Vegesack. Wie der Besucher an Bord des Binnenschiffes das wohl findet? 100 Kilo Schwein galoppieren auf ihn zu und stoppen kurz vor seinen Beinen, um seine Füße mit feuchtem Rüssel zu beschnüffeln. „Die Reaktionen auf ein Schwein sind meist gespalten“, sagt Rega Kerner lachend. Das hat sie häufig erlebt. Die Bremerin weiß, wovon sie spricht. Denn sie hat drei Jahre lang ein Minischwein auf einem Binnenschiff gehalten. „Viele Menschen haben ein Klischee im Kopf und denken, dass Schweine dreckig sind und stinken.“ Das sei aber nicht so, versichert sie.
Rega Kerner hat in der Zeit mit dem Schwein viel über die geselligen Säugetiere gelesen – und viel gelernt. Darüber hat sie ein humorvolles Buch geschrieben, das vor Kurzem erschienen ist: „Schiffschwein Spekje“ heißt das Werk, das eine Mischung aus Schifffahrtsroman, Schweinehalter-Ratgeber und Frauenbuch ist. Ein Frauenbuch deshalb, weil Rega Kerner zehn Jahre lang als Binnenschifferin gearbeitet hat – für eine Frau ein eher ungewöhnlicher Beruf, wie sie auf den Transportreisen über Rhein, Mosel, Neckar oder in Hollands großen Häfen oft erfahren hat.
Schon als junge Frau will die Bremerin Binnenschifferin werden. Sie kauft sich ein Zugticket und tourt alle Reeder in Deutschland ab. Überall bekommt sie die gleiche ablehnende Antwort: Keiner will sie ausbilden, weil es keine Toilette für Frauen an Bord gibt. „Ich bin am Recht der Frau aufs eigene Klo gescheitert“, sagt sie heute mit einem Augenzwinkern. Doch irgendwann rutscht sie über Bekannte doch in den Schifffahrts-Job, arbeitet als Fährfrau am Rhein und lernt irgendwann ihren Mann kennen, der einen Tanker fährt. In den Matrosenkneipen entlang der Flüsse lässt sie sich mit den Schiffern immer mal wieder aufs Armdrücken ein. „Vom Rost kratzen und Taue schleppen kriegt man Kraft“, erzählt sie – und sie gewinnt oft. Für die Männer ein Fiasko. „Wenn die dann noch erfahren, dass ich Vegetarierin bin, ist es ganz vorbei“, grient sie. Seit 2002 hat Rega Kerner ihr eigenes Boot. Der ehemalige Krabbenkutter „Noortje“ liegt seit etwa drei Jahren im Vegesacker Museumshaven (wir berichteten). So oft es geht, ist die alleinerziehende Mutter mit ihrer kleinen Tochter an Bord.
Für das Ungewöhnliche ist Rega Kerner also zu haben. Sie kennt kein anderes Boot, auf dem ein Schwein gehalten wurde. Hunde – ja, auch Hühner. „Aber die sind zu blöd, die springen ins Wasser.“ Ein Schwein auf einem Schiff zu halten, sei eigentlich nicht artgerecht, sagt sie. „Aber das war seine Rettung.“ Denn das Ferkel samt diversen Geschwisterchen, Schafen, Hühner und Kaninchen gehörten einem Schleusenmeister an der Mosel. Das vorgesehene Schicksal des Schweins: als Spanferkelbraten enden. Für die Vegetarierin Rega Kerner war das allerdings keine Option. Also überredet sie ihren Mann zu dem neuen Haustier und schnappt sich an der Schleuse ein Ferkel. „Ich hätte am liebsten alle gerettet“, erinnert sie sich. Das kleine Tierkind taufen sie und ihr Mann auf den Namen Spekje.
„Schiffschwein Spekje“ ist kurzweilig geschrieben, allerdings mit einigen wenigen Längen, ist hurmorvoll und persönlich. In dem Buch erzählt Rega Kerner, wie das Tierbaby zunächst verängstigt in einer Bordkiste sitzt und sich langsam an sie und ihren Mann gewöhnt. Die Autorin beschreibt in mehreren Kapiteln die Spielfreude der Tiere. „Schweine sind intelligent“, sagt sie. Und so muss sie sich immer wieder neue Kniffe und Finten für die Spiele ausdenken, damit der kleine Eber sich nicht langweilt. Sie erzählt humorvoll von der langen und verzweifelten Suche nach einem geeigneten Gefäß für die Schweinetoilette – von der Spülschüssel über das Katzenklo bis zur Plastikwanne, die schließlich ein Jachtbauer extra für Spekje anfertigt. Beim Verein Schweinefreunde erhält sie viele wertvolle Tipps und wird schließlich selbst zur Expertin. „Vor Spekje hatte ich doch nichts mit Schweinen zu tun“, erzählt sie.
Das Ferkel reist über das Ijsselmeer
Im Buch mixt sie die Schweinegeschichten gekonnt mit dem Bordalltag und einer ganz eigenen Philosophie. Sie beschreibt die stürmische Überfahrt über das Ijsselmeer, während durch die Tür Wasser schwappt und das Ferkel freudig mit dem Feudel spielt, der das Wasser aufhalten soll. Der Sturm kann Spekje nichts anhaben. Aber der Tierarzt. Denn den musste die Autorin irgendwann doch bitten, das kleine Schwein zu kastrieren. Denn es hatte sich in ihre Füße verliebt. Und die jagte das Tier, wann immer sie barfuß durch das Schiff läuft. Die Liebesgeschichte zwischen Spekje und Rega Kerners Füßen erzählt die Autorin schreiend komisch.
„Schweine sind eigenwillig“, sagt Rega Kerner. Den Beweis für diese Aussage trägt sie in Form einer Narbe an ihrer Wade. Denn als sie das Nest des ausgewachsenen Schweins sauber machen will und Spekje im Weg steht, reagiert das Tier erst gar nicht und dann bockig. Als es sich in sein Bett verziehen will, streift es aus Versehen die Wade vom „Frauchen“ – und rammt ihr so seinen Hauer ins Fleisch. Die Wunde muss genäht werden. Nicht das ist der Grund dafür, dass die beiden Binnenschiffer sich schließlich von Spekje trennen. Rega Kerner wird schwanger. „Schweine sind nett, aber eben auch trampelig“, sagt sie. Das Risiko, dass ihr Kind unter das mehr als 100 Kilo schwere Schwein geraten könnte, ist ihr zu groß. Nach drei Jahren gibt sie Spekje auf einem Bauernhof in Brandenburg ab.
Weil bei einem Buch über Schweine viele Leser an ein Kinderbuch denken, hat Rega Kerner diese Idee aufgenommen. Sie arbeitet momentan an einer weiteren Version von „Schiffsschwein Spekje“ für Kinder. Die Grafikerin Nicole Fabert aus Walle zeichnet die Bilder für das Buch. Was noch fehlt, ist ein Verlag. Rega Kerner und Nicole Fabert bereiten nun zunächst interaktive Lesungen mit Handpuppen, Grafiken und Fotos vor.