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Bremerin berichtet Eine Organspende hat Bärbel Fangmann vor 28 Jahren das Leben gerettet

"Ich habe dieses Geschenk in tiefer Dankbarkeit angenommen", sagt Bärbel Fangmann. Die Bremerin lebt dank einer Organspende. "Ich habe das Gück, weiter leben zu dürfen." Das ist ihre Geschichte.
25.12.2022, 12:42 Uhr
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Eine Organspende hat Bärbel Fangmann vor 28 Jahren das Leben gerettet
Von Sabine Doll

Für Bärbel Fangmann ist dieses Weihnachtsfest ein besonderes. Vor gut fünf Monaten ist die 62-Jährige zum ersten Mal Oma geworden. "Dass ich das mit meiner Enkelin erleben darf, ist ein großes Glück und ein Geschenk", sagt sie. Draußen weht ein kühler Wind. Gerade hat es aufgehört zu regnen. Bärbel Fangmann sitzt in ihrem Wohnzimmer, eine Tasse Tee in der Hand. "1994 muss das Wetter ähnlich gewesen sein. Ein paar kalte Tage, mal Regen, ungemütlich, auf jeden Fall wohl typisch norddeutsch", sagt sie. "Damals wäre es womöglich mein letztes Weihnachtsfest gewesen."

Bärbel Fangmann wollte immer im Ausland arbeiten. Die 62-Jährige ist Fremdsprachenkorrespondentin. Französisch und Englisch spricht sie fließend. "Wir hatten überlegt, irgendwann vielleicht nach Frankreich zu gehen", sagt sie. "Den Plan hatten wir für später sozusagen in der Tasche. So weit ist es nicht gekommen." Bärbel Fangmann wird krank. Wie schwer, wird sich erst einige Jahre später herausstellen.

"Angefangen hat es mit Juckreiz. Die Haut hat gekribbelt und gejuckt. Wer denkt dabei an etwas Schlimmes? Ich dachte, dass es vielleicht Stress ist", sagt die Bremerin rückblickend. Der Juckreiz verschwindet nicht. Im Gegenteil: Er wird stärker, breitet sich aus. Körperlich geht es ihr plötzlich immer schlechter. Sie verliert an Gewicht. "Ich konnte essen, was ich wollte, habe aber nicht zugenommen, sondern bin nur noch dünner und schwächer geworden. Innerhalb weniger Monate habe ich von 67 auf 46 Kilo abgebaut." Die Haut juckt schließlich nicht mehr nur. "Ich war quittegelb. Das war 1991. Von da an ging es bergab."

Bärbel Fangmann erfährt, wie krank sie ist. Die Diagnose: Primär Sklerosierende Cholangitis. Bei der Autoimmunerkrankung handelt es sich um eine Entzündung der Gallenwege, die häufig zusammen mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung vorkommt. Die Krankheit kann in eine Leberzirrhose münden. Regelmäßig ist die Bremerin seit der Diagnose im Krankenhaus. Eine Heilung gibt es nicht. Ihre Leber ist schwer geschädigt. "Ziemlich bald war klar, dass eine Lebertransplantation meine einzige Chance ist", sagt die 62-Jährige. "Anfangs stand ich noch weit hinten auf der Liste. Mit jeder Verschlechterung bin ich weiter nach oben gerückt. Die Transplantation wurde immer dringlicher. Auch damals war es so, dass viele Menschen auf der Warteliste gestorben sind, weil sie kein Spenderorgan erhalten haben."

Anfang Januar 1995 liegt Bärbel Fangmann wieder im Krankenhaus, in der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie ist gerade aus dem Bett aufgestanden, als eine Schwester in das Zimmer kommt. "Ich erinnere mich genau an diesen Moment, ich stehe am Schrank und sie sagt: ,Wir haben etwas für Dich'. Eine Spenderleber. Dann musste alles ganz schnell gehen." Bärbel Fangmann soll für die Transplantation vorbereitet werden. Sie ruft zu Hause an, um ihren Mann und ihre Tochter zu sprechen. Das Telefon klingelt in der leeren Wohnung. Ihre neunjährige Tochter ist mit Freundinnen rodeln, wie sie später erfährt. "Ich habe nur noch an sie gedacht, das war mein Hauptantrieb", sagt die 62-Jährige. Ihr Mann schafft es gerade noch vor der Transplantation in die Klinik, er war bereits auf dem Weg, weil er sie besuchen wollte.

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Als Bärbel Fangmann aufwacht, scheint die Sonne durch das Fenster. "Auch dieses Bild sehe ich vor mir, wenn ich an den Tag damals denke", sagt sie. Zwölf Stunden hat die Operation gedauert. "Es ist mir relativ schnell gut gegangen." Nach wenigen Tagen wird sie von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt. Drei Wochen später ist sie in der Reha. Danach kehrt sie zurück zu ihrer Familie.

