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Serie: Arbeitsmarkt der Zukunft (3) „Deutschland kann sich nicht als Verlierer der Globalisierung sehen“

In den vergangenen Jahrzehnten wurden viele Arbeitsplätze in Niedriglohnländer ausgelagert. Ein Experte erklärt, wieso dieser Trend vorbei sein könnte, die Globalisierung aber weiter Bestand hat.
09.09.2020, 05:00 Uhr
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„Deutschland kann sich nicht als Verlierer der Globalisierung sehen“
Von Jean-Pierre Fellmer

Neben der Technologie und der Demografie ist sie eine der drei Triebfedern für den Wandel des Arbeitsmarkts: die Globalisierung. Sie förderte in den vergangenen Jahrzehnten den internationalen Handel, Unternehmen verlagerten ihre Produktion ins Ausland, die Ländergrenzen des Arbeitsmarkts wurden durchlässiger. Seit einigen Jahren scheint es jedoch einen Gegentrend zu geben: Die USA setzen auf Protektionismus und Handelszölle, nationalistische Machthaber schotten sich ab und durch die Corona-Pandemie kommt die Frage auf, ob internationale Lieferketten zu anfällig gegenüber Krisen sind.

Enzo Weber ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regensburg und Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Herr Weber, ist die Globalisierung am Ende?

Nein, umgekehrt hat sich der Trend nicht, aber die Zeit der großen Schritte in der Globalisierung ist vorbei. Wer sich Statistiken zum Welthandel in den 90er- und 2000er-Jahren anschaut, sieht: Damals ist richtig viel passiert. Indien und vor allem China sind in dieser Zeit in den Weltmarkt eingetreten. Das war aber nur ein einmaliger Effekt. Sicherlich wirkt sich auch der Protektionismus der USA auf die Globalisierung aus, der Trend hat sich aber auf natürliche Weise abgeschwächt. Trotzdem ist das Potenzial der Globalisierung noch nicht ausgeschöpft. Internationale Arbeitsteilung hat ihre positiven Seiten.

Ein Diskussionspapier des IAB zeigt eine Entwicklung, dass es in Staaten wie Deutschland, Italien und Spanien seit 2012 weniger Verlagerung von Arbeit und Produktion ins Ausland gibt. Woran liegt das?

Es handelt sich dabei um Länder mit einer hoch technologisierten Produktion. Ein Grund für das Offshoring, der Verlagerung ins Ausland, sind vor allem die niedrigen Lohnkosten in manchen Ländern. Wenn die Produktion aber höher technologisiert ist, sind andere Faktoren wichtiger – etwa die Qualifikation der Arbeitskräfte, die Infrastruktur oder Rechts- und Investitionssicherheit. Technologien der Industrie 4.0 wie der 3D-Druck treiben das auf die Spitze: Statt Waren weit entfernt in Billiglohnländern in Massenfertigung zu produzieren, können diese künftig individualisiert, direkt am Markt und mit wenig Personal hergestellt werden. Noch gibt es keine massenhafte Versorgung mit Produkten aus dem 3D-Drucker, aber Digitalisierung und Robotisierung insgesamt wirken in diese Richtung.

Ist die das Potenzial für die Auslagerung in den hoch technologisierten Ländern ausgeschöpft?

Die ganze große Zeit der Verlagerung in Niedriglohnländer ist sicherlich vorbei. Aber es gibt viele Länder, die noch stärker in die Weltwirtschaft integriert werden könnten. Und offen ist noch, wie Handelsbeziehungen in einer Industrie 4.0 und einer ökologisch transformierten Wirtschaft aussehen werden.

Viele Menschen haben Angst, dass Technologie, Künstliche Intelligenz und Roboter ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Wie berechtigt ist diese Sorge?

