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Bremerin über Transidentität Sie ist jetzt sie

Ihr Leben fühlte sich falsch an, ihr Körper, alles. Thea Buchholz galt als Mann, ist aber eine Frau. Jetzt hat sie sich ihr eigentliches Geschlecht angeeignet. Ein schwieriger Prozess – auch für ihre Mutter.
13.03.2025, 05:00 Uhr
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Sie ist jetzt sie
Von Jürgen Hinrichs

"Hat sie Ihnen den Namen gesagt?“ Ja, hat sie, und das ärgert Thea Buchholz. Die junge Frau ist richtig sauer: „Da werde ich mit meiner Mutter später ein Hühnchen rupfen.“ Alles, wirklich alles habe sie unternommen, um diesen Namen zu tilgen, ihn nicht länger an ihrer Person kleben zu lassen. Nicht in Ausweisen, nicht in Zeugnissen, nicht in der Geburtsurkunde – nirgendwo sollte er länger stehen: „Ich habe ihn auch im Netz gelöscht, wo ich nur konnte.“ Ein Akt der Selbstwerdung: Sie will sie sein und niemand anderes.

Als am 1. November in Deutschland das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft tritt, ist Thea Buchholz sofort zur Stelle und lässt ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern. Punkt neun sitzt sie auf dem Standesamt, um die Dokumente neu ausstellen zu lassen. Aus dem augenscheinlichen Mann, der sie in ihrem tiefsten Inneren aber nie war, wird eine Frau, als die sie jetzt auch andere sehen können. Ein Behördenakt, schwarz auf weiß und nicht mehr zu leugnen. „Das gibt mir Sicherheit“, sagt sie. Komme ihr jemand krumm, könne sie gegenhalten: „Wollen Sie meine Geburtsurkunde sehen?“

Thea Buchholz, 23 Jahre alt, Bremerin und von Beruf Metallblasinstrumentenmacherin, erzählt, wie sie ihr richtiges Geschlecht zunehmend ausdrücken und leben kann, was das für ein Prozess ist. Wie viel Mut und Durchsetzungskraft sie dafür braucht.

Das ist die eine Seite dieser Geschichte. Die andere erzählt ihre Mutter.

Helga Trölenberg ist eigens nach Bremen gekommen, sie lebt in Minden. Wie war das damals, als das Kind, das für sie bislang ihr Sohn war, offenbarte, eine Tochter zu sein? „Es fing nicht langsam an“, sagt die 63-Jährige, „es erschien, ganz plötzlich.“ Nichts, gar nichts habe sie vorher bemerkt. Total baff sei sie gewesen und ein bisschen auch durch den Wind: „In welchem Film bin ich gelandet?“ Die Corona-Zeit gerade verdaut, beruflich eine schwere Zeit hinter sich, und nun das: „Kann nicht mal irgendetwas normal sein.“

Sie habe das zunächst für eine Phase gehalten, geht vorüber, glaubte sie: „Ich hatte keine Ahnung von all dem und musste mich erst einmal informieren.“ Nachschauen bei Google, Stöbern in der einschlägigen Literatur, Besuch einer Beratungsstelle, eigenes Nachdenken: Hat der Vater damit zu tun? Seine auftrumpfende, manchmal cholerische Art, diese „toxische Männlichkeit“? Ist es das, was dem Sohn in die Quere gekommen ist und ihn am eigenen Geschlecht zweifeln lässt? Solche Gedanken, die Mutter spricht sie aus.

Eine Reaktion, von der die Tochter bitter enttäuscht ist. Helga Trölenberg weiß noch, wie sehr: „Unser Verhältnis war nicht besonders gut zu der Zeit, beklommen irgendwie.“ Ihr fällt es schwer, gleich mitzugehen auf dem Weg der Tochter und deren Entscheidung ohne Wenn und Aber zu akzeptieren. „Ich finde, Eltern sollten das Recht haben, sich Zeit zu nehmen und nicht gleich mit wehenden Fahnen überzulaufen“, betont die Mutter. Schließlich gehe es ja auch um sie und die ganze Familie: „Wo bleibe ich? Das habe ich mich damals schon gefragt.“

Dann bist du eben Thea, fertig.
Der Vater

Ihr früherer Ehemann, von dem sie seit vielen Jahren getrennt ist, habe sich sofort umgestellt: „Dann bist du eben Thea, fertig.“ Thea Buchholz, der Nachname kommt vom Vater. Genauso die Patentante der Tochter. Sie gab Unterstützung, hat ohne viel Federlesens den Schalter umgelegt. „Auch das war schwierig für mich“, sagt Helga Trölenberg, „ich fühlte mich unter Druck gesetzt.“

Eine Frau, die im Beruf immer vorne ist, egal, was sie macht, ist privat plötzlich hinten dran, so empfindet sie das. Andere würden in so einer Situation schnell einknicken, sie nicht. Die Unternehmensberaterin, Veranstalterin und studierte Psychologin weiß etwas von der Welt, sie hat ihre Meinung: „Ich will mich nicht verleugnen.“