In diesem Januar liegt der Tag, an dem Bärbel Fangmann ein neues Leben geschenkt bekommen hat, 28 Jahre zurück. Oft denkt sie daran, dass ein anderer Mensch gestorben ist. Dass das Organ dieses Menschen sie gerettet hat. "Wer der Spender oder die Spenderin ist, weiß ich nicht. Es muss ein Mensch mit viel Kraft und Energie gewesen sein", sagt die 62-Jährige. "Ich habe dieses Geschenk in tiefer Dankbarkeit angenommen. Ich habe das Glück, weiter leben zu dürfen."

Bärbel Fangmann engagiert sich seit 26 Jahren im Bundesverband der Organtransplantierten, seit etwas mehr als zwei Jahren ist sie Regionalgruppenleiterin für Bremen und das niedersächsische Umland. Über Organspende informieren, Patienten auf der Warteliste und ihre Angehörigen begleiten – das ist für sie eine Herzensangelegenheit.

Zu den Treffen kommen manchmal auch Hinterbliebene von Organspendern. Die 62-Jährige erzählt von einem Mann, der seine Frau bei einem Unfall im Urlaub verloren hat. "Er hat zugestimmt, dass ihre Organe anderen Menschen das Leben retten sollen. Als er sich unsere Geschichten als Transplantierte angehört hat, musste er weinen. Schließlich hat er gesagt: ,Ich habe alles richtig gemacht, jetzt kann ich abschließen.'" Eine andere Geschichte ist die eines Vaters, der seine 16-jährige Tochter verloren hat. Bärbel Fangmann hat ihn und die Tochter begleitet. "Die schwer kranke, junge Frau hat es nicht mehr geschafft. Sie ist gestorben, weil es kein Spenderorgan für sie gab", sagt Bärbel Fangmann. "Diese Geschichten gibt es sehr oft."

Die Bremerin hat an Dutzenden Infoständen, bei Messen und vielen anderen Veranstaltungen Fragen zur Organspende und ihrer Geschichte beantwortet. Sie wirbt dafür, sich über Organspende in der Familie zu unterhalten und eine Entscheidung zu treffen. Sie hat Hunderte Organspendeausweise verteilt, Dutzende Briefe an Politiker in Bremen und Berlin geschrieben. "Es ist schlimm. Die Lage von schwer kranken Menschen, die auf eine Transplantation angewiesen sind, hat sich nicht verbessert – sie verschlechtert sich sogar noch. Man möchte sich nicht mit dem Tod beschäftigen, das ist grundsätzlich nachvollziehbar. Aber würde man denn selbst in einer solchen Situation ein Spenderorgan ablehnen?", sagt die 62-Jährige. Diese Frage stelle sie oft bei Diskussionen und anderen Veranstaltungen.

"Ich bin dankbar, dass ich gerettet wurde. Und ich möchte, dass auch andere schwer kranke Menschen gerettet werden", sagt Bärbel Fangmann. "Solange ich die Kraft und Energie habe, kämpfe ich dafür."

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Zur Sache

Tausende Menschen auf der Warteliste

8500 Menschen warten in Deutschland derzeit auf ein Spenderorgan. Der Mangel an Organen habe sich noch einmal verschärft, teilte die Deutsche Stiftung Organspende (DSO) Anfang November auf ihrem Jahreskongress mit. Bis Ende Oktober seien von 710 Menschen Organe für eine Transplantation entnommen worden, 8,4 Prozent weniger Spender als noch im Vorjahreszeitraum. Die Situation für wartende Patientinnen und Patienten sei "im höchsten Maße bedrückend", sagte Vorstand Axel Rahmel. Dabei stehen laut einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 84 Prozent der Deutschen dem Thema Organ- und Gewebespende „positiv gegenüber“. Allerdings: Weniger als die Hälfte (44 Prozent) hat ihre Entscheidung schriftlich dokumentiert.

2020 stand in Deutschland die sogenannte "doppelte Widerspruchslösung" zur Abstimmung, um die Organspende-Zahlen zu erhöhen. Danach sollte zunächst grundsätzlich jede Person ab 16 Jahren als Organ- und Gewebespender gelten. "Doppelt", weil man einen Widerspruch dokumentieren kann. Und zweitens: Angehörige können eine Organspende ablehnen, wenn sie glaubhaft machen, dass der Betroffene kein Spender sein wollte. Dafür gab es in der Abstimmung ohne Fraktionszwang keine Mehrheit. Stattdessen gilt weiterhin, dass eine Organspende nur möglich ist, wenn der potenzielle Spender zu Lebzeiten eingewilligt oder im Todesfall sein nächster Angehöriger zugestimmt.

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