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Vortrag von Antifaschismus-Experte Bremen - eine Hochburg für Nazi-Musik

Der Antifaschismus-Experte Carsten Neumann diskutierte mit Schülern der Gesamtschule Ost über Neonazi-Netzwerke. Dabei stellte er heraus, dass Bremen im Nazi-Musikbusiness als eines der wichtigsten Städte gilt.
18.11.2018, 22:20 Uhr
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Von Christiane Mester

„Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“: Das solle mehr sein als ein Slogan, den man sich als „schickes Schild an die Wand hängt“, sagt Politiklehrer Marcel Wolters. Er ist einer von drei Lehrern an der Gesamtschule Bremen-Ost (GSO), die mit Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung den Schultitel des Vereins Aktion Courage mit Leben füllen wollen. Am Aktionstag ersetzen elf praxisnahe Workshops den Schulunterricht.

„Das große Problem ist, dass Hitler als absolut böse dargestellt wird, aber wir alle wissen natürlich, dass es in der Geschichte kein Schwarz und kein Weiß gibt“, zitiert Carsten Neumann den AfD-Politiker Björn Höcke und fragt dann: „Hat von euch schon mal jemand ein Problem damit gehabt, dass Adolf Hitler nicht als guter Mensch gilt?“ Daraufhin herrscht Stille im Raum.

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Mehr als 60 Schüler blicken schweigend nach vorn. Doch von dort kommt erst mal nichts. Im Hörsaal mit den vielen Stufen, in dem alles auf Zuhören ausgerichtet ist, fällt Frontalunterricht und Mitschreiben aus. Carsten Neumann, der Referent vom Bremer Verein Standpunkt Antifaschismus und Kultur, hält keinen klassischen Vortrag. Er lässt lieber einzelne Politiker zu Wort kommen, indem er ihre Statements vorträgt. Unkommentiert. Denn was da inhaltlich genau gesagt wurde, analysiert das Plenum im anschließenden Frage-Antwort-Spiel.

Schüler sollen AfD-Aussagen erklären

„Was meint der, wenn der sowas sagt?“, fragt Neumann immer wieder und versetzt die Schüler damit in die Rolle, die Aussagen der AfD-Vertreter erklären zu müssen. Als sie „die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“ nennen sollen, die Alexander Gauland gewürdigt wissen wollte, und ein Recht auf Nationalstolz einforderte, wird es ein mal mehr schwierig. Die Bundeswehr hat Gauland nicht gemeint, soviel ist klar, aber was haben die Soldaten genau gemacht?

Eine Schülerin versucht sich an einer Aufzählung: „Im Zweiten Weltkrieg haben sie Polen überfallen und Frankreich besetzt.“ Ein anderer löst die Situation schließlich auf: „Wenn er sagt, dass wir darauf stolz sein sollen, dann fällt mir dazu eigentlich nichts ein.“ Die Auseinandersetzung mit Gaulands Forderung führt im Plenum nicht zu neuen Erkenntnissen. Beide Weltkriege hatten im Ergebnis eines gemeinsam, lautet das Fazit: Tod und Zerstörung.

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Während die Schüler die Perspektive verschiedener Redner einnehmen, kommen sie immer wieder auf „Deutsche“ und „Flüchtlinge“ zu sprechen. Ganz ähnlich verhält es sich beim Blick über den großen Teich. Auch zu Statements von US-Präsident Donald Trump fallen den Jugendlichen besonders häufig die Begriffe „Schwarz“ und „Weiß“ ein. „Das ist interessant“, meint Neumann dazu, „politische Argumente werden also verbunden mit etwas, das wir uns nicht aussuchen.“ Im Klartext heißt das: Es geht um Rassismus.

Schüler sollen sich selbst ein Bild machen

Es sind nur Ausschnitte, keine ganzen Reden, die an diesem Vormittag besprochen werden. „Die Zitate habe ich ausgewählt“, stellt Neumann klar. Was die Politiker in Gänze zu sagen haben, davon sollen sich die Schüler selbst ein Bild machen. Der Referent verweist auf das Videoangebot des Deutschen Bundestags und Youtube als Quelle für weiterführende Recherchen. „Da könnt ihr euch das alles angucken. Ich will niemanden davon abhalten“, sagt er.

Auf Adolf Hitler, NS-Ideologie und Rassismus beziehen sich auch andere – und zwar ganz unverhohlen, ohne das Gesagte im Nachhinein ganz oder in Teilen revidieren zu wollen, erfahren die Schüler im weiteren Fortlauf des Workshops. Es geht um Neonazi-Netzwerke und Rechtsrock. „Blood and Honour“, die international agierende rechtsextreme Vereinigung, hat ihren Namen von der Messer-Inschrift der Hitlerjugend abgekupfert, klärt Neumann auf. Mit dazu gehört auch „Combat 18“, die selbsternannte „Kampfgruppe Adolf Hitler“. Der Name ist Programm.

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Im Mittelpunkt stehen Zeichen und Symbole, geschichtliche Bezüge, die mit Mythen und Sagen vermengt werden, sowie auch heldenhaft inszenierte Krieger. „Ich weiß, dass es sowas gibt, aber ich kenne keinen, der damit was zu tun hat“, sagt ein Teilnehmer in der Pause. Und auch Lehrer Marcel Wolters meint, dass seine Schüler in ihrem Lebensumfeld damit kaum in Berührung kommen. Doch dann rückt das, was so weit weg zu sein scheint, plötzlich sehr nahe.

Älteste aktive Nazi-Band kommt aus Bremen

„Bremen ist eine der wichtigsten Städte für das Nazi-Musikbusiness in Deutschland“, erklärt der Referent, der sich mit der Szene nicht nur theoretisch beschäftigt hat. Das Thema ist tatsächlich das Spezialgebiet von Carsten Neumann, der unter diesem Pseudonym bis vor einigen Jahren verdeckt in Neonazi-Kreisen recherchiert und Rechtsrock-Konzerte besucht hat.

„Die älteste deutsche Nazi-Skinhead-Band, die aktiv ist, Endstufe, kommt aus Bremen. Die zurzeit kommerziell und publikumsmäßig erfolgreichste Naziband, Kategorie C kommt aus Bremen. In Bremen saß der Typ, der das ‚Blood and Honour‘-Netzwerk Deutschland geführt hat“, zählt Neumann auf.

So betrachtet, sei die Aussage von Bürgermeister Carsten Sieling, der die Hansestadt kürzlich als „Bollwerk gegen den Rechtstrend in der Republik“ betitelte, eine Fehleinschätzung. Spätestens seit Bekanntwerden des NSU ist klar: Über Mord wird nicht nur gesungen.

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Die Aufrufe zur Gewalt sind ernst gemeint und die Taten des Terror-Trios der Beleg, dass sie gehört werden. Zum Abschluss gibt Neumann den Schülern eine grundsätzliche Frage mit auf den Weg: „Ist Toleranz grenzenlos, wie viel können wir aushalten?“

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