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Glücksspiel Der Staat lädt zum Zocken ein

Bremens Innensenator fordert ein Werbeverbot bei Sportwetten. Gleichzeitig will Bremen künftig zwei Spielcasinos betreiben. Paradox, meint Jürgen Hinrichs.
08.08.2021, 05:00 Uhr
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Der Staat lädt zum Zocken ein
Von Jürgen Hinrichs

Glücksspiel kann Teufelswerk sein. Eine Sucht, die das Leben kaputtmacht, mit Folgen auch für die Angehörigen und Freunde: kein Geld mehr, nur noch Schulden, der finanzielle Ruin. Das ist schlimm genug. Noch mehr wiegt aber der Vertrauensverlust. Spieler, die nicht anders können, als stundenlang vor den Automaten zu hocken, im Internet ihre Wetten abzugeben oder das Casino zu besuchen, bauen ein Gespinst von Lügen auf. Sie kaschieren ihre Sucht, versuchen es zumindest, und wenn sie dann mal zur Rede gestellt werden, retten sie sich mit einem Schwur: Nie wieder! Bis zum nächsten Mal.

Daddeln, wie die Spieler sagen, ist im Extrem keine Schwäche, sondern eine Krankheit. In Deutschland sind davon nach aktuellen Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung rund 200.000 Menschen betroffen. Bei ihnen sprechen die Experten von einem pathologischen Spielverhalten.

Der Staat will den Süchtigen helfen. Es gibt Aufklärungskampagnen, Forschungsprojekte und Beratungsbüros, in Bremen zum Beispiel die Fachstelle Glücksspielsucht. Außerdem wurden den Spielhallen in den vergangenen Jahren neue Vorschriften gemacht, die unter anderem dafür sorgen sollen, dass es nicht zu viele in unmittelbarer Nähe gibt. Für Bremen gilt seitdem ein Mindestabstand von 250 Metern. Ziel ist, den sogenannten Las-Vegas-Effekt zu verhindern - dass Spieler sich gedanklich überhaupt nicht mehr von ihrer Sucht lösen, weil sie von einer Spielhalle zur nächsten laufen.

Bremens Innensenator geht jetzt noch einen Schritt weiter. Er fordert ein Werbeverbot für Sportwetten und legt sich nicht nur mit den Glücksspielanbietern an, sondern einmal mehr auch mit dem Profifußball. Ulrich Mäurer (SPD) findet es skrupellos, dass aktive und ehemalige Top-Kicker, Vereine und Verbände wie die Deutsche Fußball Liga und der Deutsche Fußball-Bund Geld scheffeln, indem sie die Wetten gegen ein üppiges Honorar als harmloses Vergnügen darstellen und nicht auf die Gefahren hinweisen. Jede Art dieser Zusammenarbeit mit der Wettindustrie sollte untersagt werden, meint der Senator. Bremen also ganz stark im Kampf gegen die Spielsucht, ein Vorreiter, beachtlich. Doch ist das tatsächlich so?

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So wie Mäurer vor wenigen Wochen mit seiner Forderung Schlagzeilen machte, tat es das Land im selben Monat mit einer Ankündigung: Bremen will die Spielbank übernehmen. Die Casinos an der Schlachte und am Theodor-Heuss-Platz in Bremerhaven sollen in den Besitz der Toto und Lotto GmbH gelangen, einer Gesellschaft, die zu zwei Dritteln dem Land gehört. Wenn der Handel mit dem bisherigen Eigentümer perfekt ist, bringt der Croupier am Roulette-Tisch die Kugel sozusagen mit öffentlicher Hand in Schwung.  

Werbung fürs Glücksspiel verbieten, aber selbst eines betreiben – das passt nicht zusammen. Bremen ist zwar längst im Geschäft, wie die anderen Bundesländer auch. Alle haben ihre Lottogesellschaften und sind glücklich damit, weil sie hohe Einnahmen garantieren. Doch anders als bei der Wette auf Zahlen, die in der Regel niemanden arm macht, rauscht im Casino das Geld nur so durch – fortan unter Bremer Regie. Das Land führt ins Feld, dass auf diese Weise Suchtvorbeugung betrieben werden könne, besser als von den privaten Unternehmen, die daran kein großes Interesse hätten. Mag sein, dass das stimmt, aber paradox ist es trotzdem: Der Staat befürchtet, dass die Spieler abhängig werden und gibt ihnen gleichzeitig eine Gelegenheit dazu.

Ein weiterer Ausdruck dieser Widersprüchlichkeit ist der neue Glücksspielvertrag, den die 16 Bundesländer beschlossen haben. Seit dem 1. Juli ist erlaubt, was bisher verboten war: Poker, Roulette und Automatenspiele im Internet. Auch hier gilt wieder das Argument, kanalisieren zu wollen, was bisher in ungeregelten Bahnen verlief. Die Mittel dazu sind ein monatliches Einzahlungslimit und ein Spieler-Sperrsystem. Außerdem soll es eine Aufsichtsbehörde geben. Ob das den Süchtigen hilft? Wohl kaum. Wirksam ist letztlich nur der Entzug. Mit dem Staatsvertrag geschieht das Gegenteil, er verschafft den Spielern zusätzliche legale Suchtmittel.

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