Vor einem Jahr hat Kenan Tiryaki seine Familie aus dem Erdbebengebiet in der Türkei nach Bremen geholt – genauer gesagt seine Brüder und seine Mutter. Und die Familie hat es geschafft, bis heute zusammenzubleiben. Seine Brüder arbeiten für ihn in seinem Café am Liebfrauenkirchhof in der Bremer Innenstadt und seine Mutter darf in seiner Wohnung in Delmenhorst bleiben. "Wir hatten sehr viel Glück und ich bin unglaublich dankbar, dass alles bis heute so gut geklappt hat, auch die Zusammenarbeit mit den Behörden", resümiert er.
Die Aufenthaltserlaubnis für Erdbebenopfer aus der Türkei und Syrien aus dem vergangenen Jahr ist eigentlich auf 90 Tage beschränkt. Dennoch haben die Tiryakis es geschafft, langfristig in der Hansestadt Fuß zu fassen. „Meine Brüder dürfen bleiben, so lange sie in meinem Betrieb in der Ausbildung sind“, erklärt Kenan Tiryaki. Er hofft, dass es danach weitergeht, er will ihnen eine Perspektive bieten. „Sie arbeiten hier hart und gut, und sie möchten hier leben.“
Nur Ausnahmefälle dürfen dauerhaft bleiben
Dass die Geschichte der Tiryakis eher eine Ausnahme darstellt, zeigen die Zahlen aus Bremen: Insgesamt gab es laut Innenbehörde bis August des vergangenen Jahres 1300 sogenannte Verpflichtungserklärungen, also Anträge von Gastgebern, die Familienmitglieder aus den Erdbebengebieten bei sich aufzunehmen. Von den zugezogenen Menschen aus den Krisengebieten leben derzeit nach Schätzungen der Ausländerbehörden nur noch sehr wenige in der Hansestadt.
Nach August gab es nur noch vereinzelte Verpflichtungserklärungen. Nicht bekannt ist, wie viele Visa die deutschen Auslandsvertretungen erteilt haben und wie viele der Visa dann tatsächlich für eine Einreise genutzt wurden. Zudem gibt es für die Zugezogenen keinen Cent vom deutschen Staat. „Ich möchte das auch nicht“, sagt Unternehmer Tiryaki. „Meine Familie hat sich das selbst erarbeitet und soll das auch weiterhin tun.“
Laut der Bremer Innenbehörde haben die Betroffenen aus der Türkei die Möglichkeit, bei der zuständigen Ausländerbehörde die Erteilung einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis zu beantragen. „Als Aufenthaltszwecke kommen dabei der Familiennachzug in Betracht sowie die Aufnahme einer Ausbildung, eines Studiums oder einer Beschäftigung. Des Weiteren können auch humanitäre Gründe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtfertigen. Die Situation in der Herkunftsregion darf dabei allerdings auf ausdrücklichen Hinweis des Bundesinnenministeriums nicht mehr generell als Rückkehrhindernis anerkannt werden. Dazu bedarf es einer ausführlichen Antragsbegründung, die eine außergewöhnliche und überprüfbare Sondersituation belegt“, erklärt Sprecherin Karen Stroink.
"Viele leben dort wieder unter schlimmsten Umständen"
Eine Rückkehr in ihre Heimat schließt Tiryaki für seine Angehörigen aus. „Dort ist nichts mehr, ihre Häuser sind kaputt, der Wiederaufbau wird dort noch Jahre dauern.“ Zudem sei seine Mutter aus gesundheitlichen Gründen gar nicht mehr zu einer Rückkehr in der Lage. „Ich bin zuversichtlich, dass es mit einem dauerhaften Aufenthalt hier klappt. Das würde ich aber auch vielen anderen Familien wünschen, für die das bisher leider unmöglich war.“
Gerade weil es noch vielen Betroffenen der Ereignisse von vor einem Jahr so schlecht geht, appelliert der Cafébetreiber an alle Bremer, weiterhin für die Familien aus der betroffenen Region zu spenden. „Die Menschen dort haben alles verloren. So wie meinen Verwandten ist es nur wenigen ergangen, viele mussten aus Mangel an Alternativen in das Gebiet zurückkehren und leben dort nun wieder unter schlimmsten Umständen.“