Die Angst, dass es wegen der Technologie künftig keine Arbeitsplätze mehr gibt, ist nicht rational. Die Sorge vor einem erheblichen Anpassungsaufwand hingegen schon. Die gab es allerdings schon immer. Viele Tätigkeiten, die Menschen vor 100 Jahren gemacht haben, werden heute von Maschinen übernommen – nach dieser Logik müssten wir alle längst arbeitslos sein. Es entstehen aber neue Tätigkeiten und Berufe, damit meine ich nicht nur Software-Programmierer. Schauen Sie sich die Erziehung an, das war früher keine relevante Branche, heute boomt dieser Sektor. Die Technologie erhöht die Produktivität und den Lebensstandard, dadurch können wir uns mehr leisten. Mit steigender Produktivität sinken auch Preise. Nehmen Sie Laptops als Beispiel: Die haben früher mehrere tausend Euro gekostet, heute bekommt man sie für 200 Euro. Dadurch werden Märkte größer, was wiederum neue Arbeitsplätze schafft.

Gegner der Globalisierung befürchten schon seit den 90er-Jahren, dass immer mehr Arbeitsplätze etwa nach China verlagert werden und Deutschland am Ende dadurch als Verlierer dar steht. Gleicht die neue Technologie diesen Effekt langfristig aus?

Ja, aber Globalisierung geht nicht nur zu Lasten Deutschlands. Mit den großen Überschüssen in den Handelsbilanzen kann sich Deutschland nicht als Verlierer der Globalisierung sehen. China produziert nicht nur, das Land fragt auch Waren nach – der Handel geht in beide Richtungen. Das hilft natürlich nicht unbedingt dem einzelnen etwa in der Textilindustrie, der seinen Job durch die Verlagerung verloren hat. Aber gesamtwirtschaftlich ist das ein Geben und Nehmen.

Drei von vier Beschäftigten arbeiten in Deutschland im Dienstleistungssektor. Ist es denkbar, dass davon Stellen ins Ausland ausgelagert werden?

Das ist nichts Neues. Bei der Software-Programmierung, Webdesign oder Callcenter gibt es den Trend schon länger. Auch Logistikunternehmen und Banken agieren international. Natürlich gibt es Branchen, bei denen eine Auslagerung nicht möglich ist wie etwa das Gastgewerbe. Es gibt aber auch einen Trend zur digitalen Plattformwirtschaft. Dort werden Fahrdienste, Texterstellung oder -übersetzung und vieles mehr angeboten. Das ist im Grunde Dienstleistungshandel.

Wie wirkt sich die Globalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt aus?

Wir hatten in Deutschland einen recht starken Strukturwandel. Vor allem Branchen mit intensiven Lohnkosten sind weggefallen. Deutschland ist in der Exportindustrie erheblich gewachsen, etwa in der Automobilindustrie, dem Maschinenbau oder der Chemie. Da findet man typischerweise auch die bestbezahlten Jobs der Republik. Am Ende ist das also nicht nur eine Frage, wie viele Jobs es gibt, sondern auch, wie hoch Produktivität und Einkommen sind. Mit der Globalisierung liegt die Wertschöpfung deutlich über dem, was jedes Land für sich alleine schaffen könnte. Dennoch kann es zu gravierenden Verteilungsproblemen kommen, gerade wenn schwach entwickelte Länder und die dortigen Arbeitskräfte unter Druck gesetzt werden.

Eine Studie des Ifo-Instituts hat ergeben, dass es wegen der deutlich höheren Wertschöpfung durch die Globalisierung kein geeignetes Mittel im Kampf gegen die Pandemie wäre, Lieferketten zu verkürzen und wieder vermehrt in Deutschland zu produzieren.

Das ist so. Man kann nicht alle Lieferketten kappen und erwarten, dass die gleiche Produktionsleistung erbracht wird. Außerdem hat die Pandemie überall auf der Welt zugeschlagen. Es ergibt keinen Sinn, nur in Deutschland zu produzieren und zu handeln, weil das Inland genauso betroffen war. Höchstens in einzelnen kritischen Bereichen wie bei Masken oder Beatmungsgeräten, um diese vorrätig zu haben. Bezogen auf die Gesamtwirtschaft ist das aber nicht sinnvoll. Ich hoffe, dass die Entscheidungsträger dieser Welt nicht glauben, politische Unterstützung durch weitere Nationalisierung erreichen zu können.

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