Vor zwei Jahren hat Claudia Buss ihr ehrenamtliches "Herzensprojekt" gestartet: "Zusammen stark sein – Treff für pflegende Kinder und Jugendliche". Durch ihre Arbeit für den Paritätischen Pflegedienst (PPD) Bremen hat sie diese "Young Carers", wie pflegende Kinder auch genannt werden, persönlich kennengelernt. Diese Begegnungen, sagt Buss, hätten sie tief berührt.
Während Gleichaltrige zum Sport gehen oder sich mit Freunden treffen, kümmern sich diese Kinder und Jugendlichen ihr zufolge wie selbstverständlich um die chronisch kranke Mutter, unterstützen den Bruder im Rollstuhl oder betreuen den dementen Opa. "Zwei bis drei unter 100 Fällen sind es in Bremen", sagt Claudia Buss. Und da sei die Dunkelziffer nicht mit eingerechnet. Deutschlandweit gibt es nach Angaben des Bundesfamilienministeriums rund 480.000 pflegende Kinder und Jugendliche.
Negative Begleiterscheinungen
"Das ist keine leichte Lebenssituation", betont die 51-jährige Bremerin, die seit 2005 beim ambulanten PPD arbeitet und seit drei Jahren Pflegedienstleiterin in Hemelingen ist. Während einige "Young Carers" gestärkt aus dieser fordernden Phase hervorgingen, sei manchen gar nicht bewusst, was sie leisten, weil sie früh in die aufopfernde Pflegerolle hineingewachsen seien.
Viele pflegende Kinder und Jugendliche agieren nach Buss' Beobachtung im Hintergrund, weil sie ständig unter hohem innerlichen Druck stünden. Vor allem, wenn die Familie zusätzlich finanzielle Sorgen habe. Das führe oft zu problematischen Begleiterscheinungen: Stress, Überforderung, Traurigkeit oder Einsamkeit. "Das Problem ist immer: Sie trauen sich nicht", weiß die Hemelingerin.
Die hohe Belastung für diese "stillen Stützen" in vielen Familien sei auch ihr erst Ende 2018 bewusst geworden, bekennt die heutige Pflegedienstleiterin ganz offen. Seinerzeit hätten mehrere jüngere krebskranke Mütter externe Hilfe in Anspruch genommen, allerdings in auffällig geringem Umfang, erinnert sie sich.
"Ich möchte 'Young Carers' unterstützen und kann ihnen in meiner Position etwas wiedergeben", erklärt Buss, selbst gelernte Kinderkrankenschwester, mit Blick auf die Stärkung der Resilienz zu ihrer persönlichen Motivation für das Ehrenamtsprojekt. "Sie liegen mir sehr am Herzen."
Ständig unter Druck
Pflegende Kinder und Jugendliche seien ganz anders aufgestellt als Gleichaltrige, weiß Claudia Buss. Sie hätten keine Zeit für sich, oftmals keine Freunde und Angst vor der Frage, ob sie Hilfe bräuchten. Denn das könnte zur Folge haben, dass sich das Jugendamt einschaltet. Das schlechte Gewissen und Schamgefühl seien weitere belastende Faktoren.
Manchmal käme noch Mobbing hinzu. Und in der Schule, so ihre Erfahrung, werde nicht unbedingt nach dem Grund für vermehrte Fehltage und schlechte Noten gefragt. Buss erzählt von einem Mädchen, das sich seit ihrem zwölften Lebensjahr um einen Angehörigen gekümmert habe. Mit der Folge, dass diese sich stressbedingt völlig abgekapselt hätte und schließlich sechs Monate zur Regeneration in der Kinderpsychiatrie gewesen sei.
Soweit darf es gar nicht erst kommen, findet Claudia Buss. Nach einem Fernsehbericht und eigener Internetrecherche zum Projekt "Pausentaste" hat sie die Eigeninitiative zur Unterstützung der "Young Carers" ergriffen. Nach Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten, der sofort hinter dem Projekt stand, konnte sie im Mai 2020 ihre Idee unter der Schirmherrschaft des PPD umsetzen.
Pandemiebedingt gab es bisher nur Online-Treffen mit vier, fünf älteren Jugendlichen. In diesem Monat wird Claudia Buss die Kinder und Jugendlichen, alle zwischen zehn und 20 Jahre alt, zum ersten Mal persönlich Kennenlernen. Die Kennlern-Premiere ist für den 26. April geplant. Weitere Treffen soll es künftig immer am letzten Dienstag im Monat von 17 bis 19 Uhr in der Wilkens-Villa geben. Diese liegt in der Hemelinger Bahnhofstraße 29.
Geschützter Raum
Mit "Zusammen stark sein" möchte Buss jungen pflegenden Angehörigen eine kurze Auszeit anbieten, erklärt sie. Sie sollen andere Jugendliche in der gleichen Situation kennenlernen, sich austauschen und womöglich auch Freundschaften schließen können. Die Gespräche seien vertraulich. Falls "Young Carers" ein persönliches Gespräch wünschen, bietet sich Claudia Buss aber auch dafür an.
"Ich möchte sie aus dem Trott herausholen", erklärt sie. Helfen sollen dabei schöne Momente außerhalb des Treffs, Spiele-Nachmittage oder auch mal ein Kletterparkbesuch. Daher wäre die Projektleiterin, für die soziale Arbeit offenkundig Berufung ist, für Spenden und freiwillige Helferinnen und Helfer dankbar.
Das Unterstützung gebraucht wird, leitet sie unter anderem von einer konkreten Rückmeldung auf die Projektflyer ab, die in Gesundheitsämtern und Schulen zur Sensibilisierung ausliegen. Die Sozialkoordinatorin aus Oslebshausen habe angefragt, ob Claudia Buss dort einen Treff leiten könnte, weil es in Bremen-Nord und Oslebshausen "Young Carers mit zeitnahem Bedarf" gebe. Handlungsbedarf sehen auch der ASB Bremen und die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Birgit Pfeiffer, die mit dem PPD einen Arbeitskreis zur Unterstützung pflegender Kinder und Jugendlicher gründen wollen.