Damit Menschen mit Behinderung sich weniger diskriminiert fühlen, will der Bremer Senat den Schwerbehindertenausweis umbenennen. Ein Betroffener sagt: Das wird nicht viel nutzen.
Der Ausweis soll Nachteile ausgleichen, doch manche empfinden das Dokument selbst als Nachteil. Jugendliche erzählen, dass sie sich schämen, ihren Schwerbehindertenausweis vorzuzeigen, um zum Beispiel im Bus kein Ticket kaufen zu müssen. Und manche beantragen ihn erst gar nicht, obwohl er ihnen zusteht.
Bremer Schüler plädieren dafür, das Dokument umzubenennen: Teilhabeausweis lautet ihr Vorschlag. Die FDP-Fraktion der Bürgerschaft hat diesen Wunsch aufgenommen und einen Antrag dazu formuliert, auch die anderen großen Fraktionen tragen ihn mit. Aber nicht alle glauben, dass das der richtige Weg ist.
Schwerbehindertenausweis soll umbenannt werden
Die Bürgerschaft hat am Donnerstag einstimmig beschlossen, dass der Bremer Senat sich im Bundesrat dafür einsetzen soll, dass der Schwerbehindertenausweis in Teilhabeausweis umbenannt wird. „Menschen mit Behinderung sind gleichberechtigt, sie wollen nicht auf ihre Defizite reduziert werden“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Magnus Buhlert.
Der Name „Schwerbehindertenausweis“ sei mehr als 40 Jahre alt, und inzwischen habe die Gesellschaft ein anderes Bild von Menschen mit Beeinträchtigungen. Deshalb sei es wichtig, auch in der Wortwahl weiterzukommen.
Gerade mit der Wortwahl der FDP hat ein Betroffener große Probleme. Der erste Antrag war überschrieben mit dem Titel „Wer will schon behindert sein“ – für eine Umbenennung des Schwerbehindertenausweises. „Ich konnte dann nicht mehr weiter lesen“, sagt Wilhelm Winkelmeier. Der Titel hat ihn verletzt. Inzwischen wurde der geändert, über dem Antrag steht nun nur noch: Schwerbehindertenausweis umbenennen.
Grundsätzlicher an das Problem herangehen
Wilhelm Winkelmeier hat der alte Titel verletzt, weil er selbst behindert ist. Er glaubt nicht, dass ein neuer Name für den Schwerbehindertenausweis etwas ändert. Die Initiative der Bremer Schüler aber lobt Wilhelm Winkelmeier. „Dass sie sich mit der Situation auseinandersetzen, unter der sie leiden, und sich zur Wehr setzen, finde ich klasse.“ Er findet aber, man müsse viel grundsätzlicher an das Problem herangehen. „Ich kann das Gefühl nachvollziehen, dass man nicht nur als Behinderter wahrgenommen werden möchte“, sagt er. „Aber es ist nicht damit geholfen, dass man so tut, als ob es das Phänomen Behinderung nicht gäbe.“
Er kann verstehen, dass es gerade jungen Menschen unangenehm ist, den Schwerbehindertenausweis vorzuzeigen. „Als ich jung war, hat das für mich auch noch eine ganz andere Rolle gespielt“, sagt Winkelmeier. Nach und nach hat er gelernt, damit umzugehen. Doch auch bei ihm habe das lange gedauert, sagt er. Seit rund 20 Jahren arbeitet der heute 54-Jährige für den Verein „Selbstbestimmt leben“.
Dort berät er Menschen mit Behinderung und Angehörige, koordiniert Projekte, empfängt Schülergruppen. Er sagt, seit er für den Verein arbeite, könne er zu seiner Behinderung stehen. Dass andere das auch tun können, das sollte Ziel der Politik sein, meint er. Dem Schwerbehindertenausweis einen neuen Namen zu geben, hält er nicht für zielführend.
Ein Gefühl, das man ernst nehmen muss
„Eine Behinderung ist nichts, wofür man sich schämen muss“, sagt Winkelmeier. Dass sich die Schüler schämen, ihren Schwerbehindertenausweis zu zeigen, sei aber ein Gefühl, das man ernst nehmen müsse. Er sieht die Aufgabe seines Vereins und auch der Schulen darin, die Jugendlichen darin zu bestärken, zu dem zu stehen, weswegen sie ausgegrenzt werden.
„Empowerment“ heißt das. „Wir müssen mehr dafür tun, dass niemand auf die Idee kommt, sich wegen seiner Behinderung schämen zu müssen.“ Wie das gehen soll, das weiß Winkelmeier auch noch nicht so genau. Er wünscht sich einen stärkeren Dialog darüber mit den Schulen.
Die Abgeordneten der Bürgerschaft waren sich fraktionsübergreifend einig, dass ein neuer Name für den Schwerbehindertenausweis eine gute Sache ist. „In Zeiten der Inklusion sollte es kein Problem sein, so einen Ausweis vorzuzeigen“, sagte Sigrid Grönert von der CDU. „Leider ist es das aber.“ Sie findet es wichtig, dass die Betroffenen selbst über einen neuen Namen für das Dokument entscheiden, dass sie einbezogen werden.
Lob für die Initiative der Bremer Schüler
Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen sagte: „Worte machen einen Unterschied.“ Ingelore Rosenkötter von der SPD lobte das Engagement der Bremer Schüler, Peter Erlanson von der Linken begrüßte den Fokus auf das Recht auf Teilhabe, den der Vorschlag der Schüler legt. Staatsrat Ekkehart Siering sah in der Initiative der Schüler ein großartiges Beispiel dafür, dass junge Menschen es mit ihren Ideen bis ins Parlament und sogar bis in den Bundesrat schaffen können.
Gut am Antrag der FDP findet Wilhelm Winkelmeier, dass es eine Auseinandersetzung über das Thema gibt. Auch wenn er selbst kein Problem mit dem Namen des Schwerbehindertenausweises hat. Er glaubt nicht, dass eine Umbenennung funktioniert. Denn wenn sich jemand über Menschen mit Behinderung lustig machen wolle, wenn er sie diskriminieren und ausgrenzen wolle, dann werde er das tun. Auch wenn der Ausweis Teilhabeausweis heißt.