der Grundschule fünf verschiedene durchlaufen. Dreimal flog er von der Schule, einmal ging er freiwillig, doch auch da hatte es zuvor Probleme gegeben.
Daniel schwänzte die Schule, aber nicht nur das: „Ich habe auch andere Schüler geärgert, ich habe Fenster kaputt getreten und mit Stühlen geworfen, ich habe mich sehr respektlos gegenüber Lehrern verhalten“, erzählt er. „Ich habe Entschuldigungen gefälscht, meine Eltern und meine Lehrer ausgetrickst. Ich sah keinen Sinn in der Schule, ich habe mich selbst aufgegeben.“
„Rauchen, Kiffen, Alkohol - irgendwann zieht dich das runter“
Dabei war bei ihm in der 6. Klasse das meiste noch in Ordnung, sagt er: Eine vier im Zeugnis, doch sonst lief es ganz gut. „Wirklich schlimm wurde es in der siebten Klasse“, erzählt er. „Rauchen, Kiffen, Alkohol – das stand bei mir auf dem Programm, und irgendwann zieht dich das runter.“
Er ging oft nicht zur Schule, und wenn er doch hinging, stellten er und seine Kumpels Negativrekorde im Klassenraum auf: Sie konkurrierten darum, wer die schlechteste Note bekam. „Man hat sich gegenseitig gepusht. Es gab Zeiten, da habe ich mich über eine Sechs gefreut, ich habe das überhaupt nicht ernst genommen – man hat sich damals cool gefühlt.“
„Schwänzen war ein kleiner Adrenalinkick“
Und seine Eltern, haben die nichts unternommen? „Wir haben schon oft zusammen gesessen, geredet und gestritten“, sagt er. „Meine Eltern haben mir auch in den Arsch getreten, sie haben mir den Fernseher weggenommen, den PC weggenommen, aber ich bin stur gewesen in der Sache.“ Auch ein Jugendberater vom Amt wurde zugeschaltet. Es brachte wenig, sagt Daniel. „Das Schwänzen war damals ein kleiner Adrenalinkick.“
Sein Verhältnis zu den Eltern wurde schwierig. „Es gab Zeiten, in denen ich mit meiner Mutter keinen Kontakt mehr hatte, Zeiten, wo auch mein Vater nicht mehr weiter wusste.“ Seine Eltern seien irgendwann enttäuscht gewesen, hätten sich hilflos gefühlt. Daniel fehlte nicht nur ein paar Tage oder Wochen, sondern monatelang. „Natürlich gab es Druck von der Schule und den Eltern, aber irgendwann hat das auch nachgelassen.“ Einen Schulabschluss hat er nicht: Die Schule hörte auf, als die Schulpflicht für ihn endete.
Wie man ihn damals hätte erreichen können? Darauf hat auch Daniel selbst keine Antwort: „Wenn andere auf dich einreden, bringt das oft nichts. Du musst selber etwas verändern wollen, es muss bei dir selber Klick machen.“ Klick machte es bei ihm erst spät: „Eigentlich erst dann, als mein Vater mir nach der Schule gesagt hat: ,Wenn du dir jetzt nicht Arbeit suchst, musst du ausziehen und selber sehen, wie du dir deine Wohnung bezahlst.“
Ausbildung ohne Schulabschluss
Daniel drohte der Rauswurf, er wurde von seinem Vater vor die Wahl gestellt. Gleichzeitig sah er bei seinen Freunden, dass alle nun doch erste Schritte jenseits der Schule gingen: „Ein Freund von mir hat seinen Motorradführerschein gemacht, der hat seinen eigenen Handyvertrag bezahlt.“ Das gab ihm zu denken: „Der Freund wurde dann mein Vorbild.“
Nach der Schule kam eine Einladung vom Arbeitsamt. Daniel ging hin, mit seinem Vater. Dort wurde er in eine Maßnahme vermittelt, ein durch Lehrgänge begleitetes halbjähriges Handwerks-Praktikum. Auch durch diesen Einblick in die Praxis entwickelte sich später die Möglichkeit, eine Ausbildung anzufangen – trotz fehlendem Schulabschluss. Daniel hat Glück gehabt.
Leicht fällt ihm das Lernen auch jetzt in der Berufsschule nicht, sagt er: „Die Grundkenntnisse von früher fehlen mir“, sagt er. Und er stellt fest: „Wenn ich nochmal neu anfangen könnte, würde ich alles anders machen.“
Daniel hat Ziele
Aber er weiß noch, wie er sich damals in der Schule gefühlt hat: Wütend. „Ich habe mich von den Lehrern provoziert und gedemütigt gefühlt“, sagt er. Hätte nicht nur er selbst, hätten auch Lehrer etwas anders machen können? „Als Lehrer hätte ich mir damals vielleicht selbst damals eine reingehauen“, sagt Daniel unumwunden. Er denkt nochmal nach über die Frage. Dann sagt er: „,Aus dir wird nichts, aus dir wird nichts', das habe ich immer wieder von Lehrern gehört. Ich denke, das war keine gute Wortwahl. Später merkt man: Der Spruch ist ganz schön hart.“
Jetzt versucht er, seinem kleinen Bruder klar zu machen, dass Schule wichtig ist. „Mein Bruder sieht ja an mir, wie es ist, wenn man keinen Abschluss hat. Ich will auf keinen Fall, dass mein Bruder wird wie ich, ich habe oft auf ihn eingeredet. Aber bei ihm ist es besser: Er raucht nicht, er hat noch keine Anzeige, das ist gut.“
Auch auf seine eigene Zukunft blickt Daniel heute zuversichtlicher: „Ich stehe jetzt fester im Leben, ich bezahle meine Sachen und meine Urlaube selber, ich habe ein eigenes Auto.“ Mit Sachen, die man selbst bezahlt hat, geht man anders um, sagt er. Ein gutes Gefühl.
Manchmal, da kommt noch Wut bei ihm hoch, aber selten: „Ich bin manchmal noch etwas aufbrausend, aber insgesamt läuft es gut.“ Daniel hat Ziele: „Ich will ein eigenes Haus, ein vernünftiges Auto, ich will mit Freunden was unternehmen, ich will Fitness machen und abgesichert leben.“