Und so haben sie sich auseinandergesetzt, „manchmal war das Streit und Brüllerei“, berichtet die Tochter. Ja, schon wahr, ein bisschen habe sie ihre Mutter verstanden: „Für mich war es ein jahrelanger Prozess, für die Eltern nicht, die beiden hat das überrascht, und dann muss man erst einmal damit klarkommen.“ Trotzdem: „Es geht nicht darum, dass es ihnen gut geht, sondern mir.“ Ihr Vater habe das verstanden, ihre Schwester auch, es gibt eine ältere Schwester. Anders die Mutter: „Sie hat das wegignoriert.“

An manchen Tagen fiel es mir schwer, mich im Spiegel anzugucken.
Thea Buchholz

Thea Buchholz sagt, dass sie sich bereits als Kind mehr als Mädchen empfunden habe. Spätestens mit elf sei ihr klar geworden, dass sie im falschen Körper steckt: „An manchen Tagen fiel es mir schwer, mich im Spiegel anzugucken, weil das, was ich sah, nicht mit dem übereinstimmte, was ich war und wie ich mich gefühlt habe.“ Es geht ihr schlecht damals, doch was tun? „Ich hatte Angst, richtig Angst, mich zu outen. Die Panik war kaum auszuhalten.“ Besser warten, bis die Eltern tot sind? Alles einfach ­wegschieben, wie bisher? Solche Fragen seien ihr durch den Kopf gegangen. Doch was hätte das bedeutet? „Wäre ich irgendwann von der Brücke gesprungen?“

Vor gut zweieinhalb Jahren dann der Akt, der ihr Leben verändert. Sie sagt es, sagt es allen, zuletzt auch der Mutter. Und beginnt sogleich, den Übergang einzuleiten. Mit der Hormonersatztherapie – anderthalb Jahre, in denen sich der Körper verändert und mehr noch, „das spüre ich auch im Kopf“. Mit der Logopädie, um der Stimme einen anderen Klang zu verleihen: „Sprachmelodie, Resonanz, ich lerne das wie ein Instrument.“ Wie die Posaune, die sie aus dem Effeff beherrscht. Ein Familiending. Mutter, Kinder, die Großeltern, alle sind wie verrückt hinter Musik her.

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Demnächst steht in einer Klinik in München die Operation an, sie lässt ihr Geschlecht final angleichen: „Ich warte jeden Tag auf den Anruf.“ Ein erwartungsvolles, aber auch banges Warten, denn klar, „ein bisschen Bammel habe ich schon“. Wer sich zu diesem Schritt entschließt, muss vorher eine Therapie machen, das ist Vorschrift. Sechs Monate, mindestens zwölf Sitzungen. „Freiwillig hätte ich das nicht gemacht, hier geht’s ja nicht um eine psychische Störung. Letztlich hat es mir aber geholfen.“

Das ist viel, sehr viel, aber noch nicht alles. Sie regelt die Formalitäten, ihren Status in der Gesellschaft – Name, Anrede, solche Sachen. Vorbei die Zeiten, als sie mit einem Ergänzungsausweis unterwegs war, ausgestellt von der Deutschen Gesellschaft für Trans- und Intergeschlechtlichkeit. Das Dokument wird von den Behörden, Banken und Versicherungen anerkannt und hilft über die Zwischenzeit hinweg. Vorbei, denn sie zieht das durch, mit einer Energie, die ihre Ausstrahlung geworden ist, auch an diesem Nachmittag im Café: „Ich fühle mich frei, klar und selbstbewusst.“ In allerspätestens fünf Jahren sei alles Männliche an ihr verschwunden, ein radikaler Wandel, möglich auch deswegen, weil sie noch so jung sei.

Ich sehe in Thea immer noch auch meinen Sohn.
Helga Trölenberg

Thea Buchholz holt ein Foto hervor, wie sie vor drei Jahren ausgesehen hat – ein Bursche, fesch. „1,83 Meter“, sagt sie, „das ist geblieben.“ Ihrer Mutter geht es nicht so: „Ich sehe in Thea immer noch auch meinen Sohn.“ Was soll sie machen, sagt ihre Miene, ist halt so. Den alten Namen nicht mehr verwenden zu dürfen, hat für Helga Trölenberg etwas von Tod, „als wäre etwas gestorben“

Aus Sicht der Tochter trifft genau das zu, „der alte Name ist tot“, sagt sie, „er ist ein Deadname“. Ein Ausdruck, den transgeschlechtliche Menschen verwenden, wenn sie beginnen, einen Namen zu verwenden, der zu ihrem wahren Geschlecht passt, und den alten entsprechend ablegen. Thea Buchholz hieß früher anders, sie war aber niemand anderes. Die Mutter sagt es so: „Sie ist und bleibt mein Kind.“